Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den östreichischen Italienern, daß sie, namentlich auch in Betracht ihrer zum
Theil noch sehr niedrigen Culturstufen, von Oestreich getrennt nicht im Stande
sind, anarchischer Barbarei oder russisch-türkischer Despotie zur Beute zu werden.
Oberitalien dagegen findet ein neues Ganzes, dem es schon innerlich angehört,
oder wenigstens die Aussicht zur Bildung dieses Ganzen und wenn sogar die
oben ausgeführte Wahrscheinlichkeit eintreten sollte, wenn es den französischen
Einflüssen Unterthan würde, es würde bei dem Tausch der Herrschaft zweier civi-
lisirter und freier Staaten nicht wesentlich verlieren können.

Diese und ähnliche Gründe legen Oestreich, da es mit der Beherrschung
Oberitaliens die Verbitterung und Kränkung, ja den Haß vieler und nicht immer
der schlechtesten Männer auf sich laden und sich weniger Vortheile, als Last, Ge¬
fahr und Schaden bereiten würde, die Verpflichtung auf, so viel von Italien auf¬
zugeben, als die sonstige eigene Sicherheit und des Staates Gedeihen irgend ge¬
statten. Zu den dann abzutretenden Theilen gehört unzweifelhaft die Lombardei,
welche, -- man braucht nnr den letzten Feldzug sich zu vergegenwärtigen, -- so leicht
zu erobern und so schwer zu vertheidige" ist. Diese Provinz ist es zugleich, in der
die Unabhängigkeitsbestrebungeu ihren Hauptsitz haben und von jeher hatten, hier
war es, wo man die Oestreicher am heftigsten angriff, hier vertrieb man sie, als
der Aufstand sich erhob, hier machte sich der Aufstand von selbst, im Venetiani-
schen dagegen machte man ihn und das sehr künstlich, es war da nur ein Nach¬
folgen, selbst nicht ohne Zögern, nicht ohne Widerstreben von mancher Seite.
Schon die Schwierigkeiten der Beherrschung häufen sich demnach bei der Lom¬
bardei. Dazu kommt, daß Oestreich derselben nicht dringend bedarf, weder wegen
seiner Landgrenzen, noch wegen seiner Seemacht, noch auch um des Handels wil¬
len. Wohl aber bedarf es Venedigs. Ein feindliches oder ein abgetrenntes Ve¬
nedig wäre der Ruin für Trieft, der Untergang der östreichischen Marine, die den
Hafen, die Matrosen, die Küste Venedigs nicht entbehren kann, diese Küste, welche
in ihrer geringen Entfernung von Jstrien und Dalmatien nicht in fremden Hän¬
den sein darf. Des Venetianischen bedarf Oestreich, um seine dort viel offenere
Landgrenze zu decken. An der Etsch - und Mincivlinie liegen die Festungen, welche
die Vorhut der Alpen sind. So dringend daher politische, finanzielle und strate¬
gische Gründe die Freigebung der Lombardei, mit Ausnahme etwa der kleinen
Distrikte zwischen Etsch und Mincio mit Mantua, anrathen, so dringend rathen
dieselben Gründe, daS venetianische Gebiet nicht aufzugeben. Es ist dies eine
Lebensfrage für Oestreich, wie auch das Organ Lamartine's in seinen neuesten
Nummern darthut, und -- dürfen wir hinzusetzen -- zugleich eine Lebensfrage
für die deutsche Flotte, deren Macht gelähmt ist, wenn sie nur ans die nördlichen
Meere beschränkt wird. Was würde aber eine kleine Flotille im Hafen von Triest
oder Pola oder Fiume bedeuten, die dort in kürzester Frist von dem sie stets be-


den östreichischen Italienern, daß sie, namentlich auch in Betracht ihrer zum
Theil noch sehr niedrigen Culturstufen, von Oestreich getrennt nicht im Stande
sind, anarchischer Barbarei oder russisch-türkischer Despotie zur Beute zu werden.
Oberitalien dagegen findet ein neues Ganzes, dem es schon innerlich angehört,
oder wenigstens die Aussicht zur Bildung dieses Ganzen und wenn sogar die
oben ausgeführte Wahrscheinlichkeit eintreten sollte, wenn es den französischen
Einflüssen Unterthan würde, es würde bei dem Tausch der Herrschaft zweier civi-
lisirter und freier Staaten nicht wesentlich verlieren können.

Diese und ähnliche Gründe legen Oestreich, da es mit der Beherrschung
Oberitaliens die Verbitterung und Kränkung, ja den Haß vieler und nicht immer
der schlechtesten Männer auf sich laden und sich weniger Vortheile, als Last, Ge¬
fahr und Schaden bereiten würde, die Verpflichtung auf, so viel von Italien auf¬
zugeben, als die sonstige eigene Sicherheit und des Staates Gedeihen irgend ge¬
statten. Zu den dann abzutretenden Theilen gehört unzweifelhaft die Lombardei,
welche, — man braucht nnr den letzten Feldzug sich zu vergegenwärtigen, — so leicht
zu erobern und so schwer zu vertheidige» ist. Diese Provinz ist es zugleich, in der
die Unabhängigkeitsbestrebungeu ihren Hauptsitz haben und von jeher hatten, hier
war es, wo man die Oestreicher am heftigsten angriff, hier vertrieb man sie, als
der Aufstand sich erhob, hier machte sich der Aufstand von selbst, im Venetiani-
schen dagegen machte man ihn und das sehr künstlich, es war da nur ein Nach¬
folgen, selbst nicht ohne Zögern, nicht ohne Widerstreben von mancher Seite.
Schon die Schwierigkeiten der Beherrschung häufen sich demnach bei der Lom¬
bardei. Dazu kommt, daß Oestreich derselben nicht dringend bedarf, weder wegen
seiner Landgrenzen, noch wegen seiner Seemacht, noch auch um des Handels wil¬
len. Wohl aber bedarf es Venedigs. Ein feindliches oder ein abgetrenntes Ve¬
nedig wäre der Ruin für Trieft, der Untergang der östreichischen Marine, die den
Hafen, die Matrosen, die Küste Venedigs nicht entbehren kann, diese Küste, welche
in ihrer geringen Entfernung von Jstrien und Dalmatien nicht in fremden Hän¬
den sein darf. Des Venetianischen bedarf Oestreich, um seine dort viel offenere
Landgrenze zu decken. An der Etsch - und Mincivlinie liegen die Festungen, welche
die Vorhut der Alpen sind. So dringend daher politische, finanzielle und strate¬
gische Gründe die Freigebung der Lombardei, mit Ausnahme etwa der kleinen
Distrikte zwischen Etsch und Mincio mit Mantua, anrathen, so dringend rathen
dieselben Gründe, daS venetianische Gebiet nicht aufzugeben. Es ist dies eine
Lebensfrage für Oestreich, wie auch das Organ Lamartine's in seinen neuesten
Nummern darthut, und — dürfen wir hinzusetzen — zugleich eine Lebensfrage
für die deutsche Flotte, deren Macht gelähmt ist, wenn sie nur ans die nördlichen
Meere beschränkt wird. Was würde aber eine kleine Flotille im Hafen von Triest
oder Pola oder Fiume bedeuten, die dort in kürzester Frist von dem sie stets be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277759"/>
          <p xml:id="ID_1070" prev="#ID_1069"> den östreichischen Italienern, daß sie, namentlich auch in Betracht ihrer zum<lb/>
Theil noch sehr niedrigen Culturstufen, von Oestreich getrennt nicht im Stande<lb/>
sind, anarchischer Barbarei oder russisch-türkischer Despotie zur Beute zu werden.<lb/>
Oberitalien dagegen findet ein neues Ganzes, dem es schon innerlich angehört,<lb/>
oder wenigstens die Aussicht zur Bildung dieses Ganzen und wenn sogar die<lb/>
oben ausgeführte Wahrscheinlichkeit eintreten sollte, wenn es den französischen<lb/>
Einflüssen Unterthan würde, es würde bei dem Tausch der Herrschaft zweier civi-<lb/>
lisirter und freier Staaten nicht wesentlich verlieren können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1071" next="#ID_1072"> Diese und ähnliche Gründe legen Oestreich, da es mit der Beherrschung<lb/>
Oberitaliens die Verbitterung und Kränkung, ja den Haß vieler und nicht immer<lb/>
der schlechtesten Männer auf sich laden und sich weniger Vortheile, als Last, Ge¬<lb/>
fahr und Schaden bereiten würde, die Verpflichtung auf, so viel von Italien auf¬<lb/>
zugeben, als die sonstige eigene Sicherheit und des Staates Gedeihen irgend ge¬<lb/>
statten. Zu den dann abzutretenden Theilen gehört unzweifelhaft die Lombardei,<lb/>
welche, &#x2014; man braucht nnr den letzten Feldzug sich zu vergegenwärtigen, &#x2014; so leicht<lb/>
zu erobern und so schwer zu vertheidige» ist. Diese Provinz ist es zugleich, in der<lb/>
die Unabhängigkeitsbestrebungeu ihren Hauptsitz haben und von jeher hatten, hier<lb/>
war es, wo man die Oestreicher am heftigsten angriff, hier vertrieb man sie, als<lb/>
der Aufstand sich erhob, hier machte sich der Aufstand von selbst, im Venetiani-<lb/>
schen dagegen machte man ihn und das sehr künstlich, es war da nur ein Nach¬<lb/>
folgen, selbst nicht ohne Zögern, nicht ohne Widerstreben von mancher Seite.<lb/>
Schon die Schwierigkeiten der Beherrschung häufen sich demnach bei der Lom¬<lb/>
bardei. Dazu kommt, daß Oestreich derselben nicht dringend bedarf, weder wegen<lb/>
seiner Landgrenzen, noch wegen seiner Seemacht, noch auch um des Handels wil¬<lb/>
len. Wohl aber bedarf es Venedigs. Ein feindliches oder ein abgetrenntes Ve¬<lb/>
nedig wäre der Ruin für Trieft, der Untergang der östreichischen Marine, die den<lb/>
Hafen, die Matrosen, die Küste Venedigs nicht entbehren kann, diese Küste, welche<lb/>
in ihrer geringen Entfernung von Jstrien und Dalmatien nicht in fremden Hän¬<lb/>
den sein darf. Des Venetianischen bedarf Oestreich, um seine dort viel offenere<lb/>
Landgrenze zu decken. An der Etsch - und Mincivlinie liegen die Festungen, welche<lb/>
die Vorhut der Alpen sind. So dringend daher politische, finanzielle und strate¬<lb/>
gische Gründe die Freigebung der Lombardei, mit Ausnahme etwa der kleinen<lb/>
Distrikte zwischen Etsch und Mincio mit Mantua, anrathen, so dringend rathen<lb/>
dieselben Gründe, daS venetianische Gebiet nicht aufzugeben. Es ist dies eine<lb/>
Lebensfrage für Oestreich, wie auch das Organ Lamartine's in seinen neuesten<lb/>
Nummern darthut, und &#x2014; dürfen wir hinzusetzen &#x2014; zugleich eine Lebensfrage<lb/>
für die deutsche Flotte, deren Macht gelähmt ist, wenn sie nur ans die nördlichen<lb/>
Meere beschränkt wird. Was würde aber eine kleine Flotille im Hafen von Triest<lb/>
oder Pola oder Fiume bedeuten, die dort in kürzester Frist von dem sie stets be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] den östreichischen Italienern, daß sie, namentlich auch in Betracht ihrer zum Theil noch sehr niedrigen Culturstufen, von Oestreich getrennt nicht im Stande sind, anarchischer Barbarei oder russisch-türkischer Despotie zur Beute zu werden. Oberitalien dagegen findet ein neues Ganzes, dem es schon innerlich angehört, oder wenigstens die Aussicht zur Bildung dieses Ganzen und wenn sogar die oben ausgeführte Wahrscheinlichkeit eintreten sollte, wenn es den französischen Einflüssen Unterthan würde, es würde bei dem Tausch der Herrschaft zweier civi- lisirter und freier Staaten nicht wesentlich verlieren können. Diese und ähnliche Gründe legen Oestreich, da es mit der Beherrschung Oberitaliens die Verbitterung und Kränkung, ja den Haß vieler und nicht immer der schlechtesten Männer auf sich laden und sich weniger Vortheile, als Last, Ge¬ fahr und Schaden bereiten würde, die Verpflichtung auf, so viel von Italien auf¬ zugeben, als die sonstige eigene Sicherheit und des Staates Gedeihen irgend ge¬ statten. Zu den dann abzutretenden Theilen gehört unzweifelhaft die Lombardei, welche, — man braucht nnr den letzten Feldzug sich zu vergegenwärtigen, — so leicht zu erobern und so schwer zu vertheidige» ist. Diese Provinz ist es zugleich, in der die Unabhängigkeitsbestrebungeu ihren Hauptsitz haben und von jeher hatten, hier war es, wo man die Oestreicher am heftigsten angriff, hier vertrieb man sie, als der Aufstand sich erhob, hier machte sich der Aufstand von selbst, im Venetiani- schen dagegen machte man ihn und das sehr künstlich, es war da nur ein Nach¬ folgen, selbst nicht ohne Zögern, nicht ohne Widerstreben von mancher Seite. Schon die Schwierigkeiten der Beherrschung häufen sich demnach bei der Lom¬ bardei. Dazu kommt, daß Oestreich derselben nicht dringend bedarf, weder wegen seiner Landgrenzen, noch wegen seiner Seemacht, noch auch um des Handels wil¬ len. Wohl aber bedarf es Venedigs. Ein feindliches oder ein abgetrenntes Ve¬ nedig wäre der Ruin für Trieft, der Untergang der östreichischen Marine, die den Hafen, die Matrosen, die Küste Venedigs nicht entbehren kann, diese Küste, welche in ihrer geringen Entfernung von Jstrien und Dalmatien nicht in fremden Hän¬ den sein darf. Des Venetianischen bedarf Oestreich, um seine dort viel offenere Landgrenze zu decken. An der Etsch - und Mincivlinie liegen die Festungen, welche die Vorhut der Alpen sind. So dringend daher politische, finanzielle und strate¬ gische Gründe die Freigebung der Lombardei, mit Ausnahme etwa der kleinen Distrikte zwischen Etsch und Mincio mit Mantua, anrathen, so dringend rathen dieselben Gründe, daS venetianische Gebiet nicht aufzugeben. Es ist dies eine Lebensfrage für Oestreich, wie auch das Organ Lamartine's in seinen neuesten Nummern darthut, und — dürfen wir hinzusetzen — zugleich eine Lebensfrage für die deutsche Flotte, deren Macht gelähmt ist, wenn sie nur ans die nördlichen Meere beschränkt wird. Was würde aber eine kleine Flotille im Hafen von Triest oder Pola oder Fiume bedeuten, die dort in kürzester Frist von dem sie stets be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/329>, abgerufen am 26.06.2024.