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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Staaten -- Deutschland, Böhmen, Italien, Ungarn, Kroatien, Siebenbürgen,
Galizien, vereinigten.

Ein ungeheures Reich, das die Nordsee, die Ostsee, das adriatische und am
Ende das schwarze Meer berührte! Und doch in der That ein unmächtiges, denn
es wäre eine rohe äußerliche Conglomeration, ohne irgend ein organisches Inein¬
andergreifen. Es wäre selbst ohnmächtiger, als bisher Oestreich, denn es würde
in ihm ein Triebwerk von dein andern gehemmt. Und der Gedanke scheitert von
vornherein an seiner Unmöglichkeit: er widerstrebt dem Willen fast aller der Na¬
tionen, die dazu verwendet werden sollten, auch wenn man ihn in seiner mildesten
Form ausspricht, der Föderation, denn das ist das Stichwort, in dem eine
Wiener Partei die Ideen der Demokratie und der Monarchie mit einander aus-
zugleichen sucht. Man bezieht sich immer und immer auf die nordamerikanischen
Freistaaten, ohne im Geringsten darauf Rücksicht zu nehmen, daß die isolirte Lage
jenes ungeheuern Ländercomplexes einen solchen Staatsverband erträglich macht,
der bei der Nachbarschaft so scharf centralisirter Staaten, wie Frankreich, Nußland,
selbst England, zum schnellen Untergang führen müßte; ohne zu erwägen, daß
dort in dem Senat, dem Kongreß und dein Präsidenten, noch mehr aber in der
Realität gemeinsamer Interessen immer eine Staatseinheit bleibt, die bei den
widerstrebenden Neigungen einer so äußerlich zusammengefügten Volksmasse unmög¬
lich wäre. Die Norddeutschen würden sich eben so wenig einem solchen Reich an¬
schließen, als andererseits die Italiener, Magyaren oder Galizier.

Diese Partei -- man könnte sie die vermittelnde nennen -- scheint also keine
Zukunft zu haben; sie ist nicht einmal als Uebcrgangsstuse denkbar. Man muß
also aus die eigentlichen Gegensätze zurückgehn, die schwarzgelben und die Schwarz-
rothgoldnen, um den technischen Ausdruck der Wiener zu gebrauchen. Die Einen
wollen den Kaiserstaat -i tont i>rix erhalten, die Andern mit eben solcher Bestimmt¬
heit die Einigung Deutschlands.

Was die erste betrifft, so ist es augenscheinlich, daß mit ihren Wünschen die
Reichseinheit, wie sie in Frankfurt projectirt wird, nicht übereinstimmen kann.
Selbst wenn eine solche Centralisation sich denken ließe, ohne daß die östreichischen
Provinzen mit einbegriffen wären, so würde auch diese dem Interesse der Gro߬
macht Oestreich widersprechen. Metternich wußte sehr schlau zwei entgegengesetzte
Prinzipien zu seinen Zwecken zu bereinigen: er sperrte Oestreich ab gegen den
politischen und commerziellen Einfluß des Auslandes und zugleich breitete er seinen
mächtigen Arm auf der einen Seite über die deutschen Bundesländer, auf der
andern über Italien aus. So lange der Gegensatz zwischen Katholiken und
Protestanten, zwischen Süd- und Norddeutschen bestand, konnte er immer im Reich
auf eine starke Partei rechnen, die, wenn sie auch nicht seinem Zweck unmittelbar
diente, wenigstens die Absichten seiner Gegner lähmte. Schließt sich dann Oestreich


Staaten — Deutschland, Böhmen, Italien, Ungarn, Kroatien, Siebenbürgen,
Galizien, vereinigten.

Ein ungeheures Reich, das die Nordsee, die Ostsee, das adriatische und am
Ende das schwarze Meer berührte! Und doch in der That ein unmächtiges, denn
es wäre eine rohe äußerliche Conglomeration, ohne irgend ein organisches Inein¬
andergreifen. Es wäre selbst ohnmächtiger, als bisher Oestreich, denn es würde
in ihm ein Triebwerk von dein andern gehemmt. Und der Gedanke scheitert von
vornherein an seiner Unmöglichkeit: er widerstrebt dem Willen fast aller der Na¬
tionen, die dazu verwendet werden sollten, auch wenn man ihn in seiner mildesten
Form ausspricht, der Föderation, denn das ist das Stichwort, in dem eine
Wiener Partei die Ideen der Demokratie und der Monarchie mit einander aus-
zugleichen sucht. Man bezieht sich immer und immer auf die nordamerikanischen
Freistaaten, ohne im Geringsten darauf Rücksicht zu nehmen, daß die isolirte Lage
jenes ungeheuern Ländercomplexes einen solchen Staatsverband erträglich macht,
der bei der Nachbarschaft so scharf centralisirter Staaten, wie Frankreich, Nußland,
selbst England, zum schnellen Untergang führen müßte; ohne zu erwägen, daß
dort in dem Senat, dem Kongreß und dein Präsidenten, noch mehr aber in der
Realität gemeinsamer Interessen immer eine Staatseinheit bleibt, die bei den
widerstrebenden Neigungen einer so äußerlich zusammengefügten Volksmasse unmög¬
lich wäre. Die Norddeutschen würden sich eben so wenig einem solchen Reich an¬
schließen, als andererseits die Italiener, Magyaren oder Galizier.

Diese Partei — man könnte sie die vermittelnde nennen — scheint also keine
Zukunft zu haben; sie ist nicht einmal als Uebcrgangsstuse denkbar. Man muß
also aus die eigentlichen Gegensätze zurückgehn, die schwarzgelben und die Schwarz-
rothgoldnen, um den technischen Ausdruck der Wiener zu gebrauchen. Die Einen
wollen den Kaiserstaat -i tont i>rix erhalten, die Andern mit eben solcher Bestimmt¬
heit die Einigung Deutschlands.

Was die erste betrifft, so ist es augenscheinlich, daß mit ihren Wünschen die
Reichseinheit, wie sie in Frankfurt projectirt wird, nicht übereinstimmen kann.
Selbst wenn eine solche Centralisation sich denken ließe, ohne daß die östreichischen
Provinzen mit einbegriffen wären, so würde auch diese dem Interesse der Gro߬
macht Oestreich widersprechen. Metternich wußte sehr schlau zwei entgegengesetzte
Prinzipien zu seinen Zwecken zu bereinigen: er sperrte Oestreich ab gegen den
politischen und commerziellen Einfluß des Auslandes und zugleich breitete er seinen
mächtigen Arm auf der einen Seite über die deutschen Bundesländer, auf der
andern über Italien aus. So lange der Gegensatz zwischen Katholiken und
Protestanten, zwischen Süd- und Norddeutschen bestand, konnte er immer im Reich
auf eine starke Partei rechnen, die, wenn sie auch nicht seinem Zweck unmittelbar
diente, wenigstens die Absichten seiner Gegner lähmte. Schließt sich dann Oestreich


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[0411] Staaten — Deutschland, Böhmen, Italien, Ungarn, Kroatien, Siebenbürgen, Galizien, vereinigten. Ein ungeheures Reich, das die Nordsee, die Ostsee, das adriatische und am Ende das schwarze Meer berührte! Und doch in der That ein unmächtiges, denn es wäre eine rohe äußerliche Conglomeration, ohne irgend ein organisches Inein¬ andergreifen. Es wäre selbst ohnmächtiger, als bisher Oestreich, denn es würde in ihm ein Triebwerk von dein andern gehemmt. Und der Gedanke scheitert von vornherein an seiner Unmöglichkeit: er widerstrebt dem Willen fast aller der Na¬ tionen, die dazu verwendet werden sollten, auch wenn man ihn in seiner mildesten Form ausspricht, der Föderation, denn das ist das Stichwort, in dem eine Wiener Partei die Ideen der Demokratie und der Monarchie mit einander aus- zugleichen sucht. Man bezieht sich immer und immer auf die nordamerikanischen Freistaaten, ohne im Geringsten darauf Rücksicht zu nehmen, daß die isolirte Lage jenes ungeheuern Ländercomplexes einen solchen Staatsverband erträglich macht, der bei der Nachbarschaft so scharf centralisirter Staaten, wie Frankreich, Nußland, selbst England, zum schnellen Untergang führen müßte; ohne zu erwägen, daß dort in dem Senat, dem Kongreß und dein Präsidenten, noch mehr aber in der Realität gemeinsamer Interessen immer eine Staatseinheit bleibt, die bei den widerstrebenden Neigungen einer so äußerlich zusammengefügten Volksmasse unmög¬ lich wäre. Die Norddeutschen würden sich eben so wenig einem solchen Reich an¬ schließen, als andererseits die Italiener, Magyaren oder Galizier. Diese Partei — man könnte sie die vermittelnde nennen — scheint also keine Zukunft zu haben; sie ist nicht einmal als Uebcrgangsstuse denkbar. Man muß also aus die eigentlichen Gegensätze zurückgehn, die schwarzgelben und die Schwarz- rothgoldnen, um den technischen Ausdruck der Wiener zu gebrauchen. Die Einen wollen den Kaiserstaat -i tont i>rix erhalten, die Andern mit eben solcher Bestimmt¬ heit die Einigung Deutschlands. Was die erste betrifft, so ist es augenscheinlich, daß mit ihren Wünschen die Reichseinheit, wie sie in Frankfurt projectirt wird, nicht übereinstimmen kann. Selbst wenn eine solche Centralisation sich denken ließe, ohne daß die östreichischen Provinzen mit einbegriffen wären, so würde auch diese dem Interesse der Gro߬ macht Oestreich widersprechen. Metternich wußte sehr schlau zwei entgegengesetzte Prinzipien zu seinen Zwecken zu bereinigen: er sperrte Oestreich ab gegen den politischen und commerziellen Einfluß des Auslandes und zugleich breitete er seinen mächtigen Arm auf der einen Seite über die deutschen Bundesländer, auf der andern über Italien aus. So lange der Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Süd- und Norddeutschen bestand, konnte er immer im Reich auf eine starke Partei rechnen, die, wenn sie auch nicht seinem Zweck unmittelbar diente, wenigstens die Absichten seiner Gegner lähmte. Schließt sich dann Oestreich

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/411>, abgerufen am 29.06.2024.