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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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aufs Neue ab und gelingt die Centralisation Deutschlands, so ist jener Einfluß
verloren, so gestaltet sich das centralisirte Deutschland zu einem Staat, wie er in
der Idee, nicht in der Wirklichkeit des Preußischen lag, zu einem strebsamen, in
sich einigen, aufgeklärten constitutionellen Staat, der sich als dritter in die Reihe
von England und Frankreich stellt. Der preußische Staat, wie er ist, würde
aufgelöst, aber die mächtige Kraft des preußischen Staatsorganismus würde sich
eben so über Süddeutschland ausdehnen, wie das constitutionelle Bewußtsein der
Süddeutschen die noch widerstrebenden Elemente in Preußen absorbiren würde.
Dieser Staat, mit dem Gebiet des Rheines, der Weser, Elbe, Oder, Weichsel,
wäre im Ganzen abgerundet und hätte ein selbstständiges Bestehn: er würde be¬
ständig Oestreich bedrohen, da die deutschen Provinzen stets die Neigung haben
würden, sich an die ihnen verwandten Länder anzuschließen und sich ihrem staat¬
lichen Verbände zu entziehen. Also: jeder wesentliche Fortschritt, den
die Centralisation Deutschlands macht, ist den Interessen der
Großmacht Oestreich zuwider; um so mehr, da bei der Entwickelung der
italienischen Verhältnisse es schon jetzt unzweifelhaft ist, die Sache möge sich wen¬
den wie sie wolle, daß Oestreich die Hegemonie Italiens auf immer verloren hat.

Der zweite mächtige Gegner, den die "schwarzgelbe" Partei zu bekämpfen
hat, sind die Magyaren einerseits, die demokratischen Oestreicher andrerseits. Bei
den letztern ist es einmal fraglich, wie ihr Verhältniß zu der östreichischen Partei
steht. Ihr Sitz ist zunächst Wien, und wenn hier auch augenblicklich das demo¬
kratische Element vorwaltet, so fragt sich doch, ob nicht bald die Interessen und
Empfindungen der "Residenzstadt" überwiegen werden. Schon jetzt jubelt man
über die Siege der kaiserlichen Armee in Italien, man bekümmert sich um Frank¬
furt gar uicht; ob die Czechen für Frankfurt wählen oder nicht, daran finden
höchstens die Deutschbvhmen oder diejenigen ein Interesse, die gern auf irgend
eine Art ins Parlament kämen. Ein östreichischer Deputirter nach dem andern
tritt aus dem Parlament aus.

Die östreichische Regierung selbst wird, man möge sie aus was immer
für Elementen zusammensetzen, für die Aufrechthaltung Oestreichs fein. Das
Ministerium Fiquelmont fetzte im Wesentlichen die Metternich'schen Prinzipien
fort. Auch in der Tendenz des Ministeriums Pillersdorf lag es, die Gro߬
macht bestehen zu lassen, daneben freilich so viel als möglich Einfluß in Frank¬
furt zu behalten. Das gegenwärtige Gouvernement ist ans einer demokratischen
Bewegung hervorgegangen, es ließ sich vom Weltgeist inspiriren und liebäugelte
mit dem Sicherheitsausschuß und den Studenten; wie es aber in der Natur der
Sache lag, hat es bald mit der äußersten Demokratie brechen müssen und diese
ist vor dem ersten Blut zurückgeschaudert. Es scheint viel guter, selbst sittlicher
Sinn in Oestreich zu herrschen; die Wiener waren bisher von der Revolution
begeistert, so lange es sich um Aufzüge, Festspiele u. tgi. handelte; so wie aber


aufs Neue ab und gelingt die Centralisation Deutschlands, so ist jener Einfluß
verloren, so gestaltet sich das centralisirte Deutschland zu einem Staat, wie er in
der Idee, nicht in der Wirklichkeit des Preußischen lag, zu einem strebsamen, in
sich einigen, aufgeklärten constitutionellen Staat, der sich als dritter in die Reihe
von England und Frankreich stellt. Der preußische Staat, wie er ist, würde
aufgelöst, aber die mächtige Kraft des preußischen Staatsorganismus würde sich
eben so über Süddeutschland ausdehnen, wie das constitutionelle Bewußtsein der
Süddeutschen die noch widerstrebenden Elemente in Preußen absorbiren würde.
Dieser Staat, mit dem Gebiet des Rheines, der Weser, Elbe, Oder, Weichsel,
wäre im Ganzen abgerundet und hätte ein selbstständiges Bestehn: er würde be¬
ständig Oestreich bedrohen, da die deutschen Provinzen stets die Neigung haben
würden, sich an die ihnen verwandten Länder anzuschließen und sich ihrem staat¬
lichen Verbände zu entziehen. Also: jeder wesentliche Fortschritt, den
die Centralisation Deutschlands macht, ist den Interessen der
Großmacht Oestreich zuwider; um so mehr, da bei der Entwickelung der
italienischen Verhältnisse es schon jetzt unzweifelhaft ist, die Sache möge sich wen¬
den wie sie wolle, daß Oestreich die Hegemonie Italiens auf immer verloren hat.

Der zweite mächtige Gegner, den die „schwarzgelbe" Partei zu bekämpfen
hat, sind die Magyaren einerseits, die demokratischen Oestreicher andrerseits. Bei
den letztern ist es einmal fraglich, wie ihr Verhältniß zu der östreichischen Partei
steht. Ihr Sitz ist zunächst Wien, und wenn hier auch augenblicklich das demo¬
kratische Element vorwaltet, so fragt sich doch, ob nicht bald die Interessen und
Empfindungen der „Residenzstadt" überwiegen werden. Schon jetzt jubelt man
über die Siege der kaiserlichen Armee in Italien, man bekümmert sich um Frank¬
furt gar uicht; ob die Czechen für Frankfurt wählen oder nicht, daran finden
höchstens die Deutschbvhmen oder diejenigen ein Interesse, die gern auf irgend
eine Art ins Parlament kämen. Ein östreichischer Deputirter nach dem andern
tritt aus dem Parlament aus.

Die östreichische Regierung selbst wird, man möge sie aus was immer
für Elementen zusammensetzen, für die Aufrechthaltung Oestreichs fein. Das
Ministerium Fiquelmont fetzte im Wesentlichen die Metternich'schen Prinzipien
fort. Auch in der Tendenz des Ministeriums Pillersdorf lag es, die Gro߬
macht bestehen zu lassen, daneben freilich so viel als möglich Einfluß in Frank¬
furt zu behalten. Das gegenwärtige Gouvernement ist ans einer demokratischen
Bewegung hervorgegangen, es ließ sich vom Weltgeist inspiriren und liebäugelte
mit dem Sicherheitsausschuß und den Studenten; wie es aber in der Natur der
Sache lag, hat es bald mit der äußersten Demokratie brechen müssen und diese
ist vor dem ersten Blut zurückgeschaudert. Es scheint viel guter, selbst sittlicher
Sinn in Oestreich zu herrschen; die Wiener waren bisher von der Revolution
begeistert, so lange es sich um Aufzüge, Festspiele u. tgi. handelte; so wie aber


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[0412] aufs Neue ab und gelingt die Centralisation Deutschlands, so ist jener Einfluß verloren, so gestaltet sich das centralisirte Deutschland zu einem Staat, wie er in der Idee, nicht in der Wirklichkeit des Preußischen lag, zu einem strebsamen, in sich einigen, aufgeklärten constitutionellen Staat, der sich als dritter in die Reihe von England und Frankreich stellt. Der preußische Staat, wie er ist, würde aufgelöst, aber die mächtige Kraft des preußischen Staatsorganismus würde sich eben so über Süddeutschland ausdehnen, wie das constitutionelle Bewußtsein der Süddeutschen die noch widerstrebenden Elemente in Preußen absorbiren würde. Dieser Staat, mit dem Gebiet des Rheines, der Weser, Elbe, Oder, Weichsel, wäre im Ganzen abgerundet und hätte ein selbstständiges Bestehn: er würde be¬ ständig Oestreich bedrohen, da die deutschen Provinzen stets die Neigung haben würden, sich an die ihnen verwandten Länder anzuschließen und sich ihrem staat¬ lichen Verbände zu entziehen. Also: jeder wesentliche Fortschritt, den die Centralisation Deutschlands macht, ist den Interessen der Großmacht Oestreich zuwider; um so mehr, da bei der Entwickelung der italienischen Verhältnisse es schon jetzt unzweifelhaft ist, die Sache möge sich wen¬ den wie sie wolle, daß Oestreich die Hegemonie Italiens auf immer verloren hat. Der zweite mächtige Gegner, den die „schwarzgelbe" Partei zu bekämpfen hat, sind die Magyaren einerseits, die demokratischen Oestreicher andrerseits. Bei den letztern ist es einmal fraglich, wie ihr Verhältniß zu der östreichischen Partei steht. Ihr Sitz ist zunächst Wien, und wenn hier auch augenblicklich das demo¬ kratische Element vorwaltet, so fragt sich doch, ob nicht bald die Interessen und Empfindungen der „Residenzstadt" überwiegen werden. Schon jetzt jubelt man über die Siege der kaiserlichen Armee in Italien, man bekümmert sich um Frank¬ furt gar uicht; ob die Czechen für Frankfurt wählen oder nicht, daran finden höchstens die Deutschbvhmen oder diejenigen ein Interesse, die gern auf irgend eine Art ins Parlament kämen. Ein östreichischer Deputirter nach dem andern tritt aus dem Parlament aus. Die östreichische Regierung selbst wird, man möge sie aus was immer für Elementen zusammensetzen, für die Aufrechthaltung Oestreichs fein. Das Ministerium Fiquelmont fetzte im Wesentlichen die Metternich'schen Prinzipien fort. Auch in der Tendenz des Ministeriums Pillersdorf lag es, die Gro߬ macht bestehen zu lassen, daneben freilich so viel als möglich Einfluß in Frank¬ furt zu behalten. Das gegenwärtige Gouvernement ist ans einer demokratischen Bewegung hervorgegangen, es ließ sich vom Weltgeist inspiriren und liebäugelte mit dem Sicherheitsausschuß und den Studenten; wie es aber in der Natur der Sache lag, hat es bald mit der äußersten Demokratie brechen müssen und diese ist vor dem ersten Blut zurückgeschaudert. Es scheint viel guter, selbst sittlicher Sinn in Oestreich zu herrschen; die Wiener waren bisher von der Revolution begeistert, so lange es sich um Aufzüge, Festspiele u. tgi. handelte; so wie aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/412>, abgerufen am 29.06.2024.