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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Wenn l'is dahin das Ghetto in'es fortbesteht, so wird es wenigstens mehr
-- ? -- Lust bekommen.




2.

Wir sind nnn in Böhmen sowohl als auch in Oestreich bei jenem Entwick¬
lungsstadium angelangt, wo die nationalen Parteien mit einem bestimmten politi¬
schen Typus auftauchen und ihre nationellen Ansprüche zu vollständigen politischen
Systemen ausarbeiten. War die frühere, dnrch die Pfingstwoche blutig abgeschlos¬
sene Periode, die man eine slitvjimijkit böseclir im Großen nennen könnte, die
Zeit der leidenschaftlichen Aufregung und der phantastischen Träumereien von na-
tioneller Hegemonie, -- so ist die jetzige Periode die Zeit des klug berechnenden
Verstandes, der den nationellen Rohstoff zu bestimmten Formen ausarbeitet und
ihm ein deutliches Gepräge gibt. Freilich waren die Kanonen und Bombenkessel
vom Hradschin die Wecker, die ihn aus seinem Schlummer herausgerissen haben.

Unsere umgestalteten Parteien hier sind die deS Reichstages in Wien, dessen
slavische Rechte in Prag und dessen deutsche Lücke auf dem Congreß von Teplitz
zu suchen ist. In Prag wimmelt es von extremen Föderalisten, welche Oestreichs
Wiedergeburt in Form eines Bundesstaates und die Souveränität der Landtage
verlangen; die extremen Centralisten haben sich dagegen in Teplitz centralisirt, und
die Versammlung der Deutschböhmeu vom 29. August daselbst hat folgende vier
Punkte einstimmig angenommen: 1) unbedingte Ablehnung jeder Solidarität und
Verschmelzung mit den Czechen in der Provinzialverwaltung und Provinzialvertre-
tung; 2) Aufhebung der Provinziallandtage, Provinzialgrenzen und Landesguber-
nien; l!) freie, auf Selbstverwaltung gegründete Gemeindeverfassung; 4) Einthei-
lung der Provinzen in Ncichötreise nach der Sprachgrenze, mit einem Kreishaupt-
mann an der Spitze, der unmittelbar nnter dem Ministerium steht. -- Die
Deutschböhmen in den nördliche" Kreisen, welche, wie Sie sehen, einen kleinen
Sonderbund bilden, dessen Vorort für jetzt Teplitz, für'ö nächste Mal aber Eger
sein soll, haben in diesen vier Punkten ganz und gar die Prinzipien des deutschen
Vereins in Wien adoptirt; dagegen werden sich die Mitglieder des constitutionellen
Vereines in Prag, so viel man schon ans dem Probeblatte der deutschen Zeitung
entnehmen kann, wohl nur zu deu gemäßigten Centralisten halten, "die von der
Selbstverwaltung der Gemeinde ausgehend, eine solche anch für die nach Sprach¬
grenzen nen zu bildenden Unterabtheilungen und die auf der Geschichte, Gewohn¬
heit und Convenienz beruhenden Provinzen innerhalb der von der Centralgewalt
gezogenen Schranken beanspruchen." Wir haben also in Böhmen extreme "ud
gemäßigte Centralisten, extreme und vielleicht auch gemäßigte Föderalisten; und
es dürste von Interesse sein, die Bewegungsgesetze des durchaus verwandten Par-
teilebens hier bei uns und um Reichstage näher zu untersuchen.


GrenMen. Hi. 55

Wenn l'is dahin das Ghetto in'es fortbesteht, so wird es wenigstens mehr
— ? — Lust bekommen.




2.

Wir sind nnn in Böhmen sowohl als auch in Oestreich bei jenem Entwick¬
lungsstadium angelangt, wo die nationalen Parteien mit einem bestimmten politi¬
schen Typus auftauchen und ihre nationellen Ansprüche zu vollständigen politischen
Systemen ausarbeiten. War die frühere, dnrch die Pfingstwoche blutig abgeschlos¬
sene Periode, die man eine slitvjimijkit böseclir im Großen nennen könnte, die
Zeit der leidenschaftlichen Aufregung und der phantastischen Träumereien von na-
tioneller Hegemonie, — so ist die jetzige Periode die Zeit des klug berechnenden
Verstandes, der den nationellen Rohstoff zu bestimmten Formen ausarbeitet und
ihm ein deutliches Gepräge gibt. Freilich waren die Kanonen und Bombenkessel
vom Hradschin die Wecker, die ihn aus seinem Schlummer herausgerissen haben.

Unsere umgestalteten Parteien hier sind die deS Reichstages in Wien, dessen
slavische Rechte in Prag und dessen deutsche Lücke auf dem Congreß von Teplitz
zu suchen ist. In Prag wimmelt es von extremen Föderalisten, welche Oestreichs
Wiedergeburt in Form eines Bundesstaates und die Souveränität der Landtage
verlangen; die extremen Centralisten haben sich dagegen in Teplitz centralisirt, und
die Versammlung der Deutschböhmeu vom 29. August daselbst hat folgende vier
Punkte einstimmig angenommen: 1) unbedingte Ablehnung jeder Solidarität und
Verschmelzung mit den Czechen in der Provinzialverwaltung und Provinzialvertre-
tung; 2) Aufhebung der Provinziallandtage, Provinzialgrenzen und Landesguber-
nien; l!) freie, auf Selbstverwaltung gegründete Gemeindeverfassung; 4) Einthei-
lung der Provinzen in Ncichötreise nach der Sprachgrenze, mit einem Kreishaupt-
mann an der Spitze, der unmittelbar nnter dem Ministerium steht. — Die
Deutschböhmen in den nördliche» Kreisen, welche, wie Sie sehen, einen kleinen
Sonderbund bilden, dessen Vorort für jetzt Teplitz, für'ö nächste Mal aber Eger
sein soll, haben in diesen vier Punkten ganz und gar die Prinzipien des deutschen
Vereins in Wien adoptirt; dagegen werden sich die Mitglieder des constitutionellen
Vereines in Prag, so viel man schon ans dem Probeblatte der deutschen Zeitung
entnehmen kann, wohl nur zu deu gemäßigten Centralisten halten, „die von der
Selbstverwaltung der Gemeinde ausgehend, eine solche anch für die nach Sprach¬
grenzen nen zu bildenden Unterabtheilungen und die auf der Geschichte, Gewohn¬
heit und Convenienz beruhenden Provinzen innerhalb der von der Centralgewalt
gezogenen Schranken beanspruchen." Wir haben also in Böhmen extreme »ud
gemäßigte Centralisten, extreme und vielleicht auch gemäßigte Föderalisten; und
es dürste von Interesse sein, die Bewegungsgesetze des durchaus verwandten Par-
teilebens hier bei uns und um Reichstage näher zu untersuchen.


GrenMen. Hi. 55
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[0437] Wenn l'is dahin das Ghetto in'es fortbesteht, so wird es wenigstens mehr — ? — Lust bekommen. 2. Wir sind nnn in Böhmen sowohl als auch in Oestreich bei jenem Entwick¬ lungsstadium angelangt, wo die nationalen Parteien mit einem bestimmten politi¬ schen Typus auftauchen und ihre nationellen Ansprüche zu vollständigen politischen Systemen ausarbeiten. War die frühere, dnrch die Pfingstwoche blutig abgeschlos¬ sene Periode, die man eine slitvjimijkit böseclir im Großen nennen könnte, die Zeit der leidenschaftlichen Aufregung und der phantastischen Träumereien von na- tioneller Hegemonie, — so ist die jetzige Periode die Zeit des klug berechnenden Verstandes, der den nationellen Rohstoff zu bestimmten Formen ausarbeitet und ihm ein deutliches Gepräge gibt. Freilich waren die Kanonen und Bombenkessel vom Hradschin die Wecker, die ihn aus seinem Schlummer herausgerissen haben. Unsere umgestalteten Parteien hier sind die deS Reichstages in Wien, dessen slavische Rechte in Prag und dessen deutsche Lücke auf dem Congreß von Teplitz zu suchen ist. In Prag wimmelt es von extremen Föderalisten, welche Oestreichs Wiedergeburt in Form eines Bundesstaates und die Souveränität der Landtage verlangen; die extremen Centralisten haben sich dagegen in Teplitz centralisirt, und die Versammlung der Deutschböhmeu vom 29. August daselbst hat folgende vier Punkte einstimmig angenommen: 1) unbedingte Ablehnung jeder Solidarität und Verschmelzung mit den Czechen in der Provinzialverwaltung und Provinzialvertre- tung; 2) Aufhebung der Provinziallandtage, Provinzialgrenzen und Landesguber- nien; l!) freie, auf Selbstverwaltung gegründete Gemeindeverfassung; 4) Einthei- lung der Provinzen in Ncichötreise nach der Sprachgrenze, mit einem Kreishaupt- mann an der Spitze, der unmittelbar nnter dem Ministerium steht. — Die Deutschböhmen in den nördliche» Kreisen, welche, wie Sie sehen, einen kleinen Sonderbund bilden, dessen Vorort für jetzt Teplitz, für'ö nächste Mal aber Eger sein soll, haben in diesen vier Punkten ganz und gar die Prinzipien des deutschen Vereins in Wien adoptirt; dagegen werden sich die Mitglieder des constitutionellen Vereines in Prag, so viel man schon ans dem Probeblatte der deutschen Zeitung entnehmen kann, wohl nur zu deu gemäßigten Centralisten halten, „die von der Selbstverwaltung der Gemeinde ausgehend, eine solche anch für die nach Sprach¬ grenzen nen zu bildenden Unterabtheilungen und die auf der Geschichte, Gewohn¬ heit und Convenienz beruhenden Provinzen innerhalb der von der Centralgewalt gezogenen Schranken beanspruchen." Wir haben also in Böhmen extreme »ud gemäßigte Centralisten, extreme und vielleicht auch gemäßigte Föderalisten; und es dürste von Interesse sein, die Bewegungsgesetze des durchaus verwandten Par- teilebens hier bei uns und um Reichstage näher zu untersuchen. GrenMen. Hi. 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/437>, abgerufen am 28.09.2024.