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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Wort! wer es wahr machte, würde die Welt beherrschen; wer es verspricht, der
beherrscht die Masse und jeden radikalen Club. Da galten auch bei uns keine
Gründe mehr, da half kein Berufen auf die Klugheit, keins auf die Ehrlichkeit,
es war kein Kampf mehr der Intelligenz gegen Intelligenz, die Masse, die eben
nur Masse ist, nur stimmen kann, zeigte, wie sie die Bildung beherrscht, anstatt
daß diese die Masse leiten soll. Die Menge der Arbeiter gab das Uebergewicht
für den Paragraphen, für eine demokratische Republik, die Garantie der Arbeit
und der Wohlfahrt.

Die überstimmte Minorität war damit nicht in einem bloße" Meinungsunter¬
schiede gegen die Majorität; es war geradezu eine "sub stanzte lie" Differenz
von größter Wichtigkeit. Deshalb muß die Minorität ausscheiden, und sie hat
es gethan. Der sechste Theil vou den 590 Mitgliedern ist ausgetreten. Dieser
gab Veranlassung zur Organisation einer neuen Fraction der demokratischen Partei
neben dieser alten. Mau ist im Begriff eine Bereinigung herbeizuführen zwischen
der ausgeschiedenen Minorität, dem demokratisch constitutionellen Club von 180
Mitgliedern und dem K5 Mann starken Verein der Volksfreunde. Diese neue
Fraction, wenngleich sie der demokratischen Partei angehört, befindet sich doch zu
dem bisherigen demokratischen Club in einem vollkommene" Gegensatze.

Der fehlerhafte Standpunkt der alte" demokratischen Partei, welche besonders
in jenem Frankfurter Congresse ihren Ausdruck fand, ist, daß man die politischen
Fragen rein prinzipiell erfaßt und sie zu erledigen glaubt, indem man die Theorie
ihrer Lösung, das letzte Ziel der Vollendung, unmittelbar als politisches Postulat
hinstellt. Folge davon ist, daß der Ungebildete, der keine Einsicht in das Ge-
triebe des Staatslebens hat, aus den augenblicklichen Bedürfnissen seiner Existenz
zu abstracten Theorien fortgerissen wird, die ihm deshalb die besten scheinen, weil
sie ihm das Beste versprechen und die er für leicht rcalisirbar hält, weil sie uicht
schwer zu fassen sind. Dieser Standpunkt, der die politischen Postulate ohne
Rücksicht auf ihre Verwirklichung unmittelbar hinstellt, ist der der reinen Nega¬
tion, der abstracten Kritik, des einseitigen Verstandes. So bei Lösung der so¬
cialen Fragen; Niemand weiß eine Antwort darauf zu geben; und wenn jene,
"vor keiner Consequenz zurückschreckenden" socialen Politiker durch die Erfindung
der social-demokratischen Republik das Problem gelöst zu haben glauben, so ist
doch diese Lösung wieder die absolute Negation alles Wirklichen und sie selbst kön¬
nen für die Verwirklichung ihres Ideals einzig und allein uegirend verfahren,
aufreizend und zerstörend. Und endlich das unbedingte Pochen ans die Republik,
was ist es anders als etwas rein Negatives? Was sagt Republik mehr als: kein
König! und anstatt zumeist und zunächst auf den positiven Inhalt der Demokratie,
auf demokratische Institutionen, Ausbildung demokratischer Charaktere und der de¬
mokratischen Cardinaltugenden hinzuarbeiten, statt dessen wissen diese "entschiede-


Wort! wer es wahr machte, würde die Welt beherrschen; wer es verspricht, der
beherrscht die Masse und jeden radikalen Club. Da galten auch bei uns keine
Gründe mehr, da half kein Berufen auf die Klugheit, keins auf die Ehrlichkeit,
es war kein Kampf mehr der Intelligenz gegen Intelligenz, die Masse, die eben
nur Masse ist, nur stimmen kann, zeigte, wie sie die Bildung beherrscht, anstatt
daß diese die Masse leiten soll. Die Menge der Arbeiter gab das Uebergewicht
für den Paragraphen, für eine demokratische Republik, die Garantie der Arbeit
und der Wohlfahrt.

Die überstimmte Minorität war damit nicht in einem bloße» Meinungsunter¬
schiede gegen die Majorität; es war geradezu eine „sub stanzte lie" Differenz
von größter Wichtigkeit. Deshalb muß die Minorität ausscheiden, und sie hat
es gethan. Der sechste Theil vou den 590 Mitgliedern ist ausgetreten. Dieser
gab Veranlassung zur Organisation einer neuen Fraction der demokratischen Partei
neben dieser alten. Mau ist im Begriff eine Bereinigung herbeizuführen zwischen
der ausgeschiedenen Minorität, dem demokratisch constitutionellen Club von 180
Mitgliedern und dem K5 Mann starken Verein der Volksfreunde. Diese neue
Fraction, wenngleich sie der demokratischen Partei angehört, befindet sich doch zu
dem bisherigen demokratischen Club in einem vollkommene» Gegensatze.

Der fehlerhafte Standpunkt der alte» demokratischen Partei, welche besonders
in jenem Frankfurter Congresse ihren Ausdruck fand, ist, daß man die politischen
Fragen rein prinzipiell erfaßt und sie zu erledigen glaubt, indem man die Theorie
ihrer Lösung, das letzte Ziel der Vollendung, unmittelbar als politisches Postulat
hinstellt. Folge davon ist, daß der Ungebildete, der keine Einsicht in das Ge-
triebe des Staatslebens hat, aus den augenblicklichen Bedürfnissen seiner Existenz
zu abstracten Theorien fortgerissen wird, die ihm deshalb die besten scheinen, weil
sie ihm das Beste versprechen und die er für leicht rcalisirbar hält, weil sie uicht
schwer zu fassen sind. Dieser Standpunkt, der die politischen Postulate ohne
Rücksicht auf ihre Verwirklichung unmittelbar hinstellt, ist der der reinen Nega¬
tion, der abstracten Kritik, des einseitigen Verstandes. So bei Lösung der so¬
cialen Fragen; Niemand weiß eine Antwort darauf zu geben; und wenn jene,
„vor keiner Consequenz zurückschreckenden" socialen Politiker durch die Erfindung
der social-demokratischen Republik das Problem gelöst zu haben glauben, so ist
doch diese Lösung wieder die absolute Negation alles Wirklichen und sie selbst kön¬
nen für die Verwirklichung ihres Ideals einzig und allein uegirend verfahren,
aufreizend und zerstörend. Und endlich das unbedingte Pochen ans die Republik,
was ist es anders als etwas rein Negatives? Was sagt Republik mehr als: kein
König! und anstatt zumeist und zunächst auf den positiven Inhalt der Demokratie,
auf demokratische Institutionen, Ausbildung demokratischer Charaktere und der de¬
mokratischen Cardinaltugenden hinzuarbeiten, statt dessen wissen diese „entschiede-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/354>, abgerufen am 29.06.2024.