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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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von verschiedenen Farben, kommunistische so gut wie legitimistische und konstitu¬
tionelle. Der Egalitv ist demnach eine Concession gemacht. Keine Sprache soll
geduldet werden, die in irgend einem Punkte mit den Ansichten der Regierung
nicht harmonirt! So spricht ein Erzrepublikaner. Noch merkwürdiger ist Ca-
vaignac's Antwort auf die Protestation, die eine Anzahl Journalisten, an ihrer
Spitze Girardin, gegen jene Gewaltmaßregel an ihn richteten: "Indem ich die
Zeitungen unterdrücke, deren Angriffe mir eine Gefahr für die Befestigung der
Republik scheinen, glaube ich meine Pflicht zu erfüllen. Ihr, Journalisten, Ihr
thut die Eure, indem Ihr gegen einen Angriff auf die Preßfreiheit und die Rechte
der Schriftsteller protestirt. Diese Protestation ist ein Schritt, der Euch ehrt und
es wäre mir, um der Würde Eures Banners willen, unbegreiflich gewesen, hättet
Ihr ihn uicht gethan. Ich habe ihn erwartet." "?->, est i>in-5iütomkut <-vn-
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matische Antwort in der Zeitung las. Er erkennt das Prinzip im Allgemeinen
an und tritt es im Besondern aus Rücksichten der Convenance und Zweckmäßigkeit
mit Füßen, macht aber dabei die Preßfreiheit noch zu einem bloßen Schriftsteller-
intcresse. Unis, est -ldmirable! wiederholte mein Republikaner. Selbst der
Constitutioncl wurde "verwarnt." Proudhon und Genoude wollen ihre suspendirten
Blätter unter andern Titeln in Lyon erscheinen lassen. Zugleich hört man, daß
die Provinzjournalisten am > ?>. September in Tours einen Kongreß halten wollen,
um ihren Widerstand gegen die Tyrannei der Hauptstadtzeitungcn zu organisiren.
Dies ist, meines Wissens, der erste practische Schritt der Provinzen gegen die
übermäßige Centralisation in Frankreich.

Tabula rasa! Tabula rasa! wolle" wir machen, ein funkelnagelneues Staats-
gebäude muß aufgeführt werde"; es gibt Neues unter der Sonne, denn Frank¬
reich ist Nichts unmöglich und das goldene Zeitalter hört auf eine Chimäre zu
sein, wenn man nur den ernsten Willen hat, es einstimmig zu decretiren! so
schreien die Kinder des Jahrhunderts stets im ersten Stadium der Revolution
und die Frausquillons aller Länder beugen sich im Voraus vor dem zu vollbrin¬
genden Mirakel. Maschälla, der Wille Frankreichs geschieht im Himmel und auf
Erden! Oder sie rufen wie ein polnischer Emigrant, der am 26. Februar mir
auf dem Boulevard begegnete und meinen Skepticismus mit den Worten nieder¬
schlug: Non d>or, vieu oft Arkmck, mais iiurvs Dien it ", ri<>" Fi-ruck
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Das Gcjauchze und Gebrause reißt im Beginn Alles mit sich fort, aber wehe
dem, der darin die wirkliche Stimme der Nation findet und nicht vom berauschten
Volk an das nüchterne appellirt. In den Flittertagen der Revolution wagt Nie¬
mand den Mund zu öffnen, als wer das Herz und die Stirn hat, jede Anrede
an's Volk mit: neuxle Avnvroux, nvuvlo cle8 ^v-ins! zu beginnen, als wer die
Unfehlbarkeit und Allmacht des Volkswillens blind voraussetzt. Der moralische Muth


von verschiedenen Farben, kommunistische so gut wie legitimistische und konstitu¬
tionelle. Der Egalitv ist demnach eine Concession gemacht. Keine Sprache soll
geduldet werden, die in irgend einem Punkte mit den Ansichten der Regierung
nicht harmonirt! So spricht ein Erzrepublikaner. Noch merkwürdiger ist Ca-
vaignac's Antwort auf die Protestation, die eine Anzahl Journalisten, an ihrer
Spitze Girardin, gegen jene Gewaltmaßregel an ihn richteten: „Indem ich die
Zeitungen unterdrücke, deren Angriffe mir eine Gefahr für die Befestigung der
Republik scheinen, glaube ich meine Pflicht zu erfüllen. Ihr, Journalisten, Ihr
thut die Eure, indem Ihr gegen einen Angriff auf die Preßfreiheit und die Rechte
der Schriftsteller protestirt. Diese Protestation ist ein Schritt, der Euch ehrt und
es wäre mir, um der Würde Eures Banners willen, unbegreiflich gewesen, hättet
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an und tritt es im Besondern aus Rücksichten der Convenance und Zweckmäßigkeit
mit Füßen, macht aber dabei die Preßfreiheit noch zu einem bloßen Schriftsteller-
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Constitutioncl wurde „verwarnt." Proudhon und Genoude wollen ihre suspendirten
Blätter unter andern Titeln in Lyon erscheinen lassen. Zugleich hört man, daß
die Provinzjournalisten am > ?>. September in Tours einen Kongreß halten wollen,
um ihren Widerstand gegen die Tyrannei der Hauptstadtzeitungcn zu organisiren.
Dies ist, meines Wissens, der erste practische Schritt der Provinzen gegen die
übermäßige Centralisation in Frankreich.

Tabula rasa! Tabula rasa! wolle» wir machen, ein funkelnagelneues Staats-
gebäude muß aufgeführt werde»; es gibt Neues unter der Sonne, denn Frank¬
reich ist Nichts unmöglich und das goldene Zeitalter hört auf eine Chimäre zu
sein, wenn man nur den ernsten Willen hat, es einstimmig zu decretiren! so
schreien die Kinder des Jahrhunderts stets im ersten Stadium der Revolution
und die Frausquillons aller Länder beugen sich im Voraus vor dem zu vollbrin¬
genden Mirakel. Maschälla, der Wille Frankreichs geschieht im Himmel und auf
Erden! Oder sie rufen wie ein polnischer Emigrant, der am 26. Februar mir
auf dem Boulevard begegnete und meinen Skepticismus mit den Worten nieder¬
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Das Gcjauchze und Gebrause reißt im Beginn Alles mit sich fort, aber wehe
dem, der darin die wirkliche Stimme der Nation findet und nicht vom berauschten
Volk an das nüchterne appellirt. In den Flittertagen der Revolution wagt Nie¬
mand den Mund zu öffnen, als wer das Herz und die Stirn hat, jede Anrede
an's Volk mit: neuxle Avnvroux, nvuvlo cle8 ^v-ins! zu beginnen, als wer die
Unfehlbarkeit und Allmacht des Volkswillens blind voraussetzt. Der moralische Muth


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[0406] von verschiedenen Farben, kommunistische so gut wie legitimistische und konstitu¬ tionelle. Der Egalitv ist demnach eine Concession gemacht. Keine Sprache soll geduldet werden, die in irgend einem Punkte mit den Ansichten der Regierung nicht harmonirt! So spricht ein Erzrepublikaner. Noch merkwürdiger ist Ca- vaignac's Antwort auf die Protestation, die eine Anzahl Journalisten, an ihrer Spitze Girardin, gegen jene Gewaltmaßregel an ihn richteten: „Indem ich die Zeitungen unterdrücke, deren Angriffe mir eine Gefahr für die Befestigung der Republik scheinen, glaube ich meine Pflicht zu erfüllen. Ihr, Journalisten, Ihr thut die Eure, indem Ihr gegen einen Angriff auf die Preßfreiheit und die Rechte der Schriftsteller protestirt. Diese Protestation ist ein Schritt, der Euch ehrt und es wäre mir, um der Würde Eures Banners willen, unbegreiflich gewesen, hättet Ihr ihn uicht gethan. Ich habe ihn erwartet." «?->, est i>in-5iütomkut <-vn- o«n->,I)Jo, rief ein Republikaner in meiner Gegenwart, als er diese artige diplo¬ matische Antwort in der Zeitung las. Er erkennt das Prinzip im Allgemeinen an und tritt es im Besondern aus Rücksichten der Convenance und Zweckmäßigkeit mit Füßen, macht aber dabei die Preßfreiheit noch zu einem bloßen Schriftsteller- intcresse. Unis, est -ldmirable! wiederholte mein Republikaner. Selbst der Constitutioncl wurde „verwarnt." Proudhon und Genoude wollen ihre suspendirten Blätter unter andern Titeln in Lyon erscheinen lassen. Zugleich hört man, daß die Provinzjournalisten am > ?>. September in Tours einen Kongreß halten wollen, um ihren Widerstand gegen die Tyrannei der Hauptstadtzeitungcn zu organisiren. Dies ist, meines Wissens, der erste practische Schritt der Provinzen gegen die übermäßige Centralisation in Frankreich. Tabula rasa! Tabula rasa! wolle» wir machen, ein funkelnagelneues Staats- gebäude muß aufgeführt werde»; es gibt Neues unter der Sonne, denn Frank¬ reich ist Nichts unmöglich und das goldene Zeitalter hört auf eine Chimäre zu sein, wenn man nur den ernsten Willen hat, es einstimmig zu decretiren! so schreien die Kinder des Jahrhunderts stets im ersten Stadium der Revolution und die Frausquillons aller Länder beugen sich im Voraus vor dem zu vollbrin¬ genden Mirakel. Maschälla, der Wille Frankreichs geschieht im Himmel und auf Erden! Oder sie rufen wie ein polnischer Emigrant, der am 26. Februar mir auf dem Boulevard begegnete und meinen Skepticismus mit den Worten nieder¬ schlug: Non d>or, vieu oft Arkmck, mais iiurvs Dien it », ri<>„ Fi-ruck <:anno lo peuplo drin^is. Das Gcjauchze und Gebrause reißt im Beginn Alles mit sich fort, aber wehe dem, der darin die wirkliche Stimme der Nation findet und nicht vom berauschten Volk an das nüchterne appellirt. In den Flittertagen der Revolution wagt Nie¬ mand den Mund zu öffnen, als wer das Herz und die Stirn hat, jede Anrede an's Volk mit: neuxle Avnvroux, nvuvlo cle8 ^v-ins! zu beginnen, als wer die Unfehlbarkeit und Allmacht des Volkswillens blind voraussetzt. Der moralische Muth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/406>, abgerufen am 29.06.2024.