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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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der Bevölkerung unmöglich. Es ist das kein Vorwurf, es ist ein Schicksal; an¬
dere Zeiten brauchen andere Leute.

Allmälig zwar schien unser Club klug zu werden. Jetzt bildete sich eine
Partei heraus , welche die oben gerügten Mängel fühlte und gegen ähnliche Mi߬
griffe Opposition machte. Es war besonders in der Slavenfrage und beim Pro¬
teste wegen der Unverantwvrtlichkeit des Reichsverwesers, wo sie zuerst stark her¬
vortrat und mit ihren Forderungen durchdrang.

Die Slavenfrage wurde angeregt durch den bekannten russischen Flücht¬
ling Bakunin. Unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Slavencvngreß, flüchtig
in Folge der czechischen Erhebung gegen die Deutschen, forderte er als Gast den
Club zu einer Adresse an die Slaven auf, um ihnen Anerkennung ihrer Freiheits¬
bestrebungen und ihrer Versuche, sich von Deutschland zu trennen, auszudrücken
und ihnen die Unterstützung der deutschen Demokratie zu versprechen. Mit lautem
Beifall wurde die Aufforderung zu der Adresse begrüßt. Nur eine Stimme, der
Candidat Fried manu, wagte Opposition gegen die Adresse zu bilden. Ber¬
thold An erd ach, der als Gast vom Club als "Demokrat" laut begrüßt war,
schloß sich ihm an. Indeß waren diese beiden Stimmen noch fast die einzigen.
Die Stellung, die diese Opposition zur Frage selbst einnahm, war die der prak-
tischen Besonnenheit, ob nicht eben ein solches Bündniß mit den Slaven der Idee
einer humanistischen Verbrüderung aller Demokraten schädlich sein könne. Denn
wer stehe uns dafür ein, daß die Slaven wirklich Humanisten und Demokraten
sind? Hatte der Aufstand in Posen, der durch die Pfaffen angezettelt wurde, hu-
manistische Tendenzen? war die czechische. Emeute. in Prag eine demokratische?
waren es demokratische Absichten, die den Slaveneongreß zusammenriefen, all dem
der deutsch-böhmische Adel der Reaction Theil nahm? Sehe man nicht vielmehr
aus allem öffentlichen Auftreten der Slaveupartei nur ein gewaltsam fvreirtes
Racenbewußtseiu hervorblicke", das die Demokratie nur für bornirte patriotische
Zwecke zu gebrauchen scheine und wenn diese nicht ausreicht, eben so gut dem rus¬
sischen Absolutismus sich in die Arme werfe? Das ungefähr waren die Motive
gegen die Adresse; mau beantragte, dieselbe zu vertagen, bis von Seiten der sla¬
vischen Partei Zeugnisse der demokratischen Tendenzen vorlagen und so eine neue
berechtigte Anregung zu derselben gegeben sei. Als in der folgenden Sitzung die
Debatte fortgesetzt wurde, fand sich unerwartet ein Bundesgenosse -- allerdings
wider Willen -- ein; ein slavischer Gelehrter trat als Gast auf und sprach über
den slavischen Patriotismus, welches Recht sie auf Böhmen hätten noch von diesem
und jenem Kaiser her, und wie. selbst der Boden, auf dem er stände -- unser
liebes deutsches Breslau -- von Rechtswegen den Polen gehöre u. f. w. Das
machte Eindruck und in der dritten Sitzung siel der Antrag auf die Adresse durch
mit einer bedeutenden Majorität. So hatte die Opposition es durchgesetzt, daß
die besonnene Praxis über den Enthusiasmus der Theorie den Sieg davontrug.


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der Bevölkerung unmöglich. Es ist das kein Vorwurf, es ist ein Schicksal; an¬
dere Zeiten brauchen andere Leute.

Allmälig zwar schien unser Club klug zu werden. Jetzt bildete sich eine
Partei heraus , welche die oben gerügten Mängel fühlte und gegen ähnliche Mi߬
griffe Opposition machte. Es war besonders in der Slavenfrage und beim Pro¬
teste wegen der Unverantwvrtlichkeit des Reichsverwesers, wo sie zuerst stark her¬
vortrat und mit ihren Forderungen durchdrang.

Die Slavenfrage wurde angeregt durch den bekannten russischen Flücht¬
ling Bakunin. Unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Slavencvngreß, flüchtig
in Folge der czechischen Erhebung gegen die Deutschen, forderte er als Gast den
Club zu einer Adresse an die Slaven auf, um ihnen Anerkennung ihrer Freiheits¬
bestrebungen und ihrer Versuche, sich von Deutschland zu trennen, auszudrücken
und ihnen die Unterstützung der deutschen Demokratie zu versprechen. Mit lautem
Beifall wurde die Aufforderung zu der Adresse begrüßt. Nur eine Stimme, der
Candidat Fried manu, wagte Opposition gegen die Adresse zu bilden. Ber¬
thold An erd ach, der als Gast vom Club als „Demokrat" laut begrüßt war,
schloß sich ihm an. Indeß waren diese beiden Stimmen noch fast die einzigen.
Die Stellung, die diese Opposition zur Frage selbst einnahm, war die der prak-
tischen Besonnenheit, ob nicht eben ein solches Bündniß mit den Slaven der Idee
einer humanistischen Verbrüderung aller Demokraten schädlich sein könne. Denn
wer stehe uns dafür ein, daß die Slaven wirklich Humanisten und Demokraten
sind? Hatte der Aufstand in Posen, der durch die Pfaffen angezettelt wurde, hu-
manistische Tendenzen? war die czechische. Emeute. in Prag eine demokratische?
waren es demokratische Absichten, die den Slaveneongreß zusammenriefen, all dem
der deutsch-böhmische Adel der Reaction Theil nahm? Sehe man nicht vielmehr
aus allem öffentlichen Auftreten der Slaveupartei nur ein gewaltsam fvreirtes
Racenbewußtseiu hervorblicke», das die Demokratie nur für bornirte patriotische
Zwecke zu gebrauchen scheine und wenn diese nicht ausreicht, eben so gut dem rus¬
sischen Absolutismus sich in die Arme werfe? Das ungefähr waren die Motive
gegen die Adresse; mau beantragte, dieselbe zu vertagen, bis von Seiten der sla¬
vischen Partei Zeugnisse der demokratischen Tendenzen vorlagen und so eine neue
berechtigte Anregung zu derselben gegeben sei. Als in der folgenden Sitzung die
Debatte fortgesetzt wurde, fand sich unerwartet ein Bundesgenosse — allerdings
wider Willen — ein; ein slavischer Gelehrter trat als Gast auf und sprach über
den slavischen Patriotismus, welches Recht sie auf Böhmen hätten noch von diesem
und jenem Kaiser her, und wie. selbst der Boden, auf dem er stände -- unser
liebes deutsches Breslau — von Rechtswegen den Polen gehöre u. f. w. Das
machte Eindruck und in der dritten Sitzung siel der Antrag auf die Adresse durch
mit einer bedeutenden Majorität. So hatte die Opposition es durchgesetzt, daß
die besonnene Praxis über den Enthusiasmus der Theorie den Sieg davontrug.


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[0351] der Bevölkerung unmöglich. Es ist das kein Vorwurf, es ist ein Schicksal; an¬ dere Zeiten brauchen andere Leute. Allmälig zwar schien unser Club klug zu werden. Jetzt bildete sich eine Partei heraus , welche die oben gerügten Mängel fühlte und gegen ähnliche Mi߬ griffe Opposition machte. Es war besonders in der Slavenfrage und beim Pro¬ teste wegen der Unverantwvrtlichkeit des Reichsverwesers, wo sie zuerst stark her¬ vortrat und mit ihren Forderungen durchdrang. Die Slavenfrage wurde angeregt durch den bekannten russischen Flücht¬ ling Bakunin. Unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Slavencvngreß, flüchtig in Folge der czechischen Erhebung gegen die Deutschen, forderte er als Gast den Club zu einer Adresse an die Slaven auf, um ihnen Anerkennung ihrer Freiheits¬ bestrebungen und ihrer Versuche, sich von Deutschland zu trennen, auszudrücken und ihnen die Unterstützung der deutschen Demokratie zu versprechen. Mit lautem Beifall wurde die Aufforderung zu der Adresse begrüßt. Nur eine Stimme, der Candidat Fried manu, wagte Opposition gegen die Adresse zu bilden. Ber¬ thold An erd ach, der als Gast vom Club als „Demokrat" laut begrüßt war, schloß sich ihm an. Indeß waren diese beiden Stimmen noch fast die einzigen. Die Stellung, die diese Opposition zur Frage selbst einnahm, war die der prak- tischen Besonnenheit, ob nicht eben ein solches Bündniß mit den Slaven der Idee einer humanistischen Verbrüderung aller Demokraten schädlich sein könne. Denn wer stehe uns dafür ein, daß die Slaven wirklich Humanisten und Demokraten sind? Hatte der Aufstand in Posen, der durch die Pfaffen angezettelt wurde, hu- manistische Tendenzen? war die czechische. Emeute. in Prag eine demokratische? waren es demokratische Absichten, die den Slaveneongreß zusammenriefen, all dem der deutsch-böhmische Adel der Reaction Theil nahm? Sehe man nicht vielmehr aus allem öffentlichen Auftreten der Slaveupartei nur ein gewaltsam fvreirtes Racenbewußtseiu hervorblicke», das die Demokratie nur für bornirte patriotische Zwecke zu gebrauchen scheine und wenn diese nicht ausreicht, eben so gut dem rus¬ sischen Absolutismus sich in die Arme werfe? Das ungefähr waren die Motive gegen die Adresse; mau beantragte, dieselbe zu vertagen, bis von Seiten der sla¬ vischen Partei Zeugnisse der demokratischen Tendenzen vorlagen und so eine neue berechtigte Anregung zu derselben gegeben sei. Als in der folgenden Sitzung die Debatte fortgesetzt wurde, fand sich unerwartet ein Bundesgenosse — allerdings wider Willen — ein; ein slavischer Gelehrter trat als Gast auf und sprach über den slavischen Patriotismus, welches Recht sie auf Böhmen hätten noch von diesem und jenem Kaiser her, und wie. selbst der Boden, auf dem er stände -- unser liebes deutsches Breslau — von Rechtswegen den Polen gehöre u. f. w. Das machte Eindruck und in der dritten Sitzung siel der Antrag auf die Adresse durch mit einer bedeutenden Majorität. So hatte die Opposition es durchgesetzt, daß die besonnene Praxis über den Enthusiasmus der Theorie den Sieg davontrug. 44*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/351>, abgerufen am 29.06.2024.