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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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diese Vereinigung ist zur Zeit noch nicht nöthig. Sie wurde es von dem Tag
an werden, wo die Regierung das Vertrauen zur eigenen Kraft verlöre und am
übrigen Deutschland eine Stütze suchen müßte. Haben Sie dagegen die Bürgschaf¬
ten dafür, daß Oestreich diese reinigende Katastrophe überdauern werde, so liegt es
in Ihrer Hand eine Vereinigung mit Deutschland nicht durch verzweifelndes Auf¬
geben Oestreichs, nicht durch ein staatsmännisches Saltomortale, sondern durch
die Völker selbst, durch einen Akt constitutionell berechtigter Kräfte durchzusetzen.

Gestatten Sie mir die Bemerkung, daß der Constitntionsentwurf vom 25.
April sowohl, als die constitnirende Versammlung, welche jetzt') zusammentritt,
zu einem guten Resultat uicht führen können. Der Constitntionsentwurf ist das
wohlwollende, aber eilige Produkt stürmischer Tage, er verräth das bange Stre¬
ben zusammen zu leimen, was nicht zu verbinden ist. Kein Ministerium! kann mit
einem Parlament regieren, welches ans solche Weise aus Urwcchlcn hervorgegangen
ist; das Ministerium wird bei allen großen Fragen keine Majorität der Ueber¬
zeugung sondern nur Fraktionen landschaftlicher Stimmungen haben, und
jedes Parlament nach diesem Modus zusammen berufen, wird ans einander fallen
und den Staat ruiniren, statt ihn zu stützen. Ob directe Wahlen besser gewesen
wären, darauf kommt es für Oestreich gar nicht an. Bei jedem Wahlact wird die
Volkskammer keine kräftige Physiognomie haben, weil es unmöglich ist, die sehr verschie¬
denen Interessen der einzelnen in ihr zusammen geworfenen Länder, die leiden¬
schaftlichen Neigungen und Abneigungen, durch eine solche nur formelle Einheit
zu binden. Denn die gemeinsamen Interessen Oestreichs sind den Sonderintcrcs-
sen und Gelüsten gegenüber im Bewußtsein seiner Völker noch durchaus nicht
durchgebildet. Hat doch die frühere Regierung Oestreichs alle Macht aufgeboten,
den politischen Verstand edler Volksstämme zu todten. Der constttnirenden Ver¬
sammlung aber ihr Schicksal zu prophezeien, kann Ihnen nickt schwer sein, es
steht' nicht clinal fest, ob überall gewählt wird, ob die Gewählten kommen
und ob sie guten Willen mitbringen eine gemeinsame Verfassung zu berathen.
Aber auch in diesem Falle werden die Berathungen den Eindruck der Schwäche
und Haltlosigkeit machen, sicher nicht weniger als die Berliner und Frankfurter
Debatten. Und dies wird sowohl eine Folge davon sein, daß die constitnirende
Versammlung an parlamentarisches Leben durchaus nicht gewöhnt ist, dann aber
auch, weil sie genöthigt wird ein schimmerndes Dach zu bauen über alte zusam¬
menstürzende Mauern, über die bisherige Communal - und Kreisverfassung. Die
folgen davon werden traurig sein. Unsere liebenswürdigen, enthusiastischen Wie-
welche jetzt so ungeduldig sind die Versammlung bei sich zu sehen, werden
"ach einigen Wochen gelangweilt, getäuscht und, mit Unrecht, an Oestreichs Kraft
^nselnd, ihre Fortschrittswünsche in bedenkliche Weite ausdehnen; die Depu-


Geschrüben den 26. Juni.
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diese Vereinigung ist zur Zeit noch nicht nöthig. Sie wurde es von dem Tag
an werden, wo die Regierung das Vertrauen zur eigenen Kraft verlöre und am
übrigen Deutschland eine Stütze suchen müßte. Haben Sie dagegen die Bürgschaf¬
ten dafür, daß Oestreich diese reinigende Katastrophe überdauern werde, so liegt es
in Ihrer Hand eine Vereinigung mit Deutschland nicht durch verzweifelndes Auf¬
geben Oestreichs, nicht durch ein staatsmännisches Saltomortale, sondern durch
die Völker selbst, durch einen Akt constitutionell berechtigter Kräfte durchzusetzen.

Gestatten Sie mir die Bemerkung, daß der Constitntionsentwurf vom 25.
April sowohl, als die constitnirende Versammlung, welche jetzt') zusammentritt,
zu einem guten Resultat uicht führen können. Der Constitntionsentwurf ist das
wohlwollende, aber eilige Produkt stürmischer Tage, er verräth das bange Stre¬
ben zusammen zu leimen, was nicht zu verbinden ist. Kein Ministerium! kann mit
einem Parlament regieren, welches ans solche Weise aus Urwcchlcn hervorgegangen
ist; das Ministerium wird bei allen großen Fragen keine Majorität der Ueber¬
zeugung sondern nur Fraktionen landschaftlicher Stimmungen haben, und
jedes Parlament nach diesem Modus zusammen berufen, wird ans einander fallen
und den Staat ruiniren, statt ihn zu stützen. Ob directe Wahlen besser gewesen
wären, darauf kommt es für Oestreich gar nicht an. Bei jedem Wahlact wird die
Volkskammer keine kräftige Physiognomie haben, weil es unmöglich ist, die sehr verschie¬
denen Interessen der einzelnen in ihr zusammen geworfenen Länder, die leiden¬
schaftlichen Neigungen und Abneigungen, durch eine solche nur formelle Einheit
zu binden. Denn die gemeinsamen Interessen Oestreichs sind den Sonderintcrcs-
sen und Gelüsten gegenüber im Bewußtsein seiner Völker noch durchaus nicht
durchgebildet. Hat doch die frühere Regierung Oestreichs alle Macht aufgeboten,
den politischen Verstand edler Volksstämme zu todten. Der constttnirenden Ver¬
sammlung aber ihr Schicksal zu prophezeien, kann Ihnen nickt schwer sein, es
steht' nicht clinal fest, ob überall gewählt wird, ob die Gewählten kommen
und ob sie guten Willen mitbringen eine gemeinsame Verfassung zu berathen.
Aber auch in diesem Falle werden die Berathungen den Eindruck der Schwäche
und Haltlosigkeit machen, sicher nicht weniger als die Berliner und Frankfurter
Debatten. Und dies wird sowohl eine Folge davon sein, daß die constitnirende
Versammlung an parlamentarisches Leben durchaus nicht gewöhnt ist, dann aber
auch, weil sie genöthigt wird ein schimmerndes Dach zu bauen über alte zusam¬
menstürzende Mauern, über die bisherige Communal - und Kreisverfassung. Die
folgen davon werden traurig sein. Unsere liebenswürdigen, enthusiastischen Wie-
welche jetzt so ungeduldig sind die Versammlung bei sich zu sehen, werden
"ach einigen Wochen gelangweilt, getäuscht und, mit Unrecht, an Oestreichs Kraft
^nselnd, ihre Fortschrittswünsche in bedenkliche Weite ausdehnen; die Depu-


Geschrüben den 26. Juni.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/39>, abgerufen am 26.06.2024.