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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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treue Anhänglichkeit der Köchinnen und Mägde, die sich in der Katzenmusik auf
dem Roßmarkt Lust machte? Eine wirkliche Dame erzählte mir, wie sie kurz nach
den Junitagen eines Abends auf der Kleinseite aus dem Fenster sah; unten ging
eine Bärenmütze mit dem "Schatz" spazieren. Ans den breiten Schultern der nu߬
brauner Maid prangte ein Cashemirshawl und als sie die Handschuhe von den
schwieligen Händen zog, waren sämmtliche zehn Finger, die Daumen nicht aus-
genommen, doppelt und dreifach mit Demantriugcn besetzt. Solcher Pärchen, die
sich im Mondschein an ihrem Raubsegen weideten, konnte man damals zu Dutzen.
den sehen; jetzt wird dergleichen Putz nicht mehr zur Schau getragen, sondern
vergraben oder zu Spottpreisen an jüdische und christliche Hehler verhandelt.

Aber das Militär ist nur ein schwacher Ableiter für die andern Gegenstände
des Vvlkshasses. Der Zwiespalt zwischen Deutsch und Czechisch, Katholisch und
Indisch glimmt dabei mächtig fort; und der Judenhaß, der in Prag von jeher
auch unter den höhern Ständen heimisch war, bildet wie in Posen ein wesentli¬
ches und charakteristisches Element der nationalen Bewegung. Die Prager Juden
sprechen wenig oder schlecht czechisch, sind also schon deshalb als Feinde angesehen;
das Deutschthum in ihnen ist jedoch nur ein Nebengrund deS Hasses und ich lege
darauf kein politisches Gewicht, aber an den Juden, als der wehrlosesten Mino¬
rität haben die Czechen von Anfang an am ungenirlesten ihr Müthchen gekühlt.
Ihr Naturell hat dabei seine eigenthümlichen Seiten am vollsten entfaltet und in
sofern wirst das Benehmen der Stadt gegen das fünfte Viertel (die Judenstadt)
ein nur zu Helles Licht auf unsere Zustände.

Es versteht sich, daß keine Revolution in einem Tage die Sünden von Jahr¬
hunderten gutmacht; sie beginnt nur damit, sie aufzudecken; und in wenigen Län¬
dern fand sie solche Verwilderung vor wie hier. Der jüdische Pöbel unterscheidet
sich vom christlichen specifisch, wie in allen orthodoxen Gesellschaften; Laster und
Tugenden sind bei beiden andere. Doch ist jener dreimal erträglicher als man
nach dem Druck, unter dem er lebt, erwarten sollte, während der czcchische Pö¬
bel, gegen die Juden wenigstens, eine Härte nud Tücke zeigt, die selbst durch drei¬
mal mettcrnichischen Despotismus kaum erklärlich wird.

Wer hätte nie vom Prager Ghetto gehört? Merkwürdig ist, daß es noch
besteht. Nur wenige Familien erlangen die Begünstigung, außerhalb desselben
in ein für alle Mal gewählten Häusern wohnen zu dürfen und sie behaupten sich
nur mit Mühe draußen, sind fortwährend mit dem Ghettozwang, bald vom Pöbel bald
von den Behörden bedroht, progressiven Miethsteigerungen und andern Ehicanen
ausgesetzt. Im Ghetto selbst ist eine Bevölkerung von 6000 Seelen auf den eng¬
sten Raum zusammengedrängt. Jeder kennt wohl aus Beschreibungen, was
solch ein Treibhaus für Schmutz und Armuth sagen will, doch ohne eigene An¬
schauung bildet man sich kaum einen Begriff von den finstern klvakenartigen Ein¬
gängen und der sanitätswidrigen Beschaffenheit der meisten Gebäude in der Pra-


treue Anhänglichkeit der Köchinnen und Mägde, die sich in der Katzenmusik auf
dem Roßmarkt Lust machte? Eine wirkliche Dame erzählte mir, wie sie kurz nach
den Junitagen eines Abends auf der Kleinseite aus dem Fenster sah; unten ging
eine Bärenmütze mit dem „Schatz" spazieren. Ans den breiten Schultern der nu߬
brauner Maid prangte ein Cashemirshawl und als sie die Handschuhe von den
schwieligen Händen zog, waren sämmtliche zehn Finger, die Daumen nicht aus-
genommen, doppelt und dreifach mit Demantriugcn besetzt. Solcher Pärchen, die
sich im Mondschein an ihrem Raubsegen weideten, konnte man damals zu Dutzen.
den sehen; jetzt wird dergleichen Putz nicht mehr zur Schau getragen, sondern
vergraben oder zu Spottpreisen an jüdische und christliche Hehler verhandelt.

Aber das Militär ist nur ein schwacher Ableiter für die andern Gegenstände
des Vvlkshasses. Der Zwiespalt zwischen Deutsch und Czechisch, Katholisch und
Indisch glimmt dabei mächtig fort; und der Judenhaß, der in Prag von jeher
auch unter den höhern Ständen heimisch war, bildet wie in Posen ein wesentli¬
ches und charakteristisches Element der nationalen Bewegung. Die Prager Juden
sprechen wenig oder schlecht czechisch, sind also schon deshalb als Feinde angesehen;
das Deutschthum in ihnen ist jedoch nur ein Nebengrund deS Hasses und ich lege
darauf kein politisches Gewicht, aber an den Juden, als der wehrlosesten Mino¬
rität haben die Czechen von Anfang an am ungenirlesten ihr Müthchen gekühlt.
Ihr Naturell hat dabei seine eigenthümlichen Seiten am vollsten entfaltet und in
sofern wirst das Benehmen der Stadt gegen das fünfte Viertel (die Judenstadt)
ein nur zu Helles Licht auf unsere Zustände.

Es versteht sich, daß keine Revolution in einem Tage die Sünden von Jahr¬
hunderten gutmacht; sie beginnt nur damit, sie aufzudecken; und in wenigen Län¬
dern fand sie solche Verwilderung vor wie hier. Der jüdische Pöbel unterscheidet
sich vom christlichen specifisch, wie in allen orthodoxen Gesellschaften; Laster und
Tugenden sind bei beiden andere. Doch ist jener dreimal erträglicher als man
nach dem Druck, unter dem er lebt, erwarten sollte, während der czcchische Pö¬
bel, gegen die Juden wenigstens, eine Härte nud Tücke zeigt, die selbst durch drei¬
mal mettcrnichischen Despotismus kaum erklärlich wird.

Wer hätte nie vom Prager Ghetto gehört? Merkwürdig ist, daß es noch
besteht. Nur wenige Familien erlangen die Begünstigung, außerhalb desselben
in ein für alle Mal gewählten Häusern wohnen zu dürfen und sie behaupten sich
nur mit Mühe draußen, sind fortwährend mit dem Ghettozwang, bald vom Pöbel bald
von den Behörden bedroht, progressiven Miethsteigerungen und andern Ehicanen
ausgesetzt. Im Ghetto selbst ist eine Bevölkerung von 6000 Seelen auf den eng¬
sten Raum zusammengedrängt. Jeder kennt wohl aus Beschreibungen, was
solch ein Treibhaus für Schmutz und Armuth sagen will, doch ohne eigene An¬
schauung bildet man sich kaum einen Begriff von den finstern klvakenartigen Ein¬
gängen und der sanitätswidrigen Beschaffenheit der meisten Gebäude in der Pra-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/433>, abgerufen am 29.06.2024.