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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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sicher eine Conspiration, die junge Freiheit soll wieder gemordet werden, wir liegen
an der Grenze, wir können es hindern! Gesagt, gethan! Man hält einen Kurier
an, der über die russische Grenze will, mau nimmt ihm seine Briefschaften ab,
aber man ist wieder zu ehrlich und hat einen zu gesetzlichen Sinn, um sie selber
zu öffnen, mau bringt sie zum Commandirenden, er soll sie öffnen; dieser schlägt
es natürlich ab; nnn weiß mau uicht recht, was weiter zu thun ist, die Briefe
werden also dem Courier zurückgegeben und gehen ungehindert ihren Gang. Mau
hat einen Streich gemacht und noch dazu umsonst.

Diese Geschichte hat Jacoby tu der Provinz sehr geschadet. Man kam zur
Besinnung und fühlte sich deprimirt. llebcrhaupt trat hier, sobald die revolutio-
näre Frühgeburt in Frankfurt und der radikale Veitstanz in Berlin in ihrer wi¬
derlichen Nacktheit zum Vorschein kamen, eine entschiedene Reaction ein; der grö¬
ßere Theil der früheren Liberalen ist heute conservativ, und in dem Volke lebt
zu viel gesunder Menschenverstand und zu viel natürliches Rechtsgefühl, als daß
es den Einflüsterungen der modernen Levellers Gehör geben sollte. Es muß Ja¬
coby sehr gekränkt haben, als bei der Wahl für Frankfurt und Berlin in der
Provinz sein Name uirgeuds durchdrang, obgleich Königsberg einen andern jüdi¬
schen Arzt, l>r. Kosch, in die preußische Constituante schickte.

Auf deu ersten Ruf eilte Jacoby, ohne sich in Berlin, das doch ein höchst
anziehendes Schauspiel bot, aufzuhalten, in das sogenannte Vorparlament. Er
hat hier nur zweimal gesprochen und zwar in den beiden entscheidende" Fragen
über die Permanenzerklärung und über die Nothwendigkeit, den Bundestag zu
epuriren, bevor man von ihm irgend eine Notiz nähme. Allein er gab nur einfach
seine Stimme ab, und hielt den dogmatischen Ausdruck seiner Meinung, wie ge¬
wöhnlich, für genügend. Bei dem stürmischen Charakter dieser wunderbaren
Versammlung hätte er sich ohnehin nicht geltend macheu können; zum eigentlichen
Demagogen fehlt ihm schon das Organ. In beiden Fragen stimmte er mit der
Hecker'schen Partei, in dem Wahn, es gehöre blos der Entschluß dieser "Nota-
beln" dazu, sich zur Negierung von Deutschland zu mache"! Doch hatte er so
viel gesetzlichen Jnstinct, daß er sich zu den weitern Schritte" dieser anarchistischen
Clique nicht hergab. Er wollte die deutschen Staaten auf gesetzlichem Wege um¬
werfen. Auch nahm er an den demokratischen Volksversammlungen keinen Theil.
Sein Ruf als Repräsentant des preußischen Liberalismus -- den außer ihm ei¬
gentlich nur Soiron, Raveaux und Abegg verträte", war groß genug, ihm die
Wahl in den Fünfziger-Ausschuß zu verschaffen, obgleich er sich sonst in keiner
Weise geltend gemacht hatte.

Auch im Ausschuß spielte er keine bedeutende Rolle, Robert Blum drängte
alle seine Meinungsgenossen weit zurück. Jacoby hörte in der Regel ruhig zu - -
eigentlich war das auch die Hauptaufgabe des ganzen Ausschusses -- und stimmte
nur immer lebhaft bei, wenn gegen deu Bundestag oder gegen Preußen irgend


sicher eine Conspiration, die junge Freiheit soll wieder gemordet werden, wir liegen
an der Grenze, wir können es hindern! Gesagt, gethan! Man hält einen Kurier
an, der über die russische Grenze will, mau nimmt ihm seine Briefschaften ab,
aber man ist wieder zu ehrlich und hat einen zu gesetzlichen Sinn, um sie selber
zu öffnen, mau bringt sie zum Commandirenden, er soll sie öffnen; dieser schlägt
es natürlich ab; nnn weiß mau uicht recht, was weiter zu thun ist, die Briefe
werden also dem Courier zurückgegeben und gehen ungehindert ihren Gang. Mau
hat einen Streich gemacht und noch dazu umsonst.

Diese Geschichte hat Jacoby tu der Provinz sehr geschadet. Man kam zur
Besinnung und fühlte sich deprimirt. llebcrhaupt trat hier, sobald die revolutio-
näre Frühgeburt in Frankfurt und der radikale Veitstanz in Berlin in ihrer wi¬
derlichen Nacktheit zum Vorschein kamen, eine entschiedene Reaction ein; der grö¬
ßere Theil der früheren Liberalen ist heute conservativ, und in dem Volke lebt
zu viel gesunder Menschenverstand und zu viel natürliches Rechtsgefühl, als daß
es den Einflüsterungen der modernen Levellers Gehör geben sollte. Es muß Ja¬
coby sehr gekränkt haben, als bei der Wahl für Frankfurt und Berlin in der
Provinz sein Name uirgeuds durchdrang, obgleich Königsberg einen andern jüdi¬
schen Arzt, l>r. Kosch, in die preußische Constituante schickte.

Auf deu ersten Ruf eilte Jacoby, ohne sich in Berlin, das doch ein höchst
anziehendes Schauspiel bot, aufzuhalten, in das sogenannte Vorparlament. Er
hat hier nur zweimal gesprochen und zwar in den beiden entscheidende» Fragen
über die Permanenzerklärung und über die Nothwendigkeit, den Bundestag zu
epuriren, bevor man von ihm irgend eine Notiz nähme. Allein er gab nur einfach
seine Stimme ab, und hielt den dogmatischen Ausdruck seiner Meinung, wie ge¬
wöhnlich, für genügend. Bei dem stürmischen Charakter dieser wunderbaren
Versammlung hätte er sich ohnehin nicht geltend macheu können; zum eigentlichen
Demagogen fehlt ihm schon das Organ. In beiden Fragen stimmte er mit der
Hecker'schen Partei, in dem Wahn, es gehöre blos der Entschluß dieser „Nota-
beln" dazu, sich zur Negierung von Deutschland zu mache»! Doch hatte er so
viel gesetzlichen Jnstinct, daß er sich zu den weitern Schritte» dieser anarchistischen
Clique nicht hergab. Er wollte die deutschen Staaten auf gesetzlichem Wege um¬
werfen. Auch nahm er an den demokratischen Volksversammlungen keinen Theil.
Sein Ruf als Repräsentant des preußischen Liberalismus — den außer ihm ei¬
gentlich nur Soiron, Raveaux und Abegg verträte», war groß genug, ihm die
Wahl in den Fünfziger-Ausschuß zu verschaffen, obgleich er sich sonst in keiner
Weise geltend gemacht hatte.

Auch im Ausschuß spielte er keine bedeutende Rolle, Robert Blum drängte
alle seine Meinungsgenossen weit zurück. Jacoby hörte in der Regel ruhig zu - -
eigentlich war das auch die Hauptaufgabe des ganzen Ausschusses — und stimmte
nur immer lebhaft bei, wenn gegen deu Bundestag oder gegen Preußen irgend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/457>, abgerufen am 29.06.2024.