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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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stellen. Darunter verstehen wir keineswegs allgemeines Wahlrecht. Die Vertheidiger
desselben bedenken nicht, daß sie schon inconsequent sind, wenn sie das weibliche Geschlecht
ausschließen; sie bedenken nicht, daß allgemeines Wahlrecht eigentlich gar nirgends be¬
steht-- Wir begreisen nicht, wie man dem Staate zumuthen kann, von Leuten, de¬
nen er so wichtige Befugnisse anvertraut, auch nicht die geringsten Bürgschaften zu ver¬
langen."

Trotz seiner demokratischen Sympathien entscheidet sich der Verfasser nach ruhiger
Untersuchung für constitutionelles Königthum und zwei Kammern, dagegen sür Ausbil¬
dung eines freien Gemeindelebens und erklärt allmälige Aushebung der socialen Gebre¬
chen für die Hauptausgabe des neuen Staats. Die Grenzboten sind mit diesen An¬
sichten vollkommen einverstanden.

K) Poesie.

3) Aurora Königsmark und ihre Verwandten. Zeitbilder ans dem 17.
und 18. Jahrhundert von W. F. Palmblad. Aus dem Schwedischen. Ä. Bd.
Leipzig, Brockhaus.

Dem Inhalt nach ein sehr interessantes Buch. An die schöne Geliebte August des
Starken und ihre Familie knüpfen sich eine Reihe wunderbarer Abenteuer und Zustände,
die in dem geistlosen Leben jener Uebergangsperiode -- vom westphälischen Frieden bis
auf Friedrich den Großen -- die eigentliche Poesie ausmachten. Glücksritter von Ge¬
burt, Talente, Kunst und Geist zogen von einem Hof zum andern, und wie am grünen
Tisch wechselte die Chance von Liebe, Ruhm, Ehre und was sonst den Menschen be¬
seelt, so lange kein allgemeiner Gedanke auftaucht. ES war ein wilder, etwas wüster
Rausch, der aber in seiner Erscheinung nicht gemein genannt werden kann. Schon
mehrfach hat man diese Figuren zu romantischen Zwecken benutzt -- ich erinnere vor
Allem an Steffen'S "Familie Walsath und Leith." An Reichhaltigkeit wird das vor¬
liegende Gemälde nicht leicht übertroffen werden. Es bewegt sich an den Höhen von
Schweden, Dänemark, England, Frankreich, Spanien, den kleinen deutschen Höfen und
überall ist mit großer Sachkenntniß und lebendiger Anschaulichkeit das charakteristische Le¬
ben der Zeit gezeichnet. Nur die Form des sonst so vortrefflichen Buches ist nicht zu
billigen. Entweder müßte der historische Stoff nur frei benutzt und zu einem poetischen
Kunstwerk verwandt werden, oder die Darstellung müßte sich streng historisch halten;
das Einmischen romantischer Formen -- wenn auch die historische Treue nicht verletzt
wird -- schadet der künstlerischen Einheit, die bei einer historischen Schrift eben so
wesentlich ist als bei einer Novelle.

4) Eine Mutter vom Lande. Erzählung von Josef Rank. Leipzig.
Brockhaus.

Der Versasser hat das Berdienst, die Auerbach'schen Dorfgeschichten nach Oestreich
verpflanzt zu haben. Heuer ist ein schlechtes Jahr sür ein isolirtes Gemüth, um so
mehr, wenn es allzusehr Manier wird, sich in unausgesetzten Diminutiven und honig¬
süßer Sprache geltend macht. Blauer Himmel, grüne Bäume, brave Menschen, durch
einigen Schmerz gesalzen u. s. w. Man möchte sagen wie zur Köchin: Ein recht
hübsches Gericht, aber serviren Sie es nur nicht zu oft.


stellen. Darunter verstehen wir keineswegs allgemeines Wahlrecht. Die Vertheidiger
desselben bedenken nicht, daß sie schon inconsequent sind, wenn sie das weibliche Geschlecht
ausschließen; sie bedenken nicht, daß allgemeines Wahlrecht eigentlich gar nirgends be¬
steht— Wir begreisen nicht, wie man dem Staate zumuthen kann, von Leuten, de¬
nen er so wichtige Befugnisse anvertraut, auch nicht die geringsten Bürgschaften zu ver¬
langen."

Trotz seiner demokratischen Sympathien entscheidet sich der Verfasser nach ruhiger
Untersuchung für constitutionelles Königthum und zwei Kammern, dagegen sür Ausbil¬
dung eines freien Gemeindelebens und erklärt allmälige Aushebung der socialen Gebre¬
chen für die Hauptausgabe des neuen Staats. Die Grenzboten sind mit diesen An¬
sichten vollkommen einverstanden.

K) Poesie.

3) Aurora Königsmark und ihre Verwandten. Zeitbilder ans dem 17.
und 18. Jahrhundert von W. F. Palmblad. Aus dem Schwedischen. Ä. Bd.
Leipzig, Brockhaus.

Dem Inhalt nach ein sehr interessantes Buch. An die schöne Geliebte August des
Starken und ihre Familie knüpfen sich eine Reihe wunderbarer Abenteuer und Zustände,
die in dem geistlosen Leben jener Uebergangsperiode — vom westphälischen Frieden bis
auf Friedrich den Großen — die eigentliche Poesie ausmachten. Glücksritter von Ge¬
burt, Talente, Kunst und Geist zogen von einem Hof zum andern, und wie am grünen
Tisch wechselte die Chance von Liebe, Ruhm, Ehre und was sonst den Menschen be¬
seelt, so lange kein allgemeiner Gedanke auftaucht. ES war ein wilder, etwas wüster
Rausch, der aber in seiner Erscheinung nicht gemein genannt werden kann. Schon
mehrfach hat man diese Figuren zu romantischen Zwecken benutzt — ich erinnere vor
Allem an Steffen'S „Familie Walsath und Leith." An Reichhaltigkeit wird das vor¬
liegende Gemälde nicht leicht übertroffen werden. Es bewegt sich an den Höhen von
Schweden, Dänemark, England, Frankreich, Spanien, den kleinen deutschen Höfen und
überall ist mit großer Sachkenntniß und lebendiger Anschaulichkeit das charakteristische Le¬
ben der Zeit gezeichnet. Nur die Form des sonst so vortrefflichen Buches ist nicht zu
billigen. Entweder müßte der historische Stoff nur frei benutzt und zu einem poetischen
Kunstwerk verwandt werden, oder die Darstellung müßte sich streng historisch halten;
das Einmischen romantischer Formen — wenn auch die historische Treue nicht verletzt
wird — schadet der künstlerischen Einheit, die bei einer historischen Schrift eben so
wesentlich ist als bei einer Novelle.

4) Eine Mutter vom Lande. Erzählung von Josef Rank. Leipzig.
Brockhaus.

Der Versasser hat das Berdienst, die Auerbach'schen Dorfgeschichten nach Oestreich
verpflanzt zu haben. Heuer ist ein schlechtes Jahr sür ein isolirtes Gemüth, um so
mehr, wenn es allzusehr Manier wird, sich in unausgesetzten Diminutiven und honig¬
süßer Sprache geltend macht. Blauer Himmel, grüne Bäume, brave Menschen, durch
einigen Schmerz gesalzen u. s. w. Man möchte sagen wie zur Köchin: Ein recht
hübsches Gericht, aber serviren Sie es nur nicht zu oft.


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[0342] stellen. Darunter verstehen wir keineswegs allgemeines Wahlrecht. Die Vertheidiger desselben bedenken nicht, daß sie schon inconsequent sind, wenn sie das weibliche Geschlecht ausschließen; sie bedenken nicht, daß allgemeines Wahlrecht eigentlich gar nirgends be¬ steht— Wir begreisen nicht, wie man dem Staate zumuthen kann, von Leuten, de¬ nen er so wichtige Befugnisse anvertraut, auch nicht die geringsten Bürgschaften zu ver¬ langen." Trotz seiner demokratischen Sympathien entscheidet sich der Verfasser nach ruhiger Untersuchung für constitutionelles Königthum und zwei Kammern, dagegen sür Ausbil¬ dung eines freien Gemeindelebens und erklärt allmälige Aushebung der socialen Gebre¬ chen für die Hauptausgabe des neuen Staats. Die Grenzboten sind mit diesen An¬ sichten vollkommen einverstanden. K) Poesie. 3) Aurora Königsmark und ihre Verwandten. Zeitbilder ans dem 17. und 18. Jahrhundert von W. F. Palmblad. Aus dem Schwedischen. Ä. Bd. Leipzig, Brockhaus. Dem Inhalt nach ein sehr interessantes Buch. An die schöne Geliebte August des Starken und ihre Familie knüpfen sich eine Reihe wunderbarer Abenteuer und Zustände, die in dem geistlosen Leben jener Uebergangsperiode — vom westphälischen Frieden bis auf Friedrich den Großen — die eigentliche Poesie ausmachten. Glücksritter von Ge¬ burt, Talente, Kunst und Geist zogen von einem Hof zum andern, und wie am grünen Tisch wechselte die Chance von Liebe, Ruhm, Ehre und was sonst den Menschen be¬ seelt, so lange kein allgemeiner Gedanke auftaucht. ES war ein wilder, etwas wüster Rausch, der aber in seiner Erscheinung nicht gemein genannt werden kann. Schon mehrfach hat man diese Figuren zu romantischen Zwecken benutzt — ich erinnere vor Allem an Steffen'S „Familie Walsath und Leith." An Reichhaltigkeit wird das vor¬ liegende Gemälde nicht leicht übertroffen werden. Es bewegt sich an den Höhen von Schweden, Dänemark, England, Frankreich, Spanien, den kleinen deutschen Höfen und überall ist mit großer Sachkenntniß und lebendiger Anschaulichkeit das charakteristische Le¬ ben der Zeit gezeichnet. Nur die Form des sonst so vortrefflichen Buches ist nicht zu billigen. Entweder müßte der historische Stoff nur frei benutzt und zu einem poetischen Kunstwerk verwandt werden, oder die Darstellung müßte sich streng historisch halten; das Einmischen romantischer Formen — wenn auch die historische Treue nicht verletzt wird — schadet der künstlerischen Einheit, die bei einer historischen Schrift eben so wesentlich ist als bei einer Novelle. 4) Eine Mutter vom Lande. Erzählung von Josef Rank. Leipzig. Brockhaus. Der Versasser hat das Berdienst, die Auerbach'schen Dorfgeschichten nach Oestreich verpflanzt zu haben. Heuer ist ein schlechtes Jahr sür ein isolirtes Gemüth, um so mehr, wenn es allzusehr Manier wird, sich in unausgesetzten Diminutiven und honig¬ süßer Sprache geltend macht. Blauer Himmel, grüne Bäume, brave Menschen, durch einigen Schmerz gesalzen u. s. w. Man möchte sagen wie zur Köchin: Ein recht hübsches Gericht, aber serviren Sie es nur nicht zu oft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/342>, abgerufen am 26.06.2024.