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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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reich gewiß von der glänzendsten Seite und man könnte den Scharfsinn, die Er¬
findungskraft, die Energie seiner Vorsichtsmaßregeln bewundern, wenn die Noth¬
wendigkeit derselben weniger traurig wäre. In frühern Jahren hatten Büzeaud
und Gabriel Delessert die conservative Staatskunst der Franzosen durch ein Sy¬
stem bereichert, von dem sich Louis Philipp große Dinge versprochen haben soll:
ein kunstvolles System zur Erdrücknng Pariser Emeuten. Die Clubhäuptlinge,
denen ein Sekretär im Ministerium des Innern diesen Plan in die Hände spielte,
richteten nach demselben ihre Taktik beim Juniaufstaud ein, der bekanntlich mit
großem Geschick geleitet war. "Diese politischen Fortschritte der Oppo¬
sition" muß das Cabinet durch noch größere Fortschritte zu überbieten suchen.
Paris ist also bis an die Zähne geharnischt, die meisten öffentlichen Gebäude sind
in Vertheidigungszustand, und auf dem Marsfelde experimentirt man mit beweg¬
lichen Contrcbarrikaden, die beinahe dem Arbeitcrschild im Themsetnnnel gleichen.
Man erwartet von diesen wandelnden Eichenholzmaueru, mit Schießscharten für
das Militär, Wunderdinge. Es gibt keine Barrikaden mehr! sagen die Militärs.
Für die Garde mobile wird von Neuem geworben. Ouvriers ans den Provinzen
müssen ihre Snbsistenzmittel und ihre Antecedentien nachweisen oder Bürgschaften
für sich stellen können, wenn sie nach Paris wollen und alle Reisenden, In - wie
Ausländer, sind der strengsten Polizeiaufsicht unterworfen. Das Paßsystem ist wie¬
der unentbehrlich geworden. Außerdem soll Cavaignac damit umgehn, das Poli-
zeiministerinm, ein specifisch-pariserisches Institut, welches durch Fouah-- und seine
Agenten einst berühmt war, wieder aufleben zu lassen; unabhängig von der Ju¬
stiz , durch seine discretiouärc Gewalt gegen verdächtige Individuen vielmehr über
der Justiz stehend, ist es eben keine Bürgschaft sür die persönliche Freiheit. Ge¬
ben Sie Acht, auch Fouchv wird überboten werden und die künftigen Vidocqs
werden ans den alten wie ans einen Stümper herabsehen, denn es scheint, daß
nach jeder Revolution nur das Raffinement von Oben und Unten, nur die Vir¬
tuosität der Franzosen im Miniren und Cvutreminiren sich um einen Grad ver¬
vollkommnen soll.

Cavaignac aber ist ein zu ehrlicher Maun, als daß er ohne die dringendste
Noth zu so verzweifelten Mitteln griffe. Lesen Sie die Auszüge aus deu drei
Bänden Untersnchnugsatteu und urtheilen Sie dann selbst über die republikani¬
schen Fähigkeiten der hiesigen Revolutionärs. Sehen Sie sich die fernhinglän¬
zenden Apostel der Fratcruit"! aus der Nähe an; diese Propheten, nach deren Aus¬
spruch der mupl-iz public in Zukunft das wirksamste Strafmittel sein sollte! Ge¬
wiß, unter der Voraussetzung, daß alle Rechtsbegriffe Sophismen sind und das
Verbrechen ein Vorurtheil ist, hört das Verbrechen von selbst auf und Strafge¬
setze werden Luxus. Mit der Aufhebung des Eigenthums verschwindet der Dieb-
stahl. Gibt man diese Kleinigkeit zu, so haben Louis Blanc und Proudhon die
Menschheit erlöst. Erlauben Sie mir, im Vorbeigehen auf die berühmte Beichte


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reich gewiß von der glänzendsten Seite und man könnte den Scharfsinn, die Er¬
findungskraft, die Energie seiner Vorsichtsmaßregeln bewundern, wenn die Noth¬
wendigkeit derselben weniger traurig wäre. In frühern Jahren hatten Büzeaud
und Gabriel Delessert die conservative Staatskunst der Franzosen durch ein Sy¬
stem bereichert, von dem sich Louis Philipp große Dinge versprochen haben soll:
ein kunstvolles System zur Erdrücknng Pariser Emeuten. Die Clubhäuptlinge,
denen ein Sekretär im Ministerium des Innern diesen Plan in die Hände spielte,
richteten nach demselben ihre Taktik beim Juniaufstaud ein, der bekanntlich mit
großem Geschick geleitet war. „Diese politischen Fortschritte der Oppo¬
sition" muß das Cabinet durch noch größere Fortschritte zu überbieten suchen.
Paris ist also bis an die Zähne geharnischt, die meisten öffentlichen Gebäude sind
in Vertheidigungszustand, und auf dem Marsfelde experimentirt man mit beweg¬
lichen Contrcbarrikaden, die beinahe dem Arbeitcrschild im Themsetnnnel gleichen.
Man erwartet von diesen wandelnden Eichenholzmaueru, mit Schießscharten für
das Militär, Wunderdinge. Es gibt keine Barrikaden mehr! sagen die Militärs.
Für die Garde mobile wird von Neuem geworben. Ouvriers ans den Provinzen
müssen ihre Snbsistenzmittel und ihre Antecedentien nachweisen oder Bürgschaften
für sich stellen können, wenn sie nach Paris wollen und alle Reisenden, In - wie
Ausländer, sind der strengsten Polizeiaufsicht unterworfen. Das Paßsystem ist wie¬
der unentbehrlich geworden. Außerdem soll Cavaignac damit umgehn, das Poli-
zeiministerinm, ein specifisch-pariserisches Institut, welches durch Fouah-- und seine
Agenten einst berühmt war, wieder aufleben zu lassen; unabhängig von der Ju¬
stiz , durch seine discretiouärc Gewalt gegen verdächtige Individuen vielmehr über
der Justiz stehend, ist es eben keine Bürgschaft sür die persönliche Freiheit. Ge¬
ben Sie Acht, auch Fouchv wird überboten werden und die künftigen Vidocqs
werden ans den alten wie ans einen Stümper herabsehen, denn es scheint, daß
nach jeder Revolution nur das Raffinement von Oben und Unten, nur die Vir¬
tuosität der Franzosen im Miniren und Cvutreminiren sich um einen Grad ver¬
vollkommnen soll.

Cavaignac aber ist ein zu ehrlicher Maun, als daß er ohne die dringendste
Noth zu so verzweifelten Mitteln griffe. Lesen Sie die Auszüge aus deu drei
Bänden Untersnchnugsatteu und urtheilen Sie dann selbst über die republikani¬
schen Fähigkeiten der hiesigen Revolutionärs. Sehen Sie sich die fernhinglän¬
zenden Apostel der Fratcruit«! aus der Nähe an; diese Propheten, nach deren Aus¬
spruch der mupl-iz public in Zukunft das wirksamste Strafmittel sein sollte! Ge¬
wiß, unter der Voraussetzung, daß alle Rechtsbegriffe Sophismen sind und das
Verbrechen ein Vorurtheil ist, hört das Verbrechen von selbst auf und Strafge¬
setze werden Luxus. Mit der Aufhebung des Eigenthums verschwindet der Dieb-
stahl. Gibt man diese Kleinigkeit zu, so haben Louis Blanc und Proudhon die
Menschheit erlöst. Erlauben Sie mir, im Vorbeigehen auf die berühmte Beichte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/399>, abgerufen am 29.06.2024.