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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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sehen, wir müssen den Interessen Oestreichs wie denen Deutschlands Rechnung
tragen.

Der östreichische Reichstag hat sich mit dieser Angelegenheit noch nicht beschäf¬
tigt, und es gehörte ein Tiresias dazu, vorauszusehn, wann er sich dazu bemüßigt
finden wird. Dennoch lassen sich, zwar nicht der Organisation, wohl aber den
Wünschen nach, in Oestreich in Beziehung auf diesen Punkt drei Parteien unter¬
scheiden. Die eine will das Aufgehen von Deutsch-Oestreich im Reich, und darum
Zersplitterung des Kaiserstaats, die andere Erhaltung desselben und darum Ab¬
schluß, die dritte endlich will das eine nehmen und das andere nicht lassen: sie
will, um Oestreich zu erhalten und Deutschland nicht zu missen, nicht, daß Oest¬
reich in Deutschland, sondern daß Deutschland in Oestreich aufgehe.

Schnselka ist einer der entschiedensten Verfechter des Anschlusses an Deutsch¬
land; die Czechen haben ihre Nationalhymne ausdrücklich auf diesen Feind bezo¬
gen. Er will die Söhne Libnssens nöthigenfalls mit dem Schwert veranlassen,
in Frankfurt zu tagen. Dabei glaubt er aber zugleich an Oestreichs welthistori¬
schen Beruf, er will die Moldau, Walachei, kurz das ganze Donaugebiet sür
Oestreich erwerbe", um es durch dieses Medium der germanische" Cultur zuzu¬
führen. Wie er sich dieses große mitteleuropäische Reich denkt, ist schwer zu sagen;
vielleicht als eiuen Kometen, dessen Kern das Reich, dessen Schwanz die Steppen
der Donau ausmachen sollen. Die Magyaren, Slovaken, Noumainen u. s. w.
werden mit dieser Rolle des Schwanzes schwerlich einverstanden sein; sie würden
nie darin einwilligen, die untergeordneten Theile eines in Frankfurt centralisirten
Reichs zu sein. Ans der andern Seite könnte das Reich es nimmermehr zugeben,
daß einer seiner Angehörigen, der Kaiser von Oestreich, zugleich die Herrschaft
über eine Reihe halbbarbarischer Nationen führte, mit deren Hilfe er vielleicht zu
gelegener Zeit die deutsche Freiheit bedrohen könnte; es könnte es um so weniger
zugeben, wenn dieser Kaiser zugleich das Oberhaupt Deutschlands wäre. Und
doch gehn darauf die Hoffnungen eines großen Theils der sanguinischen Wiener
hinaus; sie gaben diese Hoffnung auch keineswegs auf, als die Stimme der deut¬
schen Nation den Erzherzog Johann zur Würde eines Reichsverwesers berief: die
halbofsiziellcu Zeitungen sprachen damals ihre Ansicht unverholen aus, der Erz¬
herzog sei dazu berufen, der Gründer jenes großen Reichs zu werden, in dem
die mitteleuropäische Welt ihren Frieden finden sollte. Und gestehen wir es nur,
wenn unter irgend einer Form das Fortbestehen der östreichischen Monarchie und
zugleich der Anschluß an Deutschland gedacht werden könnte, so wäre es nur
diese. Der Kaiser von Oestreich zugleich deutscher Kaiser, das ist ein Gedanke,
von dem man sich wenigstens eine Vorstellung machen kaun; aber der Kaiser von
Oestreich Vasall des deutschen Reichs, nimmermehr! In jenem Fall wäre Wien
der Knotenpunkt, in welchem sich die verschiedenen, im Uebrigen selbstständigen


sehen, wir müssen den Interessen Oestreichs wie denen Deutschlands Rechnung
tragen.

Der östreichische Reichstag hat sich mit dieser Angelegenheit noch nicht beschäf¬
tigt, und es gehörte ein Tiresias dazu, vorauszusehn, wann er sich dazu bemüßigt
finden wird. Dennoch lassen sich, zwar nicht der Organisation, wohl aber den
Wünschen nach, in Oestreich in Beziehung auf diesen Punkt drei Parteien unter¬
scheiden. Die eine will das Aufgehen von Deutsch-Oestreich im Reich, und darum
Zersplitterung des Kaiserstaats, die andere Erhaltung desselben und darum Ab¬
schluß, die dritte endlich will das eine nehmen und das andere nicht lassen: sie
will, um Oestreich zu erhalten und Deutschland nicht zu missen, nicht, daß Oest¬
reich in Deutschland, sondern daß Deutschland in Oestreich aufgehe.

Schnselka ist einer der entschiedensten Verfechter des Anschlusses an Deutsch¬
land; die Czechen haben ihre Nationalhymne ausdrücklich auf diesen Feind bezo¬
gen. Er will die Söhne Libnssens nöthigenfalls mit dem Schwert veranlassen,
in Frankfurt zu tagen. Dabei glaubt er aber zugleich an Oestreichs welthistori¬
schen Beruf, er will die Moldau, Walachei, kurz das ganze Donaugebiet sür
Oestreich erwerbe», um es durch dieses Medium der germanische» Cultur zuzu¬
führen. Wie er sich dieses große mitteleuropäische Reich denkt, ist schwer zu sagen;
vielleicht als eiuen Kometen, dessen Kern das Reich, dessen Schwanz die Steppen
der Donau ausmachen sollen. Die Magyaren, Slovaken, Noumainen u. s. w.
werden mit dieser Rolle des Schwanzes schwerlich einverstanden sein; sie würden
nie darin einwilligen, die untergeordneten Theile eines in Frankfurt centralisirten
Reichs zu sein. Ans der andern Seite könnte das Reich es nimmermehr zugeben,
daß einer seiner Angehörigen, der Kaiser von Oestreich, zugleich die Herrschaft
über eine Reihe halbbarbarischer Nationen führte, mit deren Hilfe er vielleicht zu
gelegener Zeit die deutsche Freiheit bedrohen könnte; es könnte es um so weniger
zugeben, wenn dieser Kaiser zugleich das Oberhaupt Deutschlands wäre. Und
doch gehn darauf die Hoffnungen eines großen Theils der sanguinischen Wiener
hinaus; sie gaben diese Hoffnung auch keineswegs auf, als die Stimme der deut¬
schen Nation den Erzherzog Johann zur Würde eines Reichsverwesers berief: die
halbofsiziellcu Zeitungen sprachen damals ihre Ansicht unverholen aus, der Erz¬
herzog sei dazu berufen, der Gründer jenes großen Reichs zu werden, in dem
die mitteleuropäische Welt ihren Frieden finden sollte. Und gestehen wir es nur,
wenn unter irgend einer Form das Fortbestehen der östreichischen Monarchie und
zugleich der Anschluß an Deutschland gedacht werden könnte, so wäre es nur
diese. Der Kaiser von Oestreich zugleich deutscher Kaiser, das ist ein Gedanke,
von dem man sich wenigstens eine Vorstellung machen kaun; aber der Kaiser von
Oestreich Vasall des deutschen Reichs, nimmermehr! In jenem Fall wäre Wien
der Knotenpunkt, in welchem sich die verschiedenen, im Uebrigen selbstständigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/410>, abgerufen am 29.06.2024.