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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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von jüdischem Typus, schon etwas Glatze; in seinem ganzen Aeußem unscheinbar,
machte er doch mit seinen klaren, ruhigen Augen den Eindruck eines verständigen
und zugleich wohlwollenden Mannes. Von dem bei gebildeten Juden nicht selte¬
nen Ausdruck der Blasirtheit ist bei ihm keine Spur; er hat für Alles -- auch
wo er kein Verständniß hat, z. B. in den Künsten -- eine lebhafte Theilnahme
und beruhigt sich nie bei einer oberflächlichen Notiz. In Fragen und Antworten
bestimmt, aber karg, macht er zuweilen den Eindruck, als wolle er durch Zu¬
rückhalten imponiren; es ist aber keine Reflexion darin, es ist Natur. Er betont
fast jedes Wort, was bei seiner sententiösen Schreibart wohl zu erklären ist, zu¬
weilen aber drollig genug herauskommt, wenn der Accent eine ganz unwichtige
Phrase trifft.

Jacoby hatte wohl die Ansicht, im Verein mit seinen Freunden ans Ost¬
preußen auf die entscheidenden Schritte der Partei zu influiren. Die Ostpreußen
nahmen auf dem Landtage eine eigne Stellung ein; sie waren voll von den Si-
mon'schen Idee" und wiegten sich in dem Gedanken, in jedem bedenklichen Falle
austreten und an der ganzen Wirthschaft keinen weitem Theil nehmen zu wollen.
In dieser Ueberßeugung eines eventuellen großen Schrittes gaben sie sich aber keine
Mühe, im Detail ihr Verfahren voraus zu berechnen. Zudem waren sie, wie die
ältere Generation der Bürger und Gutsbesitzer im Allgemeinen, zu royalistisch, um
nicht jeden ernstlichen Conflict mit der Krone als einen innern Bruch zu em¬
pfinden. Sie zogen Jacoby nicht mit in ihre Berathungen; theils war er nicht
zünftig, theils hatten sie ihn wohl schon in Verdacht, zu radical zu sein. Auf
Jacoby hatte das einen entschieden ungünstigen Einfluß, er blieb in der Stellung
eines ab stranden Kritikers und in dem Gefühle, daß alles schlecht gehe. Er würde
als Mitglied der Opposition eine sehr gute Rolle gespielt und sich durch bestimm¬
tes Wirken vielleicht von dem einseitigen Radicalismus befreit haben, der nun
durch die fortdauernde Erbitterung nur uoch genährt wurde. Ob er auf den
Landtag einen günstigen Einfluß ausgeübt haben würde, ist schwer zu sagen;
vielleicht hätte in dem günstigen Moment eine scharfe und rücksichtslos ausge¬
sprochene MeinUug ihren Erfolg nicht verfehlt, doch ist dabei nicht zu übersehen,
daß er sich immer mehr in dem Gedanken wiegte, es müsse etwas Bedeutendes,
Entschiedenes geschehen, als daß er sich über die Art und Weise desselben ein kla¬
res Bild gemacht hätte. Zudem waren die andern Führer der Opposition wie
Vincke, Camphausen, selbst Auerswald an Talent ihm weit überlegen und hatten
eine ungleich günstigere Stellung.

Man muß damals in Berlin gewesen sein, um deu Eindruck mitzufühlen,
den die Thronrede machte. Man hatte wenig Gutes erwartet, aber diese heraus¬
fordernde, ganz im Stil des vorigen Jahrhunderts gehaltene Sprache übertraf
doch alle Vorstellung. Der Charakter dieses Gemisches von Absolutismus und Ro¬
mantik kam im eben verhängnisvollen Augenblick zum Vorschein. Die Ostpreußen


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von jüdischem Typus, schon etwas Glatze; in seinem ganzen Aeußem unscheinbar,
machte er doch mit seinen klaren, ruhigen Augen den Eindruck eines verständigen
und zugleich wohlwollenden Mannes. Von dem bei gebildeten Juden nicht selte¬
nen Ausdruck der Blasirtheit ist bei ihm keine Spur; er hat für Alles — auch
wo er kein Verständniß hat, z. B. in den Künsten — eine lebhafte Theilnahme
und beruhigt sich nie bei einer oberflächlichen Notiz. In Fragen und Antworten
bestimmt, aber karg, macht er zuweilen den Eindruck, als wolle er durch Zu¬
rückhalten imponiren; es ist aber keine Reflexion darin, es ist Natur. Er betont
fast jedes Wort, was bei seiner sententiösen Schreibart wohl zu erklären ist, zu¬
weilen aber drollig genug herauskommt, wenn der Accent eine ganz unwichtige
Phrase trifft.

Jacoby hatte wohl die Ansicht, im Verein mit seinen Freunden ans Ost¬
preußen auf die entscheidenden Schritte der Partei zu influiren. Die Ostpreußen
nahmen auf dem Landtage eine eigne Stellung ein; sie waren voll von den Si-
mon'schen Idee» und wiegten sich in dem Gedanken, in jedem bedenklichen Falle
austreten und an der ganzen Wirthschaft keinen weitem Theil nehmen zu wollen.
In dieser Ueberßeugung eines eventuellen großen Schrittes gaben sie sich aber keine
Mühe, im Detail ihr Verfahren voraus zu berechnen. Zudem waren sie, wie die
ältere Generation der Bürger und Gutsbesitzer im Allgemeinen, zu royalistisch, um
nicht jeden ernstlichen Conflict mit der Krone als einen innern Bruch zu em¬
pfinden. Sie zogen Jacoby nicht mit in ihre Berathungen; theils war er nicht
zünftig, theils hatten sie ihn wohl schon in Verdacht, zu radical zu sein. Auf
Jacoby hatte das einen entschieden ungünstigen Einfluß, er blieb in der Stellung
eines ab stranden Kritikers und in dem Gefühle, daß alles schlecht gehe. Er würde
als Mitglied der Opposition eine sehr gute Rolle gespielt und sich durch bestimm¬
tes Wirken vielleicht von dem einseitigen Radicalismus befreit haben, der nun
durch die fortdauernde Erbitterung nur uoch genährt wurde. Ob er auf den
Landtag einen günstigen Einfluß ausgeübt haben würde, ist schwer zu sagen;
vielleicht hätte in dem günstigen Moment eine scharfe und rücksichtslos ausge¬
sprochene MeinUug ihren Erfolg nicht verfehlt, doch ist dabei nicht zu übersehen,
daß er sich immer mehr in dem Gedanken wiegte, es müsse etwas Bedeutendes,
Entschiedenes geschehen, als daß er sich über die Art und Weise desselben ein kla¬
res Bild gemacht hätte. Zudem waren die andern Führer der Opposition wie
Vincke, Camphausen, selbst Auerswald an Talent ihm weit überlegen und hatten
eine ungleich günstigere Stellung.

Man muß damals in Berlin gewesen sein, um deu Eindruck mitzufühlen,
den die Thronrede machte. Man hatte wenig Gutes erwartet, aber diese heraus¬
fordernde, ganz im Stil des vorigen Jahrhunderts gehaltene Sprache übertraf
doch alle Vorstellung. Der Charakter dieses Gemisches von Absolutismus und Ro¬
mantik kam im eben verhängnisvollen Augenblick zum Vorschein. Die Ostpreußen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/455>, abgerufen am 29.06.2024.