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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Se. Marceau als auf die Assemblve berechnet. Dafür erhielt er vom Journal des
Debats einen Wink mit dem Zaunpfahl. Das Blatt Bertin's, auf dessen Ge¬
sinnungstüchtigkeit weniger zu geben ist als auf seinen Geist, welches aber auch
die Wahrheit, wenn sie in seinen Kram paßt, zu sagen weiß, wie kein anderes
Journal in Fraukreich, -- das I. D. D. hatte es übernommen, Odillon Barrot
und die Partei Poitiers an dem Rabulisten zu rächen. Seine Charakteristik Rol-
lin's ist so treffend, daß ich einige Sätze daraus anführen muß. Rollin spottet
über die alte Opposition, die, ohne es zu wissen oder zu wollen, eine Revolution
gemacht und die Republik herbeigeführt hat. Und was thut er selbst? "Wie die
Agitatoren der Linken den Republikanern, so leiht er den Socialisten seine Schul¬
tern. So groß ist heutzutage die Verblendung der Eitelkeiten, daß Viele denen
als Piedestal dienen, welche sie zu ihrem Schemel zu machen glauben." "Ledru
Nollin ist kein Parteiführer," er ist kein Mann der Zukunft, kein Mann der Ge¬
genwart, höchstens ein Mann der Vergangenheit. Aber die Männer des Terro¬
rismus haben ihm den bösen Streich gespielt, daß sie vor ihm lebten, so daß er
sie nnr copiren kann. Er macht ihr Räuspern und Spucken nach, aber er er¬
reicht sie nicht. Gern möchte er die zwei großen Parteien der Vorzeit, Montag-
nards und Girondisten in die Assemblve einführen; er setzt sie wieder in Scene
und hebt seine Rolle an. Fast fordert er Vergniaud heraus, aber Vergniaud
schweigt, . . . wir bekommen Nichts als Präludien und Monologe zu hören, statt
des furchtbaren Melodrams, das in seinem Herzen lebt. . . Rollin ist ein Archäo¬
log, "er liebt den Terrorismus, wie Andere das Gothische lieben,
aber mit schattenhaften Reminiscenzen macht man keine Partei" ?c. Wenn dies
Alles von dem französischen Nachahmer der Terroristen gilt, was wird man erst
bei Ihnen von den deutschen Nachahmern unseres Rabulisten sagen? Und ich
täusche mich wohl nicht, wenn ich voraussetze, daß Ihre Demagogen kleine dumme
Jungen sind gegen Ledrn Rollin, der sein Geschäft wenigstens im Großen betreibt.
Freilich haben sie einen weniger dankbaren Boden, in Deutschland ist die gefln-
nungsvolle Unwissenheit und Leichtgläubigkeit doch nicht so allgemein und, was
eine Hauptsache, das Temperament des Volkes ist kein so schicßbaumwollenes, und
das Barrikadenbancn und Fechten, ohne Zweck und Grund, blos aus nobler Pas¬
sion, wird schwerlich bei Ihnen lange Mode sein.

Wer weiß, wie viele Revolutionen Paris noch in diesem Jahrhundert machen
wird, ehe es die Freiheit gebrauchen und ertragen lernt. Es scheint, wir müssen
immer wieder das ABC von vorn anfangen. Selbst Cavaignac, der ehrliche Re¬
publikaner par vxcellonco, erklärt, "die Republik sei noch in ihren Windeln und
zu schwach, den Angriffen einiger Journale zu widerstehen." Als enthielte solch
ein Geständniß nicht mehr Gefahr, wie die Raisonnements einiger Zeitungsschreiber.
Eilf Zeitungen wurden unmittelbar nach den Junitagen suspendirt und vor Kurzem
freigegeben, jetzt ließ Cavaignac wieder sechs davon suspendiren. Es sind Blätter


Grenzboten. III. 51

Se. Marceau als auf die Assemblve berechnet. Dafür erhielt er vom Journal des
Debats einen Wink mit dem Zaunpfahl. Das Blatt Bertin's, auf dessen Ge¬
sinnungstüchtigkeit weniger zu geben ist als auf seinen Geist, welches aber auch
die Wahrheit, wenn sie in seinen Kram paßt, zu sagen weiß, wie kein anderes
Journal in Fraukreich, — das I. D. D. hatte es übernommen, Odillon Barrot
und die Partei Poitiers an dem Rabulisten zu rächen. Seine Charakteristik Rol-
lin's ist so treffend, daß ich einige Sätze daraus anführen muß. Rollin spottet
über die alte Opposition, die, ohne es zu wissen oder zu wollen, eine Revolution
gemacht und die Republik herbeigeführt hat. Und was thut er selbst? „Wie die
Agitatoren der Linken den Republikanern, so leiht er den Socialisten seine Schul¬
tern. So groß ist heutzutage die Verblendung der Eitelkeiten, daß Viele denen
als Piedestal dienen, welche sie zu ihrem Schemel zu machen glauben." „Ledru
Nollin ist kein Parteiführer," er ist kein Mann der Zukunft, kein Mann der Ge¬
genwart, höchstens ein Mann der Vergangenheit. Aber die Männer des Terro¬
rismus haben ihm den bösen Streich gespielt, daß sie vor ihm lebten, so daß er
sie nnr copiren kann. Er macht ihr Räuspern und Spucken nach, aber er er¬
reicht sie nicht. Gern möchte er die zwei großen Parteien der Vorzeit, Montag-
nards und Girondisten in die Assemblve einführen; er setzt sie wieder in Scene
und hebt seine Rolle an. Fast fordert er Vergniaud heraus, aber Vergniaud
schweigt, . . . wir bekommen Nichts als Präludien und Monologe zu hören, statt
des furchtbaren Melodrams, das in seinem Herzen lebt. . . Rollin ist ein Archäo¬
log, „er liebt den Terrorismus, wie Andere das Gothische lieben,
aber mit schattenhaften Reminiscenzen macht man keine Partei" ?c. Wenn dies
Alles von dem französischen Nachahmer der Terroristen gilt, was wird man erst
bei Ihnen von den deutschen Nachahmern unseres Rabulisten sagen? Und ich
täusche mich wohl nicht, wenn ich voraussetze, daß Ihre Demagogen kleine dumme
Jungen sind gegen Ledrn Rollin, der sein Geschäft wenigstens im Großen betreibt.
Freilich haben sie einen weniger dankbaren Boden, in Deutschland ist die gefln-
nungsvolle Unwissenheit und Leichtgläubigkeit doch nicht so allgemein und, was
eine Hauptsache, das Temperament des Volkes ist kein so schicßbaumwollenes, und
das Barrikadenbancn und Fechten, ohne Zweck und Grund, blos aus nobler Pas¬
sion, wird schwerlich bei Ihnen lange Mode sein.

Wer weiß, wie viele Revolutionen Paris noch in diesem Jahrhundert machen
wird, ehe es die Freiheit gebrauchen und ertragen lernt. Es scheint, wir müssen
immer wieder das ABC von vorn anfangen. Selbst Cavaignac, der ehrliche Re¬
publikaner par vxcellonco, erklärt, „die Republik sei noch in ihren Windeln und
zu schwach, den Angriffen einiger Journale zu widerstehen." Als enthielte solch
ein Geständniß nicht mehr Gefahr, wie die Raisonnements einiger Zeitungsschreiber.
Eilf Zeitungen wurden unmittelbar nach den Junitagen suspendirt und vor Kurzem
freigegeben, jetzt ließ Cavaignac wieder sechs davon suspendiren. Es sind Blätter


Grenzboten. III. 51
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[0405] Se. Marceau als auf die Assemblve berechnet. Dafür erhielt er vom Journal des Debats einen Wink mit dem Zaunpfahl. Das Blatt Bertin's, auf dessen Ge¬ sinnungstüchtigkeit weniger zu geben ist als auf seinen Geist, welches aber auch die Wahrheit, wenn sie in seinen Kram paßt, zu sagen weiß, wie kein anderes Journal in Fraukreich, — das I. D. D. hatte es übernommen, Odillon Barrot und die Partei Poitiers an dem Rabulisten zu rächen. Seine Charakteristik Rol- lin's ist so treffend, daß ich einige Sätze daraus anführen muß. Rollin spottet über die alte Opposition, die, ohne es zu wissen oder zu wollen, eine Revolution gemacht und die Republik herbeigeführt hat. Und was thut er selbst? „Wie die Agitatoren der Linken den Republikanern, so leiht er den Socialisten seine Schul¬ tern. So groß ist heutzutage die Verblendung der Eitelkeiten, daß Viele denen als Piedestal dienen, welche sie zu ihrem Schemel zu machen glauben." „Ledru Nollin ist kein Parteiführer," er ist kein Mann der Zukunft, kein Mann der Ge¬ genwart, höchstens ein Mann der Vergangenheit. Aber die Männer des Terro¬ rismus haben ihm den bösen Streich gespielt, daß sie vor ihm lebten, so daß er sie nnr copiren kann. Er macht ihr Räuspern und Spucken nach, aber er er¬ reicht sie nicht. Gern möchte er die zwei großen Parteien der Vorzeit, Montag- nards und Girondisten in die Assemblve einführen; er setzt sie wieder in Scene und hebt seine Rolle an. Fast fordert er Vergniaud heraus, aber Vergniaud schweigt, . . . wir bekommen Nichts als Präludien und Monologe zu hören, statt des furchtbaren Melodrams, das in seinem Herzen lebt. . . Rollin ist ein Archäo¬ log, „er liebt den Terrorismus, wie Andere das Gothische lieben, aber mit schattenhaften Reminiscenzen macht man keine Partei" ?c. Wenn dies Alles von dem französischen Nachahmer der Terroristen gilt, was wird man erst bei Ihnen von den deutschen Nachahmern unseres Rabulisten sagen? Und ich täusche mich wohl nicht, wenn ich voraussetze, daß Ihre Demagogen kleine dumme Jungen sind gegen Ledrn Rollin, der sein Geschäft wenigstens im Großen betreibt. Freilich haben sie einen weniger dankbaren Boden, in Deutschland ist die gefln- nungsvolle Unwissenheit und Leichtgläubigkeit doch nicht so allgemein und, was eine Hauptsache, das Temperament des Volkes ist kein so schicßbaumwollenes, und das Barrikadenbancn und Fechten, ohne Zweck und Grund, blos aus nobler Pas¬ sion, wird schwerlich bei Ihnen lange Mode sein. Wer weiß, wie viele Revolutionen Paris noch in diesem Jahrhundert machen wird, ehe es die Freiheit gebrauchen und ertragen lernt. Es scheint, wir müssen immer wieder das ABC von vorn anfangen. Selbst Cavaignac, der ehrliche Re¬ publikaner par vxcellonco, erklärt, „die Republik sei noch in ihren Windeln und zu schwach, den Angriffen einiger Journale zu widerstehen." Als enthielte solch ein Geständniß nicht mehr Gefahr, wie die Raisonnements einiger Zeitungsschreiber. Eilf Zeitungen wurden unmittelbar nach den Junitagen suspendirt und vor Kurzem freigegeben, jetzt ließ Cavaignac wieder sechs davon suspendiren. Es sind Blätter Grenzboten. III. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/405>, abgerufen am 29.06.2024.