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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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kommen können, eine ähnliche hierarchische Organisation zum Zwecke der guten
Sache zu haben." Laut sagten sie: "Freiheit über alles! Kümmere dich nicht
um uns, Staat, dann werden wir die Jesuiten schon zu Paaren treiben!"

Einerseits setzt das eiuen Begriff vom Staat voraus, der nicht haltbar ist:
als ob er außer dem Organismus der Gesellschaft stehe, und nur das polizeiliche
Recht der Beaufsichtigung habe. Man denkt noch immer an den alten Polizeistaat,
und vergißt, daß der neue eben ein lebendiger Ausdruck des Gemeinwesens sein soll.

Am sonderbarsten ist aber die Unkenntniß über das, was mau Kirche "eunt.
Die Kirche besteht uicht in einem Komplex von Individuen, sie ist eine ideelle
Gemeinschaft, die ihren Boden außerhalb der Erde hat. Das gilt vou der katho¬
lischen wie von der evangelischen. Autonomie der Kirche heißt: Recht des Pap¬
stes, jeden Mißliebigen zu ezcommuniciren; Recht und Pflicht des Geistlichen, die¬
sem Bann durch Aufreizung des ungebildeten Volkes Geltung zu verschaffen. Es
heißt ferner: Im Falle eine Provinz, z. B. Westphalen, von der Kirche abfal¬
len sollte, Recht der Kirche, die dortigen gottesdienstlichen Häuser und liegenden
Gründe weiter zu besitzen, die Geistlichen weiter dort anzustellen u. s. w. Auto¬
nomie der Kirche heißt: unbeschränkter Despotismus der Hierarchie und Unfähig¬
keit des Gemeinwesens, den unsittlichen Einrichtungen derselben, z. B. dem Bettcl-
mönchswesen u. s. w., Schranken zu setzen.

Aber es ist mit der protestantischen Kirche nicht anders. Haben die Pietisten
uuter Eichhorn im Namen des Staats die lichtfreundlichen Geistlichen abge¬
setzt? Nein, im Namen des Kirchenregiments! Gesetze, die Synodalverfassung
der protestantischen Kirche käme zu Stande, so haben wir doch nicht eine Freiheit
der Gemeinde, ihre kirchlichen Angelegenheiten selber zu besorgen, sondern nur
eine neue kirchliche Herrschaft, wenn anch der Träger derselben ein Anderer ge¬
worden ist.

Die Linke war also, trotz ihrer Zuversicht und ihrer Witze dupirt, dupirt,
weil sie, wie gewöhnlich, ohne Kenntniß von der Sache sich auf ein Urtheil einließ.

Der Staat, als das constituirte Gemeinwesen, soll anch die Kirche in sich
fasse". Nur muß man den Staat weder blos im König, noch blos im Parla¬
ment, noch blos in der Gemeinde suchen. Auch eine Autonomie der Communen
darf uicht ohne Aufsicht des Staates bestehen, sonst könnte der Fall eintreten, daß
eine bigotte Majorität z. B. den Juden oder sonst einer Seele, das Recht anta¬
stete, Gottesdienst zu halten.

Es will gesagt sein: Der Staat, d. h. das constituirte Gemeinwesen, muß
zuletzt auch das Recht haben, die blos ideelle Gemeinschaft der Kirche aufzuheben,
ihre Güter zu andern Zwecken zu verwenden. Er wird und kann es freilich nur
da thun, wo er im Sinne der Betheiligten handelt. Wenn aber z. B. der Staat
Aargau im Einverständniß mit der Majorität seiner katholischen Bürger die Auf¬
hebung der Klöster beschließt, so hat die Kirche uicht darein zu reden. Wenn der


kommen können, eine ähnliche hierarchische Organisation zum Zwecke der guten
Sache zu haben." Laut sagten sie: „Freiheit über alles! Kümmere dich nicht
um uns, Staat, dann werden wir die Jesuiten schon zu Paaren treiben!"

Einerseits setzt das eiuen Begriff vom Staat voraus, der nicht haltbar ist:
als ob er außer dem Organismus der Gesellschaft stehe, und nur das polizeiliche
Recht der Beaufsichtigung habe. Man denkt noch immer an den alten Polizeistaat,
und vergißt, daß der neue eben ein lebendiger Ausdruck des Gemeinwesens sein soll.

Am sonderbarsten ist aber die Unkenntniß über das, was mau Kirche »eunt.
Die Kirche besteht uicht in einem Komplex von Individuen, sie ist eine ideelle
Gemeinschaft, die ihren Boden außerhalb der Erde hat. Das gilt vou der katho¬
lischen wie von der evangelischen. Autonomie der Kirche heißt: Recht des Pap¬
stes, jeden Mißliebigen zu ezcommuniciren; Recht und Pflicht des Geistlichen, die¬
sem Bann durch Aufreizung des ungebildeten Volkes Geltung zu verschaffen. Es
heißt ferner: Im Falle eine Provinz, z. B. Westphalen, von der Kirche abfal¬
len sollte, Recht der Kirche, die dortigen gottesdienstlichen Häuser und liegenden
Gründe weiter zu besitzen, die Geistlichen weiter dort anzustellen u. s. w. Auto¬
nomie der Kirche heißt: unbeschränkter Despotismus der Hierarchie und Unfähig¬
keit des Gemeinwesens, den unsittlichen Einrichtungen derselben, z. B. dem Bettcl-
mönchswesen u. s. w., Schranken zu setzen.

Aber es ist mit der protestantischen Kirche nicht anders. Haben die Pietisten
uuter Eichhorn im Namen des Staats die lichtfreundlichen Geistlichen abge¬
setzt? Nein, im Namen des Kirchenregiments! Gesetze, die Synodalverfassung
der protestantischen Kirche käme zu Stande, so haben wir doch nicht eine Freiheit
der Gemeinde, ihre kirchlichen Angelegenheiten selber zu besorgen, sondern nur
eine neue kirchliche Herrschaft, wenn anch der Träger derselben ein Anderer ge¬
worden ist.

Die Linke war also, trotz ihrer Zuversicht und ihrer Witze dupirt, dupirt,
weil sie, wie gewöhnlich, ohne Kenntniß von der Sache sich auf ein Urtheil einließ.

Der Staat, als das constituirte Gemeinwesen, soll anch die Kirche in sich
fasse». Nur muß man den Staat weder blos im König, noch blos im Parla¬
ment, noch blos in der Gemeinde suchen. Auch eine Autonomie der Communen
darf uicht ohne Aufsicht des Staates bestehen, sonst könnte der Fall eintreten, daß
eine bigotte Majorität z. B. den Juden oder sonst einer Seele, das Recht anta¬
stete, Gottesdienst zu halten.

Es will gesagt sein: Der Staat, d. h. das constituirte Gemeinwesen, muß
zuletzt auch das Recht haben, die blos ideelle Gemeinschaft der Kirche aufzuheben,
ihre Güter zu andern Zwecken zu verwenden. Er wird und kann es freilich nur
da thun, wo er im Sinne der Betheiligten handelt. Wenn aber z. B. der Staat
Aargau im Einverständniß mit der Majorität seiner katholischen Bürger die Auf¬
hebung der Klöster beschließt, so hat die Kirche uicht darein zu reden. Wenn der


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[0417] kommen können, eine ähnliche hierarchische Organisation zum Zwecke der guten Sache zu haben." Laut sagten sie: „Freiheit über alles! Kümmere dich nicht um uns, Staat, dann werden wir die Jesuiten schon zu Paaren treiben!" Einerseits setzt das eiuen Begriff vom Staat voraus, der nicht haltbar ist: als ob er außer dem Organismus der Gesellschaft stehe, und nur das polizeiliche Recht der Beaufsichtigung habe. Man denkt noch immer an den alten Polizeistaat, und vergißt, daß der neue eben ein lebendiger Ausdruck des Gemeinwesens sein soll. Am sonderbarsten ist aber die Unkenntniß über das, was mau Kirche »eunt. Die Kirche besteht uicht in einem Komplex von Individuen, sie ist eine ideelle Gemeinschaft, die ihren Boden außerhalb der Erde hat. Das gilt vou der katho¬ lischen wie von der evangelischen. Autonomie der Kirche heißt: Recht des Pap¬ stes, jeden Mißliebigen zu ezcommuniciren; Recht und Pflicht des Geistlichen, die¬ sem Bann durch Aufreizung des ungebildeten Volkes Geltung zu verschaffen. Es heißt ferner: Im Falle eine Provinz, z. B. Westphalen, von der Kirche abfal¬ len sollte, Recht der Kirche, die dortigen gottesdienstlichen Häuser und liegenden Gründe weiter zu besitzen, die Geistlichen weiter dort anzustellen u. s. w. Auto¬ nomie der Kirche heißt: unbeschränkter Despotismus der Hierarchie und Unfähig¬ keit des Gemeinwesens, den unsittlichen Einrichtungen derselben, z. B. dem Bettcl- mönchswesen u. s. w., Schranken zu setzen. Aber es ist mit der protestantischen Kirche nicht anders. Haben die Pietisten uuter Eichhorn im Namen des Staats die lichtfreundlichen Geistlichen abge¬ setzt? Nein, im Namen des Kirchenregiments! Gesetze, die Synodalverfassung der protestantischen Kirche käme zu Stande, so haben wir doch nicht eine Freiheit der Gemeinde, ihre kirchlichen Angelegenheiten selber zu besorgen, sondern nur eine neue kirchliche Herrschaft, wenn anch der Träger derselben ein Anderer ge¬ worden ist. Die Linke war also, trotz ihrer Zuversicht und ihrer Witze dupirt, dupirt, weil sie, wie gewöhnlich, ohne Kenntniß von der Sache sich auf ein Urtheil einließ. Der Staat, als das constituirte Gemeinwesen, soll anch die Kirche in sich fasse». Nur muß man den Staat weder blos im König, noch blos im Parla¬ ment, noch blos in der Gemeinde suchen. Auch eine Autonomie der Communen darf uicht ohne Aufsicht des Staates bestehen, sonst könnte der Fall eintreten, daß eine bigotte Majorität z. B. den Juden oder sonst einer Seele, das Recht anta¬ stete, Gottesdienst zu halten. Es will gesagt sein: Der Staat, d. h. das constituirte Gemeinwesen, muß zuletzt auch das Recht haben, die blos ideelle Gemeinschaft der Kirche aufzuheben, ihre Güter zu andern Zwecken zu verwenden. Er wird und kann es freilich nur da thun, wo er im Sinne der Betheiligten handelt. Wenn aber z. B. der Staat Aargau im Einverständniß mit der Majorität seiner katholischen Bürger die Auf¬ hebung der Klöster beschließt, so hat die Kirche uicht darein zu reden. Wenn der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/417>, abgerufen am 28.09.2024.