Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kaiserstaat, wie der neue Verfassungsentwurf beabsichtigt, in zwei Theile thei¬
len, von denen der eine, zum deutschen Bundesstaat gehörige, über dem Kaiser
eine Suprematie erkennt, welche sein Heerwesen, seine diplomatischen Beziehun¬
gen u. s. w. uach selbstständigem Erkennen regelt; und in diesem Fall tritt die
Ungereimtheit ein, daß der Kaiser von Oestreich als anßerdcutscher Fürst Heere
entsendet, Kriege führt, Gesandte unterhält, während er als deutscher Fürst die
höchsten Souveräuirätsrechte nicht besitzt. Es gehört die Naivetät mittelalter¬
licher Verhältnisse dazu, um so Etwas auf die Länge zu ertragen, am wenigsten
würden Ihre Ungarn und Kroaten mit einer Stellung zufrieden sein, welche
ihnen als unfrei und demüthigend erscheinen müßte, ihr Mißtrauen dagegen würde
sie Ihrem Staat in kürzester Zeit entfremden. Bei allen Fiuanzfragen, bei einem
allgemeinen deutschen Staatsbürgerrecht, vor Allem bei der Handelspolitik Oest¬
reichs würden diese Schwierigkeiten am Tage liegen. Doch gesetzt, dies Alles
wäre zu ordnen, und ich läugne nicht, daß man für jede einzelne Schwierigkeit
Aushilfe erfinden kann, so bleibt doch die Hauptfrage, in wie fern wird eine
Centralisation in der bis jetzt zu Frankfurt angestrebten Weise die Kraft Deutsch¬
lands vermehren? Kein Oestreich, kein Preußen mehr, ein einiges Deutschland,
ist ein schöner Wunsch, aber ob gegenwärtig ein einiges Deutschland nicht kleiner
würde als Oestreich oder Preußen bis jetzt allein waren? In Beziehung auf Oest¬
reich ist dies klar. Ein Hingeben an die Beschlüsse der Frankfurter Versammlung
wird zur sichern Folge haben, daß Oestreich seine Stellung als Großmacht ver¬
liert, wohl mag dann Ungarn und Siebenbürgen dnrch seine Interessen an das
neue Deutschland, wie bisher an Oestreich, gefesselt werden, aber die slavischen
Außenländer gegen Nußland zu bewahren, ist Oestreich, ist Deutschland dann
entschieden außer Stande, denn abgesehen von der Frage, ob die Politik der
deutschen Centralgewalt die Aufgabe und das Geschick haben würde, Gallizien, Dal-
matien und die Südgrenze Ungarns von einer Verbindung mit Rußland abzuhal¬
ten, so liegt es auch in der Natur der Sache, daß eine schwierige und verwickelte
Organisirung, wie die eines einigen Deutschlands, sich nnr nach längerer Zeit
und vielem Kampf mit den Bestrebungen der einzelnen Parteien und Staaten
durchsetzen kann, und diese Zeit der Kämpfe, des schwachen Befehlens und säu¬
migen Gehorsams, der Kollisionen in Sonveränitätsrechten, wird nothwendig die
Kraft Deutschlands für die innern Angelegenheiten in Anspruch nehmen, und die
Sorge für die äußere Politik in den Hintergrund drücken. Und deßhalb wird
die sichere Folge einer Unterordnung Oestreichs unter die deutsche Centralgewalt
die sein, daß Rußland sich bis an die Küste des adriatischen Meeres ausdehnt.
Dies Unglück aber wäre so groß, daß schon deßhalb im Interesse des gesammten
Deutschlands ein augenblicklicher Anschluß Oestreichs an den projectirten deutschen
Bundesstaat nicht wünschenswert!), ja ein Verhängniß für Deutschland wäre"). Und



Vergl. Anm. der Red. am Ende dieses Artikels.

Kaiserstaat, wie der neue Verfassungsentwurf beabsichtigt, in zwei Theile thei¬
len, von denen der eine, zum deutschen Bundesstaat gehörige, über dem Kaiser
eine Suprematie erkennt, welche sein Heerwesen, seine diplomatischen Beziehun¬
gen u. s. w. uach selbstständigem Erkennen regelt; und in diesem Fall tritt die
Ungereimtheit ein, daß der Kaiser von Oestreich als anßerdcutscher Fürst Heere
entsendet, Kriege führt, Gesandte unterhält, während er als deutscher Fürst die
höchsten Souveräuirätsrechte nicht besitzt. Es gehört die Naivetät mittelalter¬
licher Verhältnisse dazu, um so Etwas auf die Länge zu ertragen, am wenigsten
würden Ihre Ungarn und Kroaten mit einer Stellung zufrieden sein, welche
ihnen als unfrei und demüthigend erscheinen müßte, ihr Mißtrauen dagegen würde
sie Ihrem Staat in kürzester Zeit entfremden. Bei allen Fiuanzfragen, bei einem
allgemeinen deutschen Staatsbürgerrecht, vor Allem bei der Handelspolitik Oest¬
reichs würden diese Schwierigkeiten am Tage liegen. Doch gesetzt, dies Alles
wäre zu ordnen, und ich läugne nicht, daß man für jede einzelne Schwierigkeit
Aushilfe erfinden kann, so bleibt doch die Hauptfrage, in wie fern wird eine
Centralisation in der bis jetzt zu Frankfurt angestrebten Weise die Kraft Deutsch¬
lands vermehren? Kein Oestreich, kein Preußen mehr, ein einiges Deutschland,
ist ein schöner Wunsch, aber ob gegenwärtig ein einiges Deutschland nicht kleiner
würde als Oestreich oder Preußen bis jetzt allein waren? In Beziehung auf Oest¬
reich ist dies klar. Ein Hingeben an die Beschlüsse der Frankfurter Versammlung
wird zur sichern Folge haben, daß Oestreich seine Stellung als Großmacht ver¬
liert, wohl mag dann Ungarn und Siebenbürgen dnrch seine Interessen an das
neue Deutschland, wie bisher an Oestreich, gefesselt werden, aber die slavischen
Außenländer gegen Nußland zu bewahren, ist Oestreich, ist Deutschland dann
entschieden außer Stande, denn abgesehen von der Frage, ob die Politik der
deutschen Centralgewalt die Aufgabe und das Geschick haben würde, Gallizien, Dal-
matien und die Südgrenze Ungarns von einer Verbindung mit Rußland abzuhal¬
ten, so liegt es auch in der Natur der Sache, daß eine schwierige und verwickelte
Organisirung, wie die eines einigen Deutschlands, sich nnr nach längerer Zeit
und vielem Kampf mit den Bestrebungen der einzelnen Parteien und Staaten
durchsetzen kann, und diese Zeit der Kämpfe, des schwachen Befehlens und säu¬
migen Gehorsams, der Kollisionen in Sonveränitätsrechten, wird nothwendig die
Kraft Deutschlands für die innern Angelegenheiten in Anspruch nehmen, und die
Sorge für die äußere Politik in den Hintergrund drücken. Und deßhalb wird
die sichere Folge einer Unterordnung Oestreichs unter die deutsche Centralgewalt
die sein, daß Rußland sich bis an die Küste des adriatischen Meeres ausdehnt.
Dies Unglück aber wäre so groß, daß schon deßhalb im Interesse des gesammten
Deutschlands ein augenblicklicher Anschluß Oestreichs an den projectirten deutschen
Bundesstaat nicht wünschenswert!), ja ein Verhängniß für Deutschland wäre"). Und



Vergl. Anm. der Red. am Ende dieses Artikels.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277468"/>
          <p xml:id="ID_116" prev="#ID_115" next="#ID_117"> Kaiserstaat, wie der neue Verfassungsentwurf beabsichtigt, in zwei Theile thei¬<lb/>
len, von denen der eine, zum deutschen Bundesstaat gehörige, über dem Kaiser<lb/>
eine Suprematie erkennt, welche sein Heerwesen, seine diplomatischen Beziehun¬<lb/>
gen u. s. w. uach selbstständigem Erkennen regelt; und in diesem Fall tritt die<lb/>
Ungereimtheit ein, daß der Kaiser von Oestreich als anßerdcutscher Fürst Heere<lb/>
entsendet, Kriege führt, Gesandte unterhält, während er als deutscher Fürst die<lb/>
höchsten Souveräuirätsrechte nicht besitzt. Es gehört die Naivetät mittelalter¬<lb/>
licher Verhältnisse dazu, um so Etwas auf die Länge zu ertragen, am wenigsten<lb/>
würden Ihre Ungarn und Kroaten mit einer Stellung zufrieden sein, welche<lb/>
ihnen als unfrei und demüthigend erscheinen müßte, ihr Mißtrauen dagegen würde<lb/>
sie Ihrem Staat in kürzester Zeit entfremden. Bei allen Fiuanzfragen, bei einem<lb/>
allgemeinen deutschen Staatsbürgerrecht, vor Allem bei der Handelspolitik Oest¬<lb/>
reichs würden diese Schwierigkeiten am Tage liegen. Doch gesetzt, dies Alles<lb/>
wäre zu ordnen, und ich läugne nicht, daß man für jede einzelne Schwierigkeit<lb/>
Aushilfe erfinden kann, so bleibt doch die Hauptfrage, in wie fern wird eine<lb/>
Centralisation in der bis jetzt zu Frankfurt angestrebten Weise die Kraft Deutsch¬<lb/>
lands vermehren? Kein Oestreich, kein Preußen mehr, ein einiges Deutschland,<lb/>
ist ein schöner Wunsch, aber ob gegenwärtig ein einiges Deutschland nicht kleiner<lb/>
würde als Oestreich oder Preußen bis jetzt allein waren? In Beziehung auf Oest¬<lb/>
reich ist dies klar. Ein Hingeben an die Beschlüsse der Frankfurter Versammlung<lb/>
wird zur sichern Folge haben, daß Oestreich seine Stellung als Großmacht ver¬<lb/>
liert, wohl mag dann Ungarn und Siebenbürgen dnrch seine Interessen an das<lb/>
neue Deutschland, wie bisher an Oestreich, gefesselt werden, aber die slavischen<lb/>
Außenländer gegen Nußland zu bewahren, ist Oestreich, ist Deutschland dann<lb/>
entschieden außer Stande, denn abgesehen von der Frage, ob die Politik der<lb/>
deutschen Centralgewalt die Aufgabe und das Geschick haben würde, Gallizien, Dal-<lb/>
matien und die Südgrenze Ungarns von einer Verbindung mit Rußland abzuhal¬<lb/>
ten, so liegt es auch in der Natur der Sache, daß eine schwierige und verwickelte<lb/>
Organisirung, wie die eines einigen Deutschlands, sich nnr nach längerer Zeit<lb/>
und vielem Kampf mit den Bestrebungen der einzelnen Parteien und Staaten<lb/>
durchsetzen kann, und diese Zeit der Kämpfe, des schwachen Befehlens und säu¬<lb/>
migen Gehorsams, der Kollisionen in Sonveränitätsrechten, wird nothwendig die<lb/>
Kraft Deutschlands für die innern Angelegenheiten in Anspruch nehmen, und die<lb/>
Sorge für die äußere Politik in den Hintergrund drücken. Und deßhalb wird<lb/>
die sichere Folge einer Unterordnung Oestreichs unter die deutsche Centralgewalt<lb/>
die sein, daß Rußland sich bis an die Küste des adriatischen Meeres ausdehnt.<lb/>
Dies Unglück aber wäre so groß, daß schon deßhalb im Interesse des gesammten<lb/>
Deutschlands ein augenblicklicher Anschluß Oestreichs an den projectirten deutschen<lb/>
Bundesstaat nicht wünschenswert!), ja ein Verhängniß für Deutschland wäre"). Und</p><lb/>
          <note xml:id="FID_2" place="foot"> Vergl. Anm. der Red. am Ende dieses Artikels.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Kaiserstaat, wie der neue Verfassungsentwurf beabsichtigt, in zwei Theile thei¬ len, von denen der eine, zum deutschen Bundesstaat gehörige, über dem Kaiser eine Suprematie erkennt, welche sein Heerwesen, seine diplomatischen Beziehun¬ gen u. s. w. uach selbstständigem Erkennen regelt; und in diesem Fall tritt die Ungereimtheit ein, daß der Kaiser von Oestreich als anßerdcutscher Fürst Heere entsendet, Kriege führt, Gesandte unterhält, während er als deutscher Fürst die höchsten Souveräuirätsrechte nicht besitzt. Es gehört die Naivetät mittelalter¬ licher Verhältnisse dazu, um so Etwas auf die Länge zu ertragen, am wenigsten würden Ihre Ungarn und Kroaten mit einer Stellung zufrieden sein, welche ihnen als unfrei und demüthigend erscheinen müßte, ihr Mißtrauen dagegen würde sie Ihrem Staat in kürzester Zeit entfremden. Bei allen Fiuanzfragen, bei einem allgemeinen deutschen Staatsbürgerrecht, vor Allem bei der Handelspolitik Oest¬ reichs würden diese Schwierigkeiten am Tage liegen. Doch gesetzt, dies Alles wäre zu ordnen, und ich läugne nicht, daß man für jede einzelne Schwierigkeit Aushilfe erfinden kann, so bleibt doch die Hauptfrage, in wie fern wird eine Centralisation in der bis jetzt zu Frankfurt angestrebten Weise die Kraft Deutsch¬ lands vermehren? Kein Oestreich, kein Preußen mehr, ein einiges Deutschland, ist ein schöner Wunsch, aber ob gegenwärtig ein einiges Deutschland nicht kleiner würde als Oestreich oder Preußen bis jetzt allein waren? In Beziehung auf Oest¬ reich ist dies klar. Ein Hingeben an die Beschlüsse der Frankfurter Versammlung wird zur sichern Folge haben, daß Oestreich seine Stellung als Großmacht ver¬ liert, wohl mag dann Ungarn und Siebenbürgen dnrch seine Interessen an das neue Deutschland, wie bisher an Oestreich, gefesselt werden, aber die slavischen Außenländer gegen Nußland zu bewahren, ist Oestreich, ist Deutschland dann entschieden außer Stande, denn abgesehen von der Frage, ob die Politik der deutschen Centralgewalt die Aufgabe und das Geschick haben würde, Gallizien, Dal- matien und die Südgrenze Ungarns von einer Verbindung mit Rußland abzuhal¬ ten, so liegt es auch in der Natur der Sache, daß eine schwierige und verwickelte Organisirung, wie die eines einigen Deutschlands, sich nnr nach längerer Zeit und vielem Kampf mit den Bestrebungen der einzelnen Parteien und Staaten durchsetzen kann, und diese Zeit der Kämpfe, des schwachen Befehlens und säu¬ migen Gehorsams, der Kollisionen in Sonveränitätsrechten, wird nothwendig die Kraft Deutschlands für die innern Angelegenheiten in Anspruch nehmen, und die Sorge für die äußere Politik in den Hintergrund drücken. Und deßhalb wird die sichere Folge einer Unterordnung Oestreichs unter die deutsche Centralgewalt die sein, daß Rußland sich bis an die Küste des adriatischen Meeres ausdehnt. Dies Unglück aber wäre so groß, daß schon deßhalb im Interesse des gesammten Deutschlands ein augenblicklicher Anschluß Oestreichs an den projectirten deutschen Bundesstaat nicht wünschenswert!), ja ein Verhängniß für Deutschland wäre"). Und Vergl. Anm. der Red. am Ende dieses Artikels.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/38>, abgerufen am 26.06.2024.