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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Eine getreue Schilderung unserer täglichen Vorgänge würde zahllose Luftspielstoffe
liefern und dennoch sind diese täglichen Possen die Symptome eines sehr unheim¬
lichen, sehr traurigen Zustandes. Denselben Doppelcharakter trugen die meisten
Scenen der czcchischeu Bewegung seit dem Frühlingsanfang. Der Slavencongreß
berühmte sich, mit welthistorischen Geburten schwanger zu gehn und glich einem
Völkcrballet, einer bizarren Maskerade. Die Maskerade wird zu einem blutigen
Aufstand; der Aufstand, kaum überwunden, erscheint mit einem Mal unerklärlich;
man würde ihn, ohne die leibhaftigen Spuren und die empfindlichen Nachwehen
des Kampfes, für einen bösen Traum halten; denn wer vermag an den Ernst je¬
uer Planmachereien zu glauben, welche man der Empörung zu Grunde legt?
Daher können die Czechen mit großem Erfolg über die angebliche "Verschwörung"
spotten, aber wenn die früher so ruhmrediger Apostel des Westslavenreichs mit
einmal ihre kaiserlich-östreichische Gesinnung herausstreichen und für eitel Mär¬
chen Alles und Jedes erklären, was man von tiefern Anschlägen ihnen zuschrieb,
so wirkt diese Metamorphose doch zu verblüffend. Sollte der Aufstand nur ein
Zufall, ein Werk des Jähzorns, eine Uebereilung gewesen sein? Warum wurde
er dann so hartnäckig geführt, warum wurden die ungemein günstigen Bedingun¬
gen, die der Commandant am zweiten und dritten Tage stellte, zurückgewiesen?
An der Verschwörung, im weitern Sinn des Wortes, scheint etwas Wahres. Auf
die Protestationen der Swornost, der Bürger, der Weiber und auf die trotzigen
Demcutis von Palacky und Lnbomirski gegen den Ausdruck "Verschwörung" in
einem Erlaß des Fürsten Windischgrätz, antwortet die Erklärung des Vicebürger-
Meisters und Kriminalamtvorstehers P her oß, daß die Aktenstücke, auf welche'der
Fürst den vielangefochtenen Ausspruch gründete, allerdings vorhanden seien, aber
vor Beendigung der geheimen Voruntersuchung nicht veröffentlicht werden könnten.
Barrikaden - und Straßenkampfpläne siud ebenfalls in den Händen des Gerichts
und mehr als sonderbar klingt die Ausflucht, mit der die Czechen diese Vorberei¬
tungen beschönigen: man habe sich zur Schilderhcbung gerüstet, aber nur gegen
die Person des Commandanten, nicht gegen die Regierung, nicht gegen die
Deutschen!?

Der Junikampf war höchst unnütz, höchst sinnlos, ist er darum weniger eine
Thatsache? Daß die Verschwörung dem politischen Verstände der Herrn Palacky,
Lnbomirski, Bouquoi, Faster und Konsorten wenig Ehre machen würde, ist uns
kein Grund, ihre Existenz für eine Unmöglichkeit zu halten.

Auch die fortwühlende Agitation gegen alles Unczcchische in Prag und in
mehrern stockböhmischen Kreisen hat weder Sinn noch Verstand (?), aber sie ist
da und daß sie vorzugsweise in den untern Schichten der Gesellschaft gährt, ist
ein schlechter Trost. Tie untern Stände bilden in Böhmen eine überwältigende
Majorität, die obern Classen sind eingeschüchtert; im Juni waren es, nicht blos
deutsche, sondern eben so czcchische Bürger, die den Pöbel schalten ließen, denn


Eine getreue Schilderung unserer täglichen Vorgänge würde zahllose Luftspielstoffe
liefern und dennoch sind diese täglichen Possen die Symptome eines sehr unheim¬
lichen, sehr traurigen Zustandes. Denselben Doppelcharakter trugen die meisten
Scenen der czcchischeu Bewegung seit dem Frühlingsanfang. Der Slavencongreß
berühmte sich, mit welthistorischen Geburten schwanger zu gehn und glich einem
Völkcrballet, einer bizarren Maskerade. Die Maskerade wird zu einem blutigen
Aufstand; der Aufstand, kaum überwunden, erscheint mit einem Mal unerklärlich;
man würde ihn, ohne die leibhaftigen Spuren und die empfindlichen Nachwehen
des Kampfes, für einen bösen Traum halten; denn wer vermag an den Ernst je¬
uer Planmachereien zu glauben, welche man der Empörung zu Grunde legt?
Daher können die Czechen mit großem Erfolg über die angebliche „Verschwörung"
spotten, aber wenn die früher so ruhmrediger Apostel des Westslavenreichs mit
einmal ihre kaiserlich-östreichische Gesinnung herausstreichen und für eitel Mär¬
chen Alles und Jedes erklären, was man von tiefern Anschlägen ihnen zuschrieb,
so wirkt diese Metamorphose doch zu verblüffend. Sollte der Aufstand nur ein
Zufall, ein Werk des Jähzorns, eine Uebereilung gewesen sein? Warum wurde
er dann so hartnäckig geführt, warum wurden die ungemein günstigen Bedingun¬
gen, die der Commandant am zweiten und dritten Tage stellte, zurückgewiesen?
An der Verschwörung, im weitern Sinn des Wortes, scheint etwas Wahres. Auf
die Protestationen der Swornost, der Bürger, der Weiber und auf die trotzigen
Demcutis von Palacky und Lnbomirski gegen den Ausdruck „Verschwörung" in
einem Erlaß des Fürsten Windischgrätz, antwortet die Erklärung des Vicebürger-
Meisters und Kriminalamtvorstehers P her oß, daß die Aktenstücke, auf welche'der
Fürst den vielangefochtenen Ausspruch gründete, allerdings vorhanden seien, aber
vor Beendigung der geheimen Voruntersuchung nicht veröffentlicht werden könnten.
Barrikaden - und Straßenkampfpläne siud ebenfalls in den Händen des Gerichts
und mehr als sonderbar klingt die Ausflucht, mit der die Czechen diese Vorberei¬
tungen beschönigen: man habe sich zur Schilderhcbung gerüstet, aber nur gegen
die Person des Commandanten, nicht gegen die Regierung, nicht gegen die
Deutschen!?

Der Junikampf war höchst unnütz, höchst sinnlos, ist er darum weniger eine
Thatsache? Daß die Verschwörung dem politischen Verstände der Herrn Palacky,
Lnbomirski, Bouquoi, Faster und Konsorten wenig Ehre machen würde, ist uns
kein Grund, ihre Existenz für eine Unmöglichkeit zu halten.

Auch die fortwühlende Agitation gegen alles Unczcchische in Prag und in
mehrern stockböhmischen Kreisen hat weder Sinn noch Verstand (?), aber sie ist
da und daß sie vorzugsweise in den untern Schichten der Gesellschaft gährt, ist
ein schlechter Trost. Tie untern Stände bilden in Böhmen eine überwältigende
Majorität, die obern Classen sind eingeschüchtert; im Juni waren es, nicht blos
deutsche, sondern eben so czcchische Bürger, die den Pöbel schalten ließen, denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/430>, abgerufen am 29.06.2024.