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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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gesunden Menschenverstand; und die souveräne Eigenmächtigkeit seiner Redensarten
und Constructionen erschütterte im Anfang sehr viele Zwerchfelle. So wenn er
sich rühmte, daß man niemals Barrikaden eruere sin no? gebaut hätte oder mit
Pathos rief: "Ich habe mit den Fiakern gesprochen!" Komisch war auch der
Schluß seiner Rede. "Ich habe Nichts mehr für mich zu sagen, als: Es lebe
die Republik!" Dieser gefährliche Kauz stand an der Spitze der Polizei von
Frankreich. Da war doch Fouah<- seiner Zeit wenigstens gebildeter.

L. Blanc machte jenen Abend einen widerlichen, Ledru Nollin einen gehässi¬
gen Eindruck; den Kopf in den Nacken geworfen, das leibhaftige Bild ra-
bnlistischer Frechheit, stand er da und feierte über die alte Opposition einen je¬
ner Triumphe, die eben nur in einer französischen Reichsversammlung möglich
sind. Gegen das Ausland zu schreien, ist hier immer ein Beweis von tugend¬
hafter Gesinnung; seinen Ankläger einen Feind der Republik zu schimpfen, rei¬
nigt so ziemlich von der Anklage. Diese groben Finten gebrauchte der revolutio¬
näre Coulissenreißer. Statt sich zu vertheidigen, ignorirte er alle Anschuldigun¬
gen , welche die Untersuchung gegen ihn aufgehäuft, und verhöhnte Odillon Barrot
damit, daß er bei Gelegenheit der Neformbankette vou den verschworenen renn-
Iilic-illis "til in v^IIlo sich hatte dupiren lassen! Avr der savoyischen und badi¬
schen Invasion sprach er nicht, die belgische wagte er zu beschönigen. Er hatte
der republikanischen Legion, die sich bei Nisqnons-Töne auszeichnete, keine Waf¬
fen geben lassen: umgekehrt, er schickte die erwähnten Säbel, Flinten und Pa¬
tronen an die Nationalgarde in den Grenzorten, damit sie im Stande sei, die
(unbewaffnete) Legion zurückzuhalten, diese aber entriß der (bewaffneten) National¬
garde die Waffen mit Gewalt. Also war Rollin am Angriff auf Belgien unschul¬
dig, doch konnte er sich nicht enthalten, ihn gehörig motivirt zu nennen, weil in
Brüssel gegen die Republick "conspirirt" wurde und eine Zeitungsente einmal von
englischen Kriegsschiffen in der Scheide gesprochen hatte. Man bedanke sich bei
Ledrn Nollin, daß er keine Legion über den Canal schickte, denn abgesehen von
jener Zeituugseutc, weiß man denn nicht, daß Guizot und Louis Philipp in Lon¬
don "unter dem Schutz der englischen Regierung" die feindlichsten Gesinnungen
gegen die Republik hegen? Und hat nicht die pariser "Concorde" entdeckt, daß
Jarle die leitenden Artikel über's Ausland in der Times und im Morning Chro-
nicle schreibt? Uebrigens, behauptet Ledrn Rollin, habe ja die belgische Ne¬
gierung wegen der Affaire bei Nisqnonstont sich nicht einmal beschwert, habe nicht
einmal eine Note deshalb nach Paris gesandt! Nun hat zwar die provisorische
Regierung auf jene niemals abgegangene belgische Note geantwortet, -- aber was
schadet das? S' ist ebeu eine kleine oratorische Licenz.

Rollin hatte außerdem jenen Abend viel Socialismus gesprochen, was sonst
gar nicht sein Fach ist, da er sich streng nach Danton und Robespierre zu rich¬
ten pflegt, aber diese Diversion war mehr auf die Fcmbourgs Se. Antoine und


gesunden Menschenverstand; und die souveräne Eigenmächtigkeit seiner Redensarten
und Constructionen erschütterte im Anfang sehr viele Zwerchfelle. So wenn er
sich rühmte, daß man niemals Barrikaden eruere sin no? gebaut hätte oder mit
Pathos rief: „Ich habe mit den Fiakern gesprochen!" Komisch war auch der
Schluß seiner Rede. „Ich habe Nichts mehr für mich zu sagen, als: Es lebe
die Republik!" Dieser gefährliche Kauz stand an der Spitze der Polizei von
Frankreich. Da war doch Fouah<- seiner Zeit wenigstens gebildeter.

L. Blanc machte jenen Abend einen widerlichen, Ledru Nollin einen gehässi¬
gen Eindruck; den Kopf in den Nacken geworfen, das leibhaftige Bild ra-
bnlistischer Frechheit, stand er da und feierte über die alte Opposition einen je¬
ner Triumphe, die eben nur in einer französischen Reichsversammlung möglich
sind. Gegen das Ausland zu schreien, ist hier immer ein Beweis von tugend¬
hafter Gesinnung; seinen Ankläger einen Feind der Republik zu schimpfen, rei¬
nigt so ziemlich von der Anklage. Diese groben Finten gebrauchte der revolutio¬
näre Coulissenreißer. Statt sich zu vertheidigen, ignorirte er alle Anschuldigun¬
gen , welche die Untersuchung gegen ihn aufgehäuft, und verhöhnte Odillon Barrot
damit, daß er bei Gelegenheit der Neformbankette vou den verschworenen renn-
Iilic-illis «til in v^IIlo sich hatte dupiren lassen! Avr der savoyischen und badi¬
schen Invasion sprach er nicht, die belgische wagte er zu beschönigen. Er hatte
der republikanischen Legion, die sich bei Nisqnons-Töne auszeichnete, keine Waf¬
fen geben lassen: umgekehrt, er schickte die erwähnten Säbel, Flinten und Pa¬
tronen an die Nationalgarde in den Grenzorten, damit sie im Stande sei, die
(unbewaffnete) Legion zurückzuhalten, diese aber entriß der (bewaffneten) National¬
garde die Waffen mit Gewalt. Also war Rollin am Angriff auf Belgien unschul¬
dig, doch konnte er sich nicht enthalten, ihn gehörig motivirt zu nennen, weil in
Brüssel gegen die Republick „conspirirt" wurde und eine Zeitungsente einmal von
englischen Kriegsschiffen in der Scheide gesprochen hatte. Man bedanke sich bei
Ledrn Nollin, daß er keine Legion über den Canal schickte, denn abgesehen von
jener Zeituugseutc, weiß man denn nicht, daß Guizot und Louis Philipp in Lon¬
don „unter dem Schutz der englischen Regierung" die feindlichsten Gesinnungen
gegen die Republik hegen? Und hat nicht die pariser „Concorde" entdeckt, daß
Jarle die leitenden Artikel über's Ausland in der Times und im Morning Chro-
nicle schreibt? Uebrigens, behauptet Ledrn Rollin, habe ja die belgische Ne¬
gierung wegen der Affaire bei Nisqnonstont sich nicht einmal beschwert, habe nicht
einmal eine Note deshalb nach Paris gesandt! Nun hat zwar die provisorische
Regierung auf jene niemals abgegangene belgische Note geantwortet, — aber was
schadet das? S' ist ebeu eine kleine oratorische Licenz.

Rollin hatte außerdem jenen Abend viel Socialismus gesprochen, was sonst
gar nicht sein Fach ist, da er sich streng nach Danton und Robespierre zu rich¬
ten pflegt, aber diese Diversion war mehr auf die Fcmbourgs Se. Antoine und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/404>, abgerufen am 29.06.2024.