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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Jellaczicz, beschränkt den ungarischen Reichstag und das magyarische Ministerium
auf ihr eigenes Gebiet und vertritt entschieden das Interesse der Deutschen gegen
etwaige Uebergriffe der Magyaren. Dieser entschiedene Schritt ist freilich nur
unter einer Bedingung zu rathen: wenn man augenblicklich Frieden mit Italien
schließt, wenn man also die Hilfe der Ungarn nicht braucht. Zu einem offenen
Kampf wird es unter solchen Umständen die gemäßigte Partei in Ungarn, die bei
jeder Krisis den Einfluß und das Talent Kossuth's den Ultra-Magyaren ent¬
gegenstellen kann, nicht kommen lassen.

Außer der Armee hätte die Regierung über die Aristokratie zu disponiren,
die zwar für den Augenblick überall in Bestürzung und Unthätigkeit versunken ist,
die aber bald ihren Einfluß wieder geltend machen würde, sobald sie nur einen
bestimmten Halt sähe, denn nur mit Hilfe einer starken Negierung kann sie ihrem
völligen Untergang-- der Zehnten- und Robot-Ablösung ohne Entschädigung --
entgehn. Sie hat für sich die überwiegende Masse der Bourgeoisie in den großen
Städten, die vor einer neuen Revolution zurückbebt; sie hat einen großen Theil
der Provinzen, die entweder ihr ergeben sind oder die wenigstens unthätig blei¬
ben werden; sie hat, wenn sie klug handelt, die Czechen, die Dalmatier, Kroa¬
ten, die Deutschen in Ungarn, die Siebenbürgen für sich. Ja sie würde
unter dieser Voraussetzung auch den Reichstag, trotz seiner schlechten und con-
fusen Zusammensetzung wenn nicht leiten, doch wenigstens unschädlich machen
können. Eine Macht, die bedeutend genug ist um die ernsthaftesten Rücksichten zu
erheischen.

Betrachten wir nun die Folge, wenn diese Partei den Sieg davonträgt. Ich
setze dabei voraus, daß sie eine föderalistische Einrichtung des Staates im Auge
hat, wie sie in dem Sendschreiben an Pillersdvrs in Ur. 27 dieser Blätter ange¬
deutet war: einen Provinziallandtag für Böhmen, für Dcutschöstreich, für Italien,
für Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien, Galizien und ein aus diesen Landtagen her-
vorgegangenen Centralausschuß für Wie". Ich setze serner voraus eine aller¬
dings kühne Voraussetzung, die aber darauf basirt, daß eine entschiedene Supe-
riorität der Bildung stets ihre Zwecke durchsetzt, wenn sie mit Entschiedenheit des
Willens und einem wahren sittlichen Inhalt auftritt -- ich setze voraus, daß sie
den Reichstag sür diese Ansicht gewinnt. An eine Reaction wäre nicht zu den¬
ken; Reaction tritt nie ein in Folge eines Kriegs; nach Besiegung eines großen
Aufstandes würden wir allerdings alle die Erscheinungen haben, die wir in Paris
vor uns sahen: Aufhebung der Preßfreiheit, des Versammlungsrechts u. s. w. So
lange die Entwickelung eine friedliche bleibt, ist davon nicht die Rede und eine
Reaction gegen die Doppelherrfchaft in Wien könnte nur wünschenswerth sein.
Die schwierige Frage von der Theilung der Staatsschuld würde alsdann vermie¬
den. Die einzelnen Provinzen könnten die nothwendigen Reformen auf dem Wege
organischer Gesetzgebung ungestört bei sich vernehme". Auch der Theil Italiens,


Jellaczicz, beschränkt den ungarischen Reichstag und das magyarische Ministerium
auf ihr eigenes Gebiet und vertritt entschieden das Interesse der Deutschen gegen
etwaige Uebergriffe der Magyaren. Dieser entschiedene Schritt ist freilich nur
unter einer Bedingung zu rathen: wenn man augenblicklich Frieden mit Italien
schließt, wenn man also die Hilfe der Ungarn nicht braucht. Zu einem offenen
Kampf wird es unter solchen Umständen die gemäßigte Partei in Ungarn, die bei
jeder Krisis den Einfluß und das Talent Kossuth's den Ultra-Magyaren ent¬
gegenstellen kann, nicht kommen lassen.

Außer der Armee hätte die Regierung über die Aristokratie zu disponiren,
die zwar für den Augenblick überall in Bestürzung und Unthätigkeit versunken ist,
die aber bald ihren Einfluß wieder geltend machen würde, sobald sie nur einen
bestimmten Halt sähe, denn nur mit Hilfe einer starken Negierung kann sie ihrem
völligen Untergang— der Zehnten- und Robot-Ablösung ohne Entschädigung —
entgehn. Sie hat für sich die überwiegende Masse der Bourgeoisie in den großen
Städten, die vor einer neuen Revolution zurückbebt; sie hat einen großen Theil
der Provinzen, die entweder ihr ergeben sind oder die wenigstens unthätig blei¬
ben werden; sie hat, wenn sie klug handelt, die Czechen, die Dalmatier, Kroa¬
ten, die Deutschen in Ungarn, die Siebenbürgen für sich. Ja sie würde
unter dieser Voraussetzung auch den Reichstag, trotz seiner schlechten und con-
fusen Zusammensetzung wenn nicht leiten, doch wenigstens unschädlich machen
können. Eine Macht, die bedeutend genug ist um die ernsthaftesten Rücksichten zu
erheischen.

Betrachten wir nun die Folge, wenn diese Partei den Sieg davonträgt. Ich
setze dabei voraus, daß sie eine föderalistische Einrichtung des Staates im Auge
hat, wie sie in dem Sendschreiben an Pillersdvrs in Ur. 27 dieser Blätter ange¬
deutet war: einen Provinziallandtag für Böhmen, für Dcutschöstreich, für Italien,
für Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien, Galizien und ein aus diesen Landtagen her-
vorgegangenen Centralausschuß für Wie». Ich setze serner voraus eine aller¬
dings kühne Voraussetzung, die aber darauf basirt, daß eine entschiedene Supe-
riorität der Bildung stets ihre Zwecke durchsetzt, wenn sie mit Entschiedenheit des
Willens und einem wahren sittlichen Inhalt auftritt — ich setze voraus, daß sie
den Reichstag sür diese Ansicht gewinnt. An eine Reaction wäre nicht zu den¬
ken; Reaction tritt nie ein in Folge eines Kriegs; nach Besiegung eines großen
Aufstandes würden wir allerdings alle die Erscheinungen haben, die wir in Paris
vor uns sahen: Aufhebung der Preßfreiheit, des Versammlungsrechts u. s. w. So
lange die Entwickelung eine friedliche bleibt, ist davon nicht die Rede und eine
Reaction gegen die Doppelherrfchaft in Wien könnte nur wünschenswerth sein.
Die schwierige Frage von der Theilung der Staatsschuld würde alsdann vermie¬
den. Die einzelnen Provinzen könnten die nothwendigen Reformen auf dem Wege
organischer Gesetzgebung ungestört bei sich vernehme». Auch der Theil Italiens,


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[0414] Jellaczicz, beschränkt den ungarischen Reichstag und das magyarische Ministerium auf ihr eigenes Gebiet und vertritt entschieden das Interesse der Deutschen gegen etwaige Uebergriffe der Magyaren. Dieser entschiedene Schritt ist freilich nur unter einer Bedingung zu rathen: wenn man augenblicklich Frieden mit Italien schließt, wenn man also die Hilfe der Ungarn nicht braucht. Zu einem offenen Kampf wird es unter solchen Umständen die gemäßigte Partei in Ungarn, die bei jeder Krisis den Einfluß und das Talent Kossuth's den Ultra-Magyaren ent¬ gegenstellen kann, nicht kommen lassen. Außer der Armee hätte die Regierung über die Aristokratie zu disponiren, die zwar für den Augenblick überall in Bestürzung und Unthätigkeit versunken ist, die aber bald ihren Einfluß wieder geltend machen würde, sobald sie nur einen bestimmten Halt sähe, denn nur mit Hilfe einer starken Negierung kann sie ihrem völligen Untergang— der Zehnten- und Robot-Ablösung ohne Entschädigung — entgehn. Sie hat für sich die überwiegende Masse der Bourgeoisie in den großen Städten, die vor einer neuen Revolution zurückbebt; sie hat einen großen Theil der Provinzen, die entweder ihr ergeben sind oder die wenigstens unthätig blei¬ ben werden; sie hat, wenn sie klug handelt, die Czechen, die Dalmatier, Kroa¬ ten, die Deutschen in Ungarn, die Siebenbürgen für sich. Ja sie würde unter dieser Voraussetzung auch den Reichstag, trotz seiner schlechten und con- fusen Zusammensetzung wenn nicht leiten, doch wenigstens unschädlich machen können. Eine Macht, die bedeutend genug ist um die ernsthaftesten Rücksichten zu erheischen. Betrachten wir nun die Folge, wenn diese Partei den Sieg davonträgt. Ich setze dabei voraus, daß sie eine föderalistische Einrichtung des Staates im Auge hat, wie sie in dem Sendschreiben an Pillersdvrs in Ur. 27 dieser Blätter ange¬ deutet war: einen Provinziallandtag für Böhmen, für Dcutschöstreich, für Italien, für Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien, Galizien und ein aus diesen Landtagen her- vorgegangenen Centralausschuß für Wie». Ich setze serner voraus eine aller¬ dings kühne Voraussetzung, die aber darauf basirt, daß eine entschiedene Supe- riorität der Bildung stets ihre Zwecke durchsetzt, wenn sie mit Entschiedenheit des Willens und einem wahren sittlichen Inhalt auftritt — ich setze voraus, daß sie den Reichstag sür diese Ansicht gewinnt. An eine Reaction wäre nicht zu den¬ ken; Reaction tritt nie ein in Folge eines Kriegs; nach Besiegung eines großen Aufstandes würden wir allerdings alle die Erscheinungen haben, die wir in Paris vor uns sahen: Aufhebung der Preßfreiheit, des Versammlungsrechts u. s. w. So lange die Entwickelung eine friedliche bleibt, ist davon nicht die Rede und eine Reaction gegen die Doppelherrfchaft in Wien könnte nur wünschenswerth sein. Die schwierige Frage von der Theilung der Staatsschuld würde alsdann vermie¬ den. Die einzelnen Provinzen könnten die nothwendigen Reformen auf dem Wege organischer Gesetzgebung ungestört bei sich vernehme». Auch der Theil Italiens,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/414>, abgerufen am 29.06.2024.