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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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sagte ein Gardist kaltblütig und stieß den Flüchtling mit der Faust zurück, seine
Nebenmänner sahen ruhig zu. Der Alte, dem sein Judenthum auf die Stirn ge¬
schrieben stand, bat wieder und wieder packte der Gardist ihn bei der Brust und suchte
ihn der Pöbelfluth, die ihr Opfer haben wollte, cntgegcnzuschicben, bis endlich
ein Student dem Tückischen mit flacher Klinge ans die Hand hieb und den alten
Trödler ins Ghetto schlüpfe" ließ. Dies war die Zeit, wo die Juden den alten
Gottesacker, der mitten im fünften Viertel liegt, ausschlossen, damit Weiber, Greise
und Kinder einen Ort hätten, wo sie Luft schöpfen konnten.

Endlich vereinigten sich dreißig junge Bursche aus der Judenstadt und be¬
schlossen ein cclatcmtes Beispiel zu geben, daß die vorausgesetzte Feigheit der
Jsraeliten auch ihre Grenzen habe. Mit Stangen, Stuhlbeinen und Stöcken
fielen sie über eine zahlreiche Rotte her, die plündern kam, und hieben so tüchtig
ein, daß das Gesindel Respect bekam und das Ghetto ans längere Zeit Ruhe
hatte.

Halbkomische Scenen spielten ans dem sogenannten Tcmdlmarkt, wo das Volk
ein System friedlicher und besonnener Plünderung eingeführt hatte. Das Markten
und Feilschen nahm plötzlich ein Ende, die Trodelbnden, wo mancher Bauerbursch
sonst im Handel geschoren wurde, verwandelten sich in unfreiwillige Wohlthätig-
keitsanstalten. So kamen trotzige Gesellen, equipirten sich vom Wirbel bis zur
Zehe und entfernten sich ohne Bezahlung. Zitternd sah man ihnen nach.

In der Pfingstwoche mußte das Judenviertcl ebenfalls Barrikaden bauen;
die Czechen hatten diesen Beweis von Patriotismus von den Juden verlangt,
aber die Barrikaden wurden weder angegriffen noch vertheidigt. Täglich zog eine
Abtheilung Swornost durch das Ghetto, um Steuern in Geld und Naturalien zu
erheben, aus allen Fenstern flogen die Silbermünzen, Alles zahlte mit Vergnügen,
um die drohenden Gäste los zu sein. Hinter den Swornostrittern strömte die
irreguläre Miliz des Aufstandes uach und brandschatzte. Wie aus der Erde quoll
das moderne Hnssitenvolk in furchtbaren Massen, mit Spießen, Beilen und nägel-
bewehrtcn Stangen bewaffnet. Wenn die Einnahme zur Zufriedenheit ausfiel,
pflegten sie zu rufen: "Ihr seid unsere lieben Bruder und wir wollen euch be¬
schützen. Wir hätten euch niemals angegriffen, wenn mau uns nicht dafür bezahlt
hätte." Das Schlimmste war, die Banden spielten wirklich die Wache des Juden¬
viertels und marschirten, betrunken, heulend und ihre Waffen schwingend, Stunden
lang in den Straßen ans und nieder, daß ihren Schützlingen bang wurde. Die
Schrecken jener Tage waren jedoch allgemein, denn wie hier der Pöbel, so und
noch toller wirthschaftete in der Alt- und Neustadt das Militär. Eine Woche
lang lagen die Leichen der Gestorbenen bei Juden und Christen und konnten nicht
beerdigt werden.

Indeß war die neutrale Haltung der Judenstadt zu augenscheinlich, um sie
vor späterem Uebelwollen zu schützen. Die Juden hatten Grenadieren, die von


sagte ein Gardist kaltblütig und stieß den Flüchtling mit der Faust zurück, seine
Nebenmänner sahen ruhig zu. Der Alte, dem sein Judenthum auf die Stirn ge¬
schrieben stand, bat wieder und wieder packte der Gardist ihn bei der Brust und suchte
ihn der Pöbelfluth, die ihr Opfer haben wollte, cntgegcnzuschicben, bis endlich
ein Student dem Tückischen mit flacher Klinge ans die Hand hieb und den alten
Trödler ins Ghetto schlüpfe» ließ. Dies war die Zeit, wo die Juden den alten
Gottesacker, der mitten im fünften Viertel liegt, ausschlossen, damit Weiber, Greise
und Kinder einen Ort hätten, wo sie Luft schöpfen konnten.

Endlich vereinigten sich dreißig junge Bursche aus der Judenstadt und be¬
schlossen ein cclatcmtes Beispiel zu geben, daß die vorausgesetzte Feigheit der
Jsraeliten auch ihre Grenzen habe. Mit Stangen, Stuhlbeinen und Stöcken
fielen sie über eine zahlreiche Rotte her, die plündern kam, und hieben so tüchtig
ein, daß das Gesindel Respect bekam und das Ghetto ans längere Zeit Ruhe
hatte.

Halbkomische Scenen spielten ans dem sogenannten Tcmdlmarkt, wo das Volk
ein System friedlicher und besonnener Plünderung eingeführt hatte. Das Markten
und Feilschen nahm plötzlich ein Ende, die Trodelbnden, wo mancher Bauerbursch
sonst im Handel geschoren wurde, verwandelten sich in unfreiwillige Wohlthätig-
keitsanstalten. So kamen trotzige Gesellen, equipirten sich vom Wirbel bis zur
Zehe und entfernten sich ohne Bezahlung. Zitternd sah man ihnen nach.

In der Pfingstwoche mußte das Judenviertcl ebenfalls Barrikaden bauen;
die Czechen hatten diesen Beweis von Patriotismus von den Juden verlangt,
aber die Barrikaden wurden weder angegriffen noch vertheidigt. Täglich zog eine
Abtheilung Swornost durch das Ghetto, um Steuern in Geld und Naturalien zu
erheben, aus allen Fenstern flogen die Silbermünzen, Alles zahlte mit Vergnügen,
um die drohenden Gäste los zu sein. Hinter den Swornostrittern strömte die
irreguläre Miliz des Aufstandes uach und brandschatzte. Wie aus der Erde quoll
das moderne Hnssitenvolk in furchtbaren Massen, mit Spießen, Beilen und nägel-
bewehrtcn Stangen bewaffnet. Wenn die Einnahme zur Zufriedenheit ausfiel,
pflegten sie zu rufen: „Ihr seid unsere lieben Bruder und wir wollen euch be¬
schützen. Wir hätten euch niemals angegriffen, wenn mau uns nicht dafür bezahlt
hätte." Das Schlimmste war, die Banden spielten wirklich die Wache des Juden¬
viertels und marschirten, betrunken, heulend und ihre Waffen schwingend, Stunden
lang in den Straßen ans und nieder, daß ihren Schützlingen bang wurde. Die
Schrecken jener Tage waren jedoch allgemein, denn wie hier der Pöbel, so und
noch toller wirthschaftete in der Alt- und Neustadt das Militär. Eine Woche
lang lagen die Leichen der Gestorbenen bei Juden und Christen und konnten nicht
beerdigt werden.

Indeß war die neutrale Haltung der Judenstadt zu augenscheinlich, um sie
vor späterem Uebelwollen zu schützen. Die Juden hatten Grenadieren, die von


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[0435] sagte ein Gardist kaltblütig und stieß den Flüchtling mit der Faust zurück, seine Nebenmänner sahen ruhig zu. Der Alte, dem sein Judenthum auf die Stirn ge¬ schrieben stand, bat wieder und wieder packte der Gardist ihn bei der Brust und suchte ihn der Pöbelfluth, die ihr Opfer haben wollte, cntgegcnzuschicben, bis endlich ein Student dem Tückischen mit flacher Klinge ans die Hand hieb und den alten Trödler ins Ghetto schlüpfe» ließ. Dies war die Zeit, wo die Juden den alten Gottesacker, der mitten im fünften Viertel liegt, ausschlossen, damit Weiber, Greise und Kinder einen Ort hätten, wo sie Luft schöpfen konnten. Endlich vereinigten sich dreißig junge Bursche aus der Judenstadt und be¬ schlossen ein cclatcmtes Beispiel zu geben, daß die vorausgesetzte Feigheit der Jsraeliten auch ihre Grenzen habe. Mit Stangen, Stuhlbeinen und Stöcken fielen sie über eine zahlreiche Rotte her, die plündern kam, und hieben so tüchtig ein, daß das Gesindel Respect bekam und das Ghetto ans längere Zeit Ruhe hatte. Halbkomische Scenen spielten ans dem sogenannten Tcmdlmarkt, wo das Volk ein System friedlicher und besonnener Plünderung eingeführt hatte. Das Markten und Feilschen nahm plötzlich ein Ende, die Trodelbnden, wo mancher Bauerbursch sonst im Handel geschoren wurde, verwandelten sich in unfreiwillige Wohlthätig- keitsanstalten. So kamen trotzige Gesellen, equipirten sich vom Wirbel bis zur Zehe und entfernten sich ohne Bezahlung. Zitternd sah man ihnen nach. In der Pfingstwoche mußte das Judenviertcl ebenfalls Barrikaden bauen; die Czechen hatten diesen Beweis von Patriotismus von den Juden verlangt, aber die Barrikaden wurden weder angegriffen noch vertheidigt. Täglich zog eine Abtheilung Swornost durch das Ghetto, um Steuern in Geld und Naturalien zu erheben, aus allen Fenstern flogen die Silbermünzen, Alles zahlte mit Vergnügen, um die drohenden Gäste los zu sein. Hinter den Swornostrittern strömte die irreguläre Miliz des Aufstandes uach und brandschatzte. Wie aus der Erde quoll das moderne Hnssitenvolk in furchtbaren Massen, mit Spießen, Beilen und nägel- bewehrtcn Stangen bewaffnet. Wenn die Einnahme zur Zufriedenheit ausfiel, pflegten sie zu rufen: „Ihr seid unsere lieben Bruder und wir wollen euch be¬ schützen. Wir hätten euch niemals angegriffen, wenn mau uns nicht dafür bezahlt hätte." Das Schlimmste war, die Banden spielten wirklich die Wache des Juden¬ viertels und marschirten, betrunken, heulend und ihre Waffen schwingend, Stunden lang in den Straßen ans und nieder, daß ihren Schützlingen bang wurde. Die Schrecken jener Tage waren jedoch allgemein, denn wie hier der Pöbel, so und noch toller wirthschaftete in der Alt- und Neustadt das Militär. Eine Woche lang lagen die Leichen der Gestorbenen bei Juden und Christen und konnten nicht beerdigt werden. Indeß war die neutrale Haltung der Judenstadt zu augenscheinlich, um sie vor späterem Uebelwollen zu schützen. Die Juden hatten Grenadieren, die von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/435>, abgerufen am 28.09.2024.