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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Während sonst die verschiedenen Schattirungen der politischen Meinung in¬
nerhalb derselben Nation die Parteien eines constituirenden oder gesetzgebenden
Körpers bilden und diese eine Nation in ihren Repräsentanten in verschiedene
politische Parteien gegliedert erscheint: so bilden am Reichstage zu Wien und bei
uns in Böhmen gerade umgekehrt die Nationalitäten compacte, ungegliederte Mas¬
sen, welche sich als solche, wenn auch unter andern Namen, als Parteien gegen¬
überstehen. Sonst ist die Nationalität die einheitliche Grundlage eines parlamen¬
tarischen Körpers, in dem sich erst die andern von der Nationalität ganz unab¬
hängigen Unterschiede der freien, unfreien und halbfreien Gesinnung herausstellen;
aber bei uns ist gerade umgekehrt das liberale Streben, eine entschiedene, demo¬
kratische Gesinnung beinahe die durchgreifende Grundlage; aber dieser Liberalismus
ist durch das Prisma der Nationalität in verschiedene Farben gebrochen und tritt
nirgends in seiner ganzen Reinheit heraus. Deutsche und Slaven, oder Centra¬
listen und Föderalisten stehen einander mit der größten Bestimmtheit gegenüber,
obgleich beide Parteien zum Ueberfluß radikal sind; und es ist beinahe ergötzlich
zu beobachten, wie zwischen beiden das consequent schwarzgelbe Häuflein der Alt-
östreicher gleich dem Esel in dem Sophisma, bald nach dem vollen Heubündel der
Centralisten, bald nach dem der Föderalisten mit lüsternen Augen hinschielt, und
wie die schwarzrothgoldene Politik eben so wohl, wie die rothweißblaue, abwech¬
selnd ins schwarzgelbe hinüberschillert. -- Die Ultracentralisten (wozu auch die
Dentschböhmen, die in Teplitz tagten, gehören), welche alle durch natürliche Ver¬
hältnisse und geschichtliche Schicksale hinlänglich begründeten Provinzialverschieden-
heiten aufheben, das Reich in Departements eintheilen und auf diese von einem
Centralpunkte ans einwirken wollen, haben trotz dem radikalen Grundton ihrer
Gesinnung eine Tendenz, die man beinahe contrerevolutivnär nennen könnte. Sie
wollen ein Oestreich ans einem Stücke, um dann, nachdem sie dieses Länder-
aggrcgat in einen einzigen großen Organismus verwandelt, den deutscheu Geist
von dem Mittelpunkt aus in alle Glieder desselben einströmen lassen zu können;
aber damit wünschen sie zugleich diejenige Form zurück, zu der der Absolutismus
den östreichischen Länderverein dnrch administrativen und militärischen Zwang ge¬
knetet hat. Sie glauben damit den exorcistischen Spruch gefunden zu haben, mit
dem mau die Dämone des nationalen Fanatismus aus dem östreichischen Staats¬
körper heraustreiben könnte, sie vergessen aber, daß wenn ihr Beginnen Erfolg
hat, zugleich der "Spiritus" entfliehen und das altöstrcichische "Phlegma" zurück¬
bleiben würde; sie denken nicht daran, daß sie, um Oestreich für den schwarzroth-
goldcnen Anstrich empfänglich zu machen, zuerst mit dem einförmigen schwarzgelb
nntermaleu und eine Leiche mit den deutscheu Farben schmücken wollen. Denn
Oestreich hat seinen Geist aufgegeben, wenn es die Geister seiner Nationen bannt;
und wollte Wien gleich Oestreich werden, so mußte es seine Heere nicht nur nach
Italien, sondern in alle Provinzen schicken, um sie zu erobern. -- Wenn aber


Während sonst die verschiedenen Schattirungen der politischen Meinung in¬
nerhalb derselben Nation die Parteien eines constituirenden oder gesetzgebenden
Körpers bilden und diese eine Nation in ihren Repräsentanten in verschiedene
politische Parteien gegliedert erscheint: so bilden am Reichstage zu Wien und bei
uns in Böhmen gerade umgekehrt die Nationalitäten compacte, ungegliederte Mas¬
sen, welche sich als solche, wenn auch unter andern Namen, als Parteien gegen¬
überstehen. Sonst ist die Nationalität die einheitliche Grundlage eines parlamen¬
tarischen Körpers, in dem sich erst die andern von der Nationalität ganz unab¬
hängigen Unterschiede der freien, unfreien und halbfreien Gesinnung herausstellen;
aber bei uns ist gerade umgekehrt das liberale Streben, eine entschiedene, demo¬
kratische Gesinnung beinahe die durchgreifende Grundlage; aber dieser Liberalismus
ist durch das Prisma der Nationalität in verschiedene Farben gebrochen und tritt
nirgends in seiner ganzen Reinheit heraus. Deutsche und Slaven, oder Centra¬
listen und Föderalisten stehen einander mit der größten Bestimmtheit gegenüber,
obgleich beide Parteien zum Ueberfluß radikal sind; und es ist beinahe ergötzlich
zu beobachten, wie zwischen beiden das consequent schwarzgelbe Häuflein der Alt-
östreicher gleich dem Esel in dem Sophisma, bald nach dem vollen Heubündel der
Centralisten, bald nach dem der Föderalisten mit lüsternen Augen hinschielt, und
wie die schwarzrothgoldene Politik eben so wohl, wie die rothweißblaue, abwech¬
selnd ins schwarzgelbe hinüberschillert. — Die Ultracentralisten (wozu auch die
Dentschböhmen, die in Teplitz tagten, gehören), welche alle durch natürliche Ver¬
hältnisse und geschichtliche Schicksale hinlänglich begründeten Provinzialverschieden-
heiten aufheben, das Reich in Departements eintheilen und auf diese von einem
Centralpunkte ans einwirken wollen, haben trotz dem radikalen Grundton ihrer
Gesinnung eine Tendenz, die man beinahe contrerevolutivnär nennen könnte. Sie
wollen ein Oestreich ans einem Stücke, um dann, nachdem sie dieses Länder-
aggrcgat in einen einzigen großen Organismus verwandelt, den deutscheu Geist
von dem Mittelpunkt aus in alle Glieder desselben einströmen lassen zu können;
aber damit wünschen sie zugleich diejenige Form zurück, zu der der Absolutismus
den östreichischen Länderverein dnrch administrativen und militärischen Zwang ge¬
knetet hat. Sie glauben damit den exorcistischen Spruch gefunden zu haben, mit
dem mau die Dämone des nationalen Fanatismus aus dem östreichischen Staats¬
körper heraustreiben könnte, sie vergessen aber, daß wenn ihr Beginnen Erfolg
hat, zugleich der „Spiritus" entfliehen und das altöstrcichische „Phlegma" zurück¬
bleiben würde; sie denken nicht daran, daß sie, um Oestreich für den schwarzroth-
goldcnen Anstrich empfänglich zu machen, zuerst mit dem einförmigen schwarzgelb
nntermaleu und eine Leiche mit den deutscheu Farben schmücken wollen. Denn
Oestreich hat seinen Geist aufgegeben, wenn es die Geister seiner Nationen bannt;
und wollte Wien gleich Oestreich werden, so mußte es seine Heere nicht nur nach
Italien, sondern in alle Provinzen schicken, um sie zu erobern. — Wenn aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/438>, abgerufen am 29.06.2024.