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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Aus Prag.



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Ueber mir wohnt eine gemischte Ehe: eine Czechin und ein Deutschböhme.
Er, ein ausgedienter Frachtfuhrmann ans dem Riesengebirge, sie, eine Müllers¬
tochter vom Lande, haben lange Jahre in friedlicher Ehe gelebt, bis das Wort:
Frankfurt, ihnen die Milch der frommen Denkungsart in scharfen Essig verwan¬
delte. Meine Zimmerdecke verkündigt mir nun täglich dnrch die heftigen Stöße,
von denen sie erschüttert wird, daß der Zwist der Nationalitäten noch nicht er¬
loschen ist. Bemerkenswert!) ist bei diesen häuslichen Scenen, daß die corpulente
Müllerin fast immer anfängt und daß der schwcrwandelnde Frachtfnhrmann, einmal
in Harnisch gebracht, nicht aufhört. Sie trällert den bekannten Gassenhauer von
Schuselka und dem Bauchweh des deutschen Reiches, er nimmt den Hut und wirft
die Thür ins Schloß. Da lacht sie. Zornig kehrt er um und verbietet ihr das
gemeine Zeug zu singen. Wie, was? Seht einmal! Der heilige Wenzel verzeih
ihr^le Sünde, daß sie so'n dnnimcn Njcmetz geheirathet hat! Er will ihr wohl
das Singen verbieten, er will sie lehren, was gemein ist; er, der kaum zehn
Worte böhmisch versteht! -- Ist mir schon das zu viel, sagt er; man kann ja keine
fünf Worte böhmisch hören, ohne daß darin lunvnn oder KilKr.imvntk vorkommt. --
Du Satratzeney (Vermaledeiter), du Grenadier, du Windischgrätz! schreit sie in
angemessener Steigerung. - Gib Acht, daß ich dich nicht bombardire! und er
zeigt die geballten Fäuste. Der Krieg ist erklärt, die Enkelin Libnssas und der
Sohn Rübezahls liegen einander feindlich in den Armen, bis das Geräusch und
Gekreisch, das Gestampf und Gepolter ihre Nachbarn im zweiten Stock zur Ju--
tervention zwingt.

Und deshalb dräuen, nach Aufhebung des Belagerungszustandes, noch die
Kanonen auf dem Hradschin, deshalb ragen, deutlich von der Brücke ans zu erken¬
nen, die hohen Pechstangen auf dem Belvedere und ans dem Lorenzoberge! Eine
Schildwache mit brennender Lunte geht an jeder Stange auf und nieder, im Nu
kann das Alarmzeichen aufflammen und die Reiterei, welche in die benachbarten
Dörfer verlegt ist, nach Prag hereinrufen.

Seltsames Land, wo das Burleske und das Tragische kaum trennbar in ein¬
ander fließen, wo dieselben Erscheinungen zugleich Lachen und Entsetzen erregen.
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Aus Prag.



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Ueber mir wohnt eine gemischte Ehe: eine Czechin und ein Deutschböhme.
Er, ein ausgedienter Frachtfuhrmann ans dem Riesengebirge, sie, eine Müllers¬
tochter vom Lande, haben lange Jahre in friedlicher Ehe gelebt, bis das Wort:
Frankfurt, ihnen die Milch der frommen Denkungsart in scharfen Essig verwan¬
delte. Meine Zimmerdecke verkündigt mir nun täglich dnrch die heftigen Stöße,
von denen sie erschüttert wird, daß der Zwist der Nationalitäten noch nicht er¬
loschen ist. Bemerkenswert!) ist bei diesen häuslichen Scenen, daß die corpulente
Müllerin fast immer anfängt und daß der schwcrwandelnde Frachtfnhrmann, einmal
in Harnisch gebracht, nicht aufhört. Sie trällert den bekannten Gassenhauer von
Schuselka und dem Bauchweh des deutschen Reiches, er nimmt den Hut und wirft
die Thür ins Schloß. Da lacht sie. Zornig kehrt er um und verbietet ihr das
gemeine Zeug zu singen. Wie, was? Seht einmal! Der heilige Wenzel verzeih
ihr^le Sünde, daß sie so'n dnnimcn Njcmetz geheirathet hat! Er will ihr wohl
das Singen verbieten, er will sie lehren, was gemein ist; er, der kaum zehn
Worte böhmisch versteht! — Ist mir schon das zu viel, sagt er; man kann ja keine
fünf Worte böhmisch hören, ohne daß darin lunvnn oder KilKr.imvntk vorkommt. —
Du Satratzeney (Vermaledeiter), du Grenadier, du Windischgrätz! schreit sie in
angemessener Steigerung. - Gib Acht, daß ich dich nicht bombardire! und er
zeigt die geballten Fäuste. Der Krieg ist erklärt, die Enkelin Libnssas und der
Sohn Rübezahls liegen einander feindlich in den Armen, bis das Geräusch und
Gekreisch, das Gestampf und Gepolter ihre Nachbarn im zweiten Stock zur Ju--
tervention zwingt.

Und deshalb dräuen, nach Aufhebung des Belagerungszustandes, noch die
Kanonen auf dem Hradschin, deshalb ragen, deutlich von der Brücke ans zu erken¬
nen, die hohen Pechstangen auf dem Belvedere und ans dem Lorenzoberge! Eine
Schildwache mit brennender Lunte geht an jeder Stange auf und nieder, im Nu
kann das Alarmzeichen aufflammen und die Reiterei, welche in die benachbarten
Dörfer verlegt ist, nach Prag hereinrufen.

Seltsames Land, wo das Burleske und das Tragische kaum trennbar in ein¬
ander fließen, wo dieselben Erscheinungen zugleich Lachen und Entsetzen erregen.
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[0429] Aus Prag. «. Ueber mir wohnt eine gemischte Ehe: eine Czechin und ein Deutschböhme. Er, ein ausgedienter Frachtfuhrmann ans dem Riesengebirge, sie, eine Müllers¬ tochter vom Lande, haben lange Jahre in friedlicher Ehe gelebt, bis das Wort: Frankfurt, ihnen die Milch der frommen Denkungsart in scharfen Essig verwan¬ delte. Meine Zimmerdecke verkündigt mir nun täglich dnrch die heftigen Stöße, von denen sie erschüttert wird, daß der Zwist der Nationalitäten noch nicht er¬ loschen ist. Bemerkenswert!) ist bei diesen häuslichen Scenen, daß die corpulente Müllerin fast immer anfängt und daß der schwcrwandelnde Frachtfnhrmann, einmal in Harnisch gebracht, nicht aufhört. Sie trällert den bekannten Gassenhauer von Schuselka und dem Bauchweh des deutschen Reiches, er nimmt den Hut und wirft die Thür ins Schloß. Da lacht sie. Zornig kehrt er um und verbietet ihr das gemeine Zeug zu singen. Wie, was? Seht einmal! Der heilige Wenzel verzeih ihr^le Sünde, daß sie so'n dnnimcn Njcmetz geheirathet hat! Er will ihr wohl das Singen verbieten, er will sie lehren, was gemein ist; er, der kaum zehn Worte böhmisch versteht! — Ist mir schon das zu viel, sagt er; man kann ja keine fünf Worte böhmisch hören, ohne daß darin lunvnn oder KilKr.imvntk vorkommt. — Du Satratzeney (Vermaledeiter), du Grenadier, du Windischgrätz! schreit sie in angemessener Steigerung. - Gib Acht, daß ich dich nicht bombardire! und er zeigt die geballten Fäuste. Der Krieg ist erklärt, die Enkelin Libnssas und der Sohn Rübezahls liegen einander feindlich in den Armen, bis das Geräusch und Gekreisch, das Gestampf und Gepolter ihre Nachbarn im zweiten Stock zur Ju-- tervention zwingt. Und deshalb dräuen, nach Aufhebung des Belagerungszustandes, noch die Kanonen auf dem Hradschin, deshalb ragen, deutlich von der Brücke ans zu erken¬ nen, die hohen Pechstangen auf dem Belvedere und ans dem Lorenzoberge! Eine Schildwache mit brennender Lunte geht an jeder Stange auf und nieder, im Nu kann das Alarmzeichen aufflammen und die Reiterei, welche in die benachbarten Dörfer verlegt ist, nach Prag hereinrufen. Seltsames Land, wo das Burleske und das Tragische kaum trennbar in ein¬ ander fließen, wo dieselben Erscheinungen zugleich Lachen und Entsetzen erregen. ' Vrmjbottn. »I. ,«4». i)4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/429>, abgerufen am 29.06.2024.