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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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diese Sphinx die Maske abwirft und das scheußliche Thierantlitz zeigt, scheinen
sie sich abzuwenden. Baron Doblhoff und seine Partei werden diesen Conflict
wohl kaum überstehn; einerseits verzeiht man politische Inconsequenzen nicht leicht,
andrerseits sind sie an staatsmännischer Befähigung und Bildung ihren Gegnern
nicht gewachsen, die schon von zwei Seiten auf der Lauer stehen, das Portefeuille
zu ergreifen -- Pillersdorf und Stadion.

Mustern wir nun die Streitkräfte, welche dieser Partei zu Gebote stehn, so
finden wir zumeist die Armee. Es war ein unbegreiflicher, ich mochte sagen,
frevelhafter Leichtsinn von Doblho ff und Wessenberg, die englisch - franzö¬
sische Vermittelung in Italien zurückzuweisen. Wäre jetzt ein sehr schneller Friede
abgeschlossen, so wäre die siegreiche Armee Radetzky's unter dem lautesten Jubel
aller Patrioten in Wien eingezogen und ohne irgend einen Kampf war das Be¬
stehen des Kaiserstaates gesichert. Sollte dagegen der Krieg mit Frankreich wirklich
ausbrechen, so kann auch der beste Politiker über die Zukunft nichts vorhersagen.
Einen zweiten General, den Fürsten Windischgrätz, hat die Regierung durch
ihre halben Maßregeln in eine verkehrte Stellung gebracht. Wenn auch die ezc"
chische Bewegung mit demokratisch-panslavistischen Elementen versetzt war, so schlug
sie doch im Wesentlichen zu Gunsten der Regierung ein. Hätte sich die Regierung
dieser Bewegung bemeistert, hätte sie die Auswüchse -- z. B. die unvernünftigen
Ausfälle auf die Deutschbvhmeu -- abzuschneiden gewußt, die mäßigen Forderun¬
gen dagegen -- z. B. die Einberufung eines Provinziallandtagcö, mit Vorbehalt
einer Controle durch die Reichsregieruug -- gewährt, so hatte sie für ihre Ideen
hier eine sehr mächtige, und was viel sagen will, leidenschaftliche Partei. Wollte
sie das uicht, so mußte sie es mit dem Aufgehen in Deutschland ernst nehmen.
So aber verdarb sie es mit beiden Parteien: sie genügte den Deutschen nicht,
denn sie wußte die Tschechen nicht zur Anerkennung des Reichs, zur Frankfurter
Wahl, zu veranlassen; sie ließ es zu einem offenen Aufstand kommen, der nur
durch brutale Mittel gebändigt werden mußte, und verletzte wieder einerseits die
Tschechen, andrerseits selbst das demokratische Gefühl der Wiener, die einen
Sieg des Militärs über das Volk immer verwerflich fanden, auch wenn er zu
ihren Gunsten war. So ist nun Böhmen in einer inhaltlosen Gährung, die
Armee bei der einen Partei wie bei der andern verhaßt und die tschechischen Ab¬
geordneten zum Wiener Reichstag machen Opposition -- freilich von der rechten
Seite, gouverncmentalcr als das Gouvernement.

In Ungarn endlich scheint die Negierung die alte macchiavellistische Politik
zu befolgen: sie unterstützt heimlich den Baums von Kroatien und desavouirt ihn
öffentlich, sie sucht die eine Partei durch die andere aufzureiben: das ist eben so
verkehrt, als es unsittlich ist. Die Regierung muß sich entscheiden: entweder er¬
kennt sie die Oberherrschaft Ungarns über Kroatien an, und damit spricht sie die
definitive Theilung Oestreichs aus, oder sie ergreift offen die Partei des Bann


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diese Sphinx die Maske abwirft und das scheußliche Thierantlitz zeigt, scheinen
sie sich abzuwenden. Baron Doblhoff und seine Partei werden diesen Conflict
wohl kaum überstehn; einerseits verzeiht man politische Inconsequenzen nicht leicht,
andrerseits sind sie an staatsmännischer Befähigung und Bildung ihren Gegnern
nicht gewachsen, die schon von zwei Seiten auf der Lauer stehen, das Portefeuille
zu ergreifen — Pillersdorf und Stadion.

Mustern wir nun die Streitkräfte, welche dieser Partei zu Gebote stehn, so
finden wir zumeist die Armee. Es war ein unbegreiflicher, ich mochte sagen,
frevelhafter Leichtsinn von Doblho ff und Wessenberg, die englisch - franzö¬
sische Vermittelung in Italien zurückzuweisen. Wäre jetzt ein sehr schneller Friede
abgeschlossen, so wäre die siegreiche Armee Radetzky's unter dem lautesten Jubel
aller Patrioten in Wien eingezogen und ohne irgend einen Kampf war das Be¬
stehen des Kaiserstaates gesichert. Sollte dagegen der Krieg mit Frankreich wirklich
ausbrechen, so kann auch der beste Politiker über die Zukunft nichts vorhersagen.
Einen zweiten General, den Fürsten Windischgrätz, hat die Regierung durch
ihre halben Maßregeln in eine verkehrte Stellung gebracht. Wenn auch die ezc«
chische Bewegung mit demokratisch-panslavistischen Elementen versetzt war, so schlug
sie doch im Wesentlichen zu Gunsten der Regierung ein. Hätte sich die Regierung
dieser Bewegung bemeistert, hätte sie die Auswüchse — z. B. die unvernünftigen
Ausfälle auf die Deutschbvhmeu — abzuschneiden gewußt, die mäßigen Forderun¬
gen dagegen — z. B. die Einberufung eines Provinziallandtagcö, mit Vorbehalt
einer Controle durch die Reichsregieruug — gewährt, so hatte sie für ihre Ideen
hier eine sehr mächtige, und was viel sagen will, leidenschaftliche Partei. Wollte
sie das uicht, so mußte sie es mit dem Aufgehen in Deutschland ernst nehmen.
So aber verdarb sie es mit beiden Parteien: sie genügte den Deutschen nicht,
denn sie wußte die Tschechen nicht zur Anerkennung des Reichs, zur Frankfurter
Wahl, zu veranlassen; sie ließ es zu einem offenen Aufstand kommen, der nur
durch brutale Mittel gebändigt werden mußte, und verletzte wieder einerseits die
Tschechen, andrerseits selbst das demokratische Gefühl der Wiener, die einen
Sieg des Militärs über das Volk immer verwerflich fanden, auch wenn er zu
ihren Gunsten war. So ist nun Böhmen in einer inhaltlosen Gährung, die
Armee bei der einen Partei wie bei der andern verhaßt und die tschechischen Ab¬
geordneten zum Wiener Reichstag machen Opposition — freilich von der rechten
Seite, gouverncmentalcr als das Gouvernement.

In Ungarn endlich scheint die Negierung die alte macchiavellistische Politik
zu befolgen: sie unterstützt heimlich den Baums von Kroatien und desavouirt ihn
öffentlich, sie sucht die eine Partei durch die andere aufzureiben: das ist eben so
verkehrt, als es unsittlich ist. Die Regierung muß sich entscheiden: entweder er¬
kennt sie die Oberherrschaft Ungarns über Kroatien an, und damit spricht sie die
definitive Theilung Oestreichs aus, oder sie ergreift offen die Partei des Bann


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[0413] diese Sphinx die Maske abwirft und das scheußliche Thierantlitz zeigt, scheinen sie sich abzuwenden. Baron Doblhoff und seine Partei werden diesen Conflict wohl kaum überstehn; einerseits verzeiht man politische Inconsequenzen nicht leicht, andrerseits sind sie an staatsmännischer Befähigung und Bildung ihren Gegnern nicht gewachsen, die schon von zwei Seiten auf der Lauer stehen, das Portefeuille zu ergreifen — Pillersdorf und Stadion. Mustern wir nun die Streitkräfte, welche dieser Partei zu Gebote stehn, so finden wir zumeist die Armee. Es war ein unbegreiflicher, ich mochte sagen, frevelhafter Leichtsinn von Doblho ff und Wessenberg, die englisch - franzö¬ sische Vermittelung in Italien zurückzuweisen. Wäre jetzt ein sehr schneller Friede abgeschlossen, so wäre die siegreiche Armee Radetzky's unter dem lautesten Jubel aller Patrioten in Wien eingezogen und ohne irgend einen Kampf war das Be¬ stehen des Kaiserstaates gesichert. Sollte dagegen der Krieg mit Frankreich wirklich ausbrechen, so kann auch der beste Politiker über die Zukunft nichts vorhersagen. Einen zweiten General, den Fürsten Windischgrätz, hat die Regierung durch ihre halben Maßregeln in eine verkehrte Stellung gebracht. Wenn auch die ezc« chische Bewegung mit demokratisch-panslavistischen Elementen versetzt war, so schlug sie doch im Wesentlichen zu Gunsten der Regierung ein. Hätte sich die Regierung dieser Bewegung bemeistert, hätte sie die Auswüchse — z. B. die unvernünftigen Ausfälle auf die Deutschbvhmeu — abzuschneiden gewußt, die mäßigen Forderun¬ gen dagegen — z. B. die Einberufung eines Provinziallandtagcö, mit Vorbehalt einer Controle durch die Reichsregieruug — gewährt, so hatte sie für ihre Ideen hier eine sehr mächtige, und was viel sagen will, leidenschaftliche Partei. Wollte sie das uicht, so mußte sie es mit dem Aufgehen in Deutschland ernst nehmen. So aber verdarb sie es mit beiden Parteien: sie genügte den Deutschen nicht, denn sie wußte die Tschechen nicht zur Anerkennung des Reichs, zur Frankfurter Wahl, zu veranlassen; sie ließ es zu einem offenen Aufstand kommen, der nur durch brutale Mittel gebändigt werden mußte, und verletzte wieder einerseits die Tschechen, andrerseits selbst das demokratische Gefühl der Wiener, die einen Sieg des Militärs über das Volk immer verwerflich fanden, auch wenn er zu ihren Gunsten war. So ist nun Böhmen in einer inhaltlosen Gährung, die Armee bei der einen Partei wie bei der andern verhaßt und die tschechischen Ab¬ geordneten zum Wiener Reichstag machen Opposition — freilich von der rechten Seite, gouverncmentalcr als das Gouvernement. In Ungarn endlich scheint die Negierung die alte macchiavellistische Politik zu befolgen: sie unterstützt heimlich den Baums von Kroatien und desavouirt ihn öffentlich, sie sucht die eine Partei durch die andere aufzureiben: das ist eben so verkehrt, als es unsittlich ist. Die Regierung muß sich entscheiden: entweder er¬ kennt sie die Oberherrschaft Ungarns über Kroatien an, und damit spricht sie die definitive Theilung Oestreichs aus, oder sie ergreift offen die Partei des Bann Grenzbvt-n. III. I8i8. 5>L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/413>, abgerufen am 29.06.2024.