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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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wachenden Venedig überrascht und außer Activität gesetzt werden könnte? Daß
Oestreich, daß Deutschland diese Rücksichten nicht aus dem Auge lassen kann, liegt
auf der Hand und Lord Palmerstons Erklärungen lassen erwarten, daß England
von Oestreich nicht das Unmögliche verlangen wird. England kann es auch nicht
ganz vergessen, daß Oestreich sein alter Bundesgenosse ist und daß der erreichbare
Einfluß in Süditalien den vielleicht größeren Einfluß Frankreichs, seines alten
Nebenbuhlers, nicht aufwiegen dürfte. Auch möchte es fraglich sein, welche Ein¬
wirkung auf die Niederlassungen in Korfu und Malta eine radikale Umgestaltung
Italiens üben könnte. Bedenken in dieser Beziehung, die obigen Rücksichten und
der Wunsch, Deutschland lieber in Schleswig als in Oberitalien, das England
ferner liegt und unwichtiger ist, zu beschränken, werden ohne Zweifel für die Po¬
litik des seeherrschenden JnselreicheS maßgebend sein. Möglich, daß wir mit die¬
ser Auffassung, die einen bösen Verdacht einschließt, England Unrecht thun, ver¬
zeihlich aber und naheliegend ist sie unbedingt; denn berechnenderer, handelsmänni¬
scherer Egoismus, als die englische Politik uns ausweist, ist wohl seit Roms und
Karthagos Blüthezeiten nicht dagewesen. Schon der Name Italien erinnert an
die Sicilianische Schwefelfrage, von der Neapel und das zuschauende Europa
zu erzählen weiß. Schließlich kann England bei seinen jetzigen Handelsconjunc-
turen und mit dem, wie die Times sich treffend ausdrückt, "verstümmelten," nicht
getödteten irischen Aufstand im Rücken, sich wegen Oberitalien einem Kriege nicht
aussetzen. Voraussichtlich wäre sonach von dieser Seite kein nachhaltiger Wider¬
stand zu fürchten, selbst wenn Oestreich die ganzen Provinzen behalten wollte.
England würde, mit Rückgedanken an Schleswig, es vielleicht gar nicht ungern
sehen, daß das reine Recht der Verträge von Oestreich angerufen würde. Wenn
aber Oestreich, wie zu hoffen, nur die Minciolinie verlangt, Kriegsentschädigungen
und Schuldenübernahme zur Bedingung der Freiheit der Lombardei macht, so
wird es hiergegen gar nichts einzuwenden haben, wenn gleich es wahrscheinlich
ist, daß eS anfänglich die Etschlinie vorschlägt. Es bliebe also nur noch Frank¬
reich. Dieses hätte Oestreich zu fürchten, wenn die rothe Republik nicht darauf
lauerte, die dreifarbige zu verschlingen und Geld in den Kassen lagerte oder Eng"
land geneigt wäre, den Säckelmeister zu machen. Dann würden ohne Zweifel die
Ebenen der Lombardei sehr bald von französischen Heeren überströmt sein. Wie
die Dinge aber liegen, ist auch Frankreich nicht zu fürchten. Es kann nicht, wenn
es auch wollte. Ein Lyoner Blatt gesteht dies offen zu und räth Karl Albert,
die als Kriegsentschädigung geforderten Millionen ohne Widerstreben zu bezahlen.
Von Rußland ist hierbei, was auffallen könnte, gar nicht die Rede gewesen. Nu߬
land ist in den Donauländern, in Schleswig, an der polnischen Grenze zu fürch¬
ten, aber es kann nicht überall sein und es ist zu klug jetzt, wo in Osten noch
nicht Alles vorbereitet ist, auch nur durch Aufreizung Anderer in Italien seine
Karten aufzudecken.


wachenden Venedig überrascht und außer Activität gesetzt werden könnte? Daß
Oestreich, daß Deutschland diese Rücksichten nicht aus dem Auge lassen kann, liegt
auf der Hand und Lord Palmerstons Erklärungen lassen erwarten, daß England
von Oestreich nicht das Unmögliche verlangen wird. England kann es auch nicht
ganz vergessen, daß Oestreich sein alter Bundesgenosse ist und daß der erreichbare
Einfluß in Süditalien den vielleicht größeren Einfluß Frankreichs, seines alten
Nebenbuhlers, nicht aufwiegen dürfte. Auch möchte es fraglich sein, welche Ein¬
wirkung auf die Niederlassungen in Korfu und Malta eine radikale Umgestaltung
Italiens üben könnte. Bedenken in dieser Beziehung, die obigen Rücksichten und
der Wunsch, Deutschland lieber in Schleswig als in Oberitalien, das England
ferner liegt und unwichtiger ist, zu beschränken, werden ohne Zweifel für die Po¬
litik des seeherrschenden JnselreicheS maßgebend sein. Möglich, daß wir mit die¬
ser Auffassung, die einen bösen Verdacht einschließt, England Unrecht thun, ver¬
zeihlich aber und naheliegend ist sie unbedingt; denn berechnenderer, handelsmänni¬
scherer Egoismus, als die englische Politik uns ausweist, ist wohl seit Roms und
Karthagos Blüthezeiten nicht dagewesen. Schon der Name Italien erinnert an
die Sicilianische Schwefelfrage, von der Neapel und das zuschauende Europa
zu erzählen weiß. Schließlich kann England bei seinen jetzigen Handelsconjunc-
turen und mit dem, wie die Times sich treffend ausdrückt, „verstümmelten," nicht
getödteten irischen Aufstand im Rücken, sich wegen Oberitalien einem Kriege nicht
aussetzen. Voraussichtlich wäre sonach von dieser Seite kein nachhaltiger Wider¬
stand zu fürchten, selbst wenn Oestreich die ganzen Provinzen behalten wollte.
England würde, mit Rückgedanken an Schleswig, es vielleicht gar nicht ungern
sehen, daß das reine Recht der Verträge von Oestreich angerufen würde. Wenn
aber Oestreich, wie zu hoffen, nur die Minciolinie verlangt, Kriegsentschädigungen
und Schuldenübernahme zur Bedingung der Freiheit der Lombardei macht, so
wird es hiergegen gar nichts einzuwenden haben, wenn gleich es wahrscheinlich
ist, daß eS anfänglich die Etschlinie vorschlägt. Es bliebe also nur noch Frank¬
reich. Dieses hätte Oestreich zu fürchten, wenn die rothe Republik nicht darauf
lauerte, die dreifarbige zu verschlingen und Geld in den Kassen lagerte oder Eng»
land geneigt wäre, den Säckelmeister zu machen. Dann würden ohne Zweifel die
Ebenen der Lombardei sehr bald von französischen Heeren überströmt sein. Wie
die Dinge aber liegen, ist auch Frankreich nicht zu fürchten. Es kann nicht, wenn
es auch wollte. Ein Lyoner Blatt gesteht dies offen zu und räth Karl Albert,
die als Kriegsentschädigung geforderten Millionen ohne Widerstreben zu bezahlen.
Von Rußland ist hierbei, was auffallen könnte, gar nicht die Rede gewesen. Nu߬
land ist in den Donauländern, in Schleswig, an der polnischen Grenze zu fürch¬
ten, aber es kann nicht überall sein und es ist zu klug jetzt, wo in Osten noch
nicht Alles vorbereitet ist, auch nur durch Aufreizung Anderer in Italien seine
Karten aufzudecken.


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[0330] wachenden Venedig überrascht und außer Activität gesetzt werden könnte? Daß Oestreich, daß Deutschland diese Rücksichten nicht aus dem Auge lassen kann, liegt auf der Hand und Lord Palmerstons Erklärungen lassen erwarten, daß England von Oestreich nicht das Unmögliche verlangen wird. England kann es auch nicht ganz vergessen, daß Oestreich sein alter Bundesgenosse ist und daß der erreichbare Einfluß in Süditalien den vielleicht größeren Einfluß Frankreichs, seines alten Nebenbuhlers, nicht aufwiegen dürfte. Auch möchte es fraglich sein, welche Ein¬ wirkung auf die Niederlassungen in Korfu und Malta eine radikale Umgestaltung Italiens üben könnte. Bedenken in dieser Beziehung, die obigen Rücksichten und der Wunsch, Deutschland lieber in Schleswig als in Oberitalien, das England ferner liegt und unwichtiger ist, zu beschränken, werden ohne Zweifel für die Po¬ litik des seeherrschenden JnselreicheS maßgebend sein. Möglich, daß wir mit die¬ ser Auffassung, die einen bösen Verdacht einschließt, England Unrecht thun, ver¬ zeihlich aber und naheliegend ist sie unbedingt; denn berechnenderer, handelsmänni¬ scherer Egoismus, als die englische Politik uns ausweist, ist wohl seit Roms und Karthagos Blüthezeiten nicht dagewesen. Schon der Name Italien erinnert an die Sicilianische Schwefelfrage, von der Neapel und das zuschauende Europa zu erzählen weiß. Schließlich kann England bei seinen jetzigen Handelsconjunc- turen und mit dem, wie die Times sich treffend ausdrückt, „verstümmelten," nicht getödteten irischen Aufstand im Rücken, sich wegen Oberitalien einem Kriege nicht aussetzen. Voraussichtlich wäre sonach von dieser Seite kein nachhaltiger Wider¬ stand zu fürchten, selbst wenn Oestreich die ganzen Provinzen behalten wollte. England würde, mit Rückgedanken an Schleswig, es vielleicht gar nicht ungern sehen, daß das reine Recht der Verträge von Oestreich angerufen würde. Wenn aber Oestreich, wie zu hoffen, nur die Minciolinie verlangt, Kriegsentschädigungen und Schuldenübernahme zur Bedingung der Freiheit der Lombardei macht, so wird es hiergegen gar nichts einzuwenden haben, wenn gleich es wahrscheinlich ist, daß eS anfänglich die Etschlinie vorschlägt. Es bliebe also nur noch Frank¬ reich. Dieses hätte Oestreich zu fürchten, wenn die rothe Republik nicht darauf lauerte, die dreifarbige zu verschlingen und Geld in den Kassen lagerte oder Eng» land geneigt wäre, den Säckelmeister zu machen. Dann würden ohne Zweifel die Ebenen der Lombardei sehr bald von französischen Heeren überströmt sein. Wie die Dinge aber liegen, ist auch Frankreich nicht zu fürchten. Es kann nicht, wenn es auch wollte. Ein Lyoner Blatt gesteht dies offen zu und räth Karl Albert, die als Kriegsentschädigung geforderten Millionen ohne Widerstreben zu bezahlen. Von Rußland ist hierbei, was auffallen könnte, gar nicht die Rede gewesen. Nu߬ land ist in den Donauländern, in Schleswig, an der polnischen Grenze zu fürch¬ ten, aber es kann nicht überall sein und es ist zu klug jetzt, wo in Osten noch nicht Alles vorbereitet ist, auch nur durch Aufreizung Anderer in Italien seine Karten aufzudecken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/330>, abgerufen am 26.06.2024.