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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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liebste von ihr sich zustelle" läßt, die für Kleidung, Wohnung, Nahrung, Erzie¬
hung denn das Alles gehört zur Wohlfahrt zu sorgen übernimmt. Wir
sind überzeugt, gerade dadurch, daß der Einzelne die Gefahr des Mangels offen
sieht, daß er ans Noth und Mißgeschick sich herauszuringen hat, entwickelt sich
energische Thätigkeit, kräftiger Charakter und selbstbewußte Freiheit. Der Mensch,
wenn er nur seinen! Egoismus nachgibt, wird nichtswürdig, wenn er jeden Egois¬
mus verloren hat aber zum Lumpen, zum Schwächling; zum wahrhaft freien und
starken Staatsbürger wird er, wenn er seinen Egoismus nicht auflöst in nebel¬
haften Humanismus, sondern ihn durch Bildung und Vernunft geadelt hat. Die
unendlichen Rechte und die unendlichen Pflichten des Individuums dürfen nicht
verschlungen werden von dem monströsen Ungeheuer des Staats, sondern grade
die Individualitäten müssen sich geltend machen, aber überall und als bewußte.
Sie sollen dies durch freie Association. Nicht der Staat soll reglementiren --
denn der Staat ist nnr das Gemeinsame aller Klassen, aller Interessen. In
der Befugniß des Staates liegt nur, die Differenzen der einzelnen Interessen
zu versöhnen, ihre relative Berechtigung zu prüfen und die freien Associationen
der einzelnen Interessen innerhalb der Grenzen ihrer Berechtigung zu stützen,
und zu fördern, wie er es z. B. jetzt thut mit der Kirche, mit dem Handel,
der Industrie und dergleichen. Garantie der Arbeit liegt deshalb nnr soweit im
Bereiche des Staates, als es seine Pflicht ist, Arbeitskräfte, welche überflüssig
sind und deshalb seiner Sicherheit gefährlich werden, abzuleiten und zu beschäfti¬
gen, durch öffentliche Arbeiten, dnrch Eolonisation in seinem Innern, so lange
sie möglich ist und endlich dnrch Auswanderung in die Fremde.

Zweitens hat diese Partei in Betreff ihrer Tendenz eine verständige Stellung
einzunehmen, in der Frage: ob Republik, ob coustitnti onelleMonar-chic?
Unserer Theorie nach wird eine wahrhafte vollkommne Demokratie endlich zur Re¬
publik führen. Aber diese Ueberzeugung wird uns nicht gegen die Mauer trei¬
ben. Wir haben die praktische Erfahrung, daß nicht die constitnirende Theorie,
die Staaten baut, den Absolutismus gestürzt, sondern allein die Thatsache, daß
das Volk es unter ihm nicht länger aushalten konnte. Ebenso kann der Consti-,
tutionalismus nicht durch die republikanischen Prinzipien gestürzt werden, sondern
durch die Erfahrung, daß er die Bedürfnisse des Volkes nicht wird erfüllen, die
versprochenen demokratischen Institutionen nicht wird bieten können.

Uns kommt es auf den demokratischen Inhalt des Staates, nicht auf seine
Form, an; gäbe sie uns ein coifftstutioneller Monarch , wir würden sie deshalb
nicht zurückweisen, weil sein Haupt "ein goldner Reif ziert, und nicht ein weißer
Filz bedeckt." Aber wir tonnen andrerseits auch nicht sagen, wie bisher unser
"demokratisch - constitutioneller Club" gethan: wir wollen demokratische Institutio¬
nen, aber im konstitutionellen Staate; denn wir wollen um die erstem, das zweite
nehmen wir mit, weil es nicht anders ist. Wer eine reiche Frau heirathen will


liebste von ihr sich zustelle» läßt, die für Kleidung, Wohnung, Nahrung, Erzie¬
hung denn das Alles gehört zur Wohlfahrt zu sorgen übernimmt. Wir
sind überzeugt, gerade dadurch, daß der Einzelne die Gefahr des Mangels offen
sieht, daß er ans Noth und Mißgeschick sich herauszuringen hat, entwickelt sich
energische Thätigkeit, kräftiger Charakter und selbstbewußte Freiheit. Der Mensch,
wenn er nur seinen! Egoismus nachgibt, wird nichtswürdig, wenn er jeden Egois¬
mus verloren hat aber zum Lumpen, zum Schwächling; zum wahrhaft freien und
starken Staatsbürger wird er, wenn er seinen Egoismus nicht auflöst in nebel¬
haften Humanismus, sondern ihn durch Bildung und Vernunft geadelt hat. Die
unendlichen Rechte und die unendlichen Pflichten des Individuums dürfen nicht
verschlungen werden von dem monströsen Ungeheuer des Staats, sondern grade
die Individualitäten müssen sich geltend machen, aber überall und als bewußte.
Sie sollen dies durch freie Association. Nicht der Staat soll reglementiren —
denn der Staat ist nnr das Gemeinsame aller Klassen, aller Interessen. In
der Befugniß des Staates liegt nur, die Differenzen der einzelnen Interessen
zu versöhnen, ihre relative Berechtigung zu prüfen und die freien Associationen
der einzelnen Interessen innerhalb der Grenzen ihrer Berechtigung zu stützen,
und zu fördern, wie er es z. B. jetzt thut mit der Kirche, mit dem Handel,
der Industrie und dergleichen. Garantie der Arbeit liegt deshalb nnr soweit im
Bereiche des Staates, als es seine Pflicht ist, Arbeitskräfte, welche überflüssig
sind und deshalb seiner Sicherheit gefährlich werden, abzuleiten und zu beschäfti¬
gen, durch öffentliche Arbeiten, dnrch Eolonisation in seinem Innern, so lange
sie möglich ist und endlich dnrch Auswanderung in die Fremde.

Zweitens hat diese Partei in Betreff ihrer Tendenz eine verständige Stellung
einzunehmen, in der Frage: ob Republik, ob coustitnti onelleMonar-chic?
Unserer Theorie nach wird eine wahrhafte vollkommne Demokratie endlich zur Re¬
publik führen. Aber diese Ueberzeugung wird uns nicht gegen die Mauer trei¬
ben. Wir haben die praktische Erfahrung, daß nicht die constitnirende Theorie,
die Staaten baut, den Absolutismus gestürzt, sondern allein die Thatsache, daß
das Volk es unter ihm nicht länger aushalten konnte. Ebenso kann der Consti-,
tutionalismus nicht durch die republikanischen Prinzipien gestürzt werden, sondern
durch die Erfahrung, daß er die Bedürfnisse des Volkes nicht wird erfüllen, die
versprochenen demokratischen Institutionen nicht wird bieten können.

Uns kommt es auf den demokratischen Inhalt des Staates, nicht auf seine
Form, an; gäbe sie uns ein coifftstutioneller Monarch , wir würden sie deshalb
nicht zurückweisen, weil sein Haupt „ein goldner Reif ziert, und nicht ein weißer
Filz bedeckt." Aber wir tonnen andrerseits auch nicht sagen, wie bisher unser
„demokratisch - constitutioneller Club" gethan: wir wollen demokratische Institutio¬
nen, aber im konstitutionellen Staate; denn wir wollen um die erstem, das zweite
nehmen wir mit, weil es nicht anders ist. Wer eine reiche Frau heirathen will


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/356>, abgerufen am 28.09.2024.