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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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eine beleidigende nennen -- sich Bedingungen und Vorschriften von Staaten
machen lassen, welche selbst weit entfernt find, ihren Vorschriften und Stichworten
nachzuleben.

' Deutschland sei gerecht, aber nicht um dem Auslande zu gefallen und nicht
in einer andern Weise, als daß es vor den künftigen Geschlechtern sich rechtferti¬
gen kann und sich nicht die preisgegebene Sicherheit seiner Grenzen vorzuwer-
fen hat.

Wenn hiernach Oberitalien ganz aufgegeben werden muß, so werde es auf"
gegeben; wenn nicht, so werde es behauptet ohne Rücksicht auf Geschrei oder
Waffendrohung von außen.

Testreich hätte seinen Fuß aus Italien gänzlich zurückzuziehen, wenn es
begründet wäre, daß ohnedem eine unwürdige Unterdrückung auf den lombardisch-
venetianischen Provinzen lasten würde und wenn bei seinem Zurückweichen Italien
frei wäre. Es ist aber weder das Eine noch das Andere der Fall. Bevor
Oestreich gegen Karl Albert zur Schlacht rückte, um mit Waffengewalt das
durch Waffengewalt Entrissene wieder zu erobern, bot es die Hand zu einem an¬
nehmbaren Frieden. Die Etsch oder die Provinzenscheide sollte die Grenze, die
Lombardei frei sein, das Venetianische zwar Oestreich verbleiben, aber mit freier
Verfassung, geachteter Nationalität und innerer Selbstständigkeit. Und noch früher,
ehe der Aufruhr ausbrach oder während seines Ausbruches, bot Oestreich, frei¬
lich "zu spät," da Alles zum Schlagen vorbereitet war und sanguinische Hoffnung
im Bunde mit Selbsttäuschung zum Aeußersten reizte, beiden Provinzen das
Gleiche, nämlich: Personalunion, Konstitution, innerhalb derselben nationale Frei¬
heit und Selbstständigkeit. Klingt das wie Unterdrückung und Tyrannei? Und
nun auf der anderen Seite; die Lombardei und Venedig wollen wir annehmen,
wären frei, das heißt, nach der erfolgten Abstimmung zu schließen, Provinzen von
Sardinien, was dann? Der König von Sardinien, auch Herr in Parma und
Modena, und sein Sohn, in diesem Falle nicht nur erwählter, sondern auch wirk¬
licher König von Sicilien, würden über eine Armee von beinahe 200,000 Mann
zu gebieten haben, eine Macht- und Territorialvergrößerung, welche Frankreich,
wie es schon zu verstehen gegeben, ohne eigene Entschädigung nicht dulden könnte.
Die angemessene Ausgleichung aber würde Savoyen und Umgegend bilden.
Demnach dürste nichts weiter erreicht werden, als daß ein Stück von Italien,
welches östreichisch war, frei würde, damit ein anderes Stück von Italien, wel¬
ches frei war, französisch würde und ein oberitalisch-sardinisches Reich sich ent¬
wickelte, welches faktisch unter französisches Protektorat zu stehen käme. In dem¬
selben Augenblicke würde dann zugleich England seine weit ausgelegten Netze über
den italienischen Süden zusammenziehen und sicher sein, von Frankreich keine
Einsprache zu erleiden, weil es ja diesem selbst wieder Obsritalien überließe.


eine beleidigende nennen — sich Bedingungen und Vorschriften von Staaten
machen lassen, welche selbst weit entfernt find, ihren Vorschriften und Stichworten
nachzuleben.

' Deutschland sei gerecht, aber nicht um dem Auslande zu gefallen und nicht
in einer andern Weise, als daß es vor den künftigen Geschlechtern sich rechtferti¬
gen kann und sich nicht die preisgegebene Sicherheit seiner Grenzen vorzuwer-
fen hat.

Wenn hiernach Oberitalien ganz aufgegeben werden muß, so werde es auf»
gegeben; wenn nicht, so werde es behauptet ohne Rücksicht auf Geschrei oder
Waffendrohung von außen.

Testreich hätte seinen Fuß aus Italien gänzlich zurückzuziehen, wenn es
begründet wäre, daß ohnedem eine unwürdige Unterdrückung auf den lombardisch-
venetianischen Provinzen lasten würde und wenn bei seinem Zurückweichen Italien
frei wäre. Es ist aber weder das Eine noch das Andere der Fall. Bevor
Oestreich gegen Karl Albert zur Schlacht rückte, um mit Waffengewalt das
durch Waffengewalt Entrissene wieder zu erobern, bot es die Hand zu einem an¬
nehmbaren Frieden. Die Etsch oder die Provinzenscheide sollte die Grenze, die
Lombardei frei sein, das Venetianische zwar Oestreich verbleiben, aber mit freier
Verfassung, geachteter Nationalität und innerer Selbstständigkeit. Und noch früher,
ehe der Aufruhr ausbrach oder während seines Ausbruches, bot Oestreich, frei¬
lich „zu spät," da Alles zum Schlagen vorbereitet war und sanguinische Hoffnung
im Bunde mit Selbsttäuschung zum Aeußersten reizte, beiden Provinzen das
Gleiche, nämlich: Personalunion, Konstitution, innerhalb derselben nationale Frei¬
heit und Selbstständigkeit. Klingt das wie Unterdrückung und Tyrannei? Und
nun auf der anderen Seite; die Lombardei und Venedig wollen wir annehmen,
wären frei, das heißt, nach der erfolgten Abstimmung zu schließen, Provinzen von
Sardinien, was dann? Der König von Sardinien, auch Herr in Parma und
Modena, und sein Sohn, in diesem Falle nicht nur erwählter, sondern auch wirk¬
licher König von Sicilien, würden über eine Armee von beinahe 200,000 Mann
zu gebieten haben, eine Macht- und Territorialvergrößerung, welche Frankreich,
wie es schon zu verstehen gegeben, ohne eigene Entschädigung nicht dulden könnte.
Die angemessene Ausgleichung aber würde Savoyen und Umgegend bilden.
Demnach dürste nichts weiter erreicht werden, als daß ein Stück von Italien,
welches östreichisch war, frei würde, damit ein anderes Stück von Italien, wel¬
ches frei war, französisch würde und ein oberitalisch-sardinisches Reich sich ent¬
wickelte, welches faktisch unter französisches Protektorat zu stehen käme. In dem¬
selben Augenblicke würde dann zugleich England seine weit ausgelegten Netze über
den italienischen Süden zusammenziehen und sicher sein, von Frankreich keine
Einsprache zu erleiden, weil es ja diesem selbst wieder Obsritalien überließe.


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[0326] eine beleidigende nennen — sich Bedingungen und Vorschriften von Staaten machen lassen, welche selbst weit entfernt find, ihren Vorschriften und Stichworten nachzuleben. ' Deutschland sei gerecht, aber nicht um dem Auslande zu gefallen und nicht in einer andern Weise, als daß es vor den künftigen Geschlechtern sich rechtferti¬ gen kann und sich nicht die preisgegebene Sicherheit seiner Grenzen vorzuwer- fen hat. Wenn hiernach Oberitalien ganz aufgegeben werden muß, so werde es auf» gegeben; wenn nicht, so werde es behauptet ohne Rücksicht auf Geschrei oder Waffendrohung von außen. Testreich hätte seinen Fuß aus Italien gänzlich zurückzuziehen, wenn es begründet wäre, daß ohnedem eine unwürdige Unterdrückung auf den lombardisch- venetianischen Provinzen lasten würde und wenn bei seinem Zurückweichen Italien frei wäre. Es ist aber weder das Eine noch das Andere der Fall. Bevor Oestreich gegen Karl Albert zur Schlacht rückte, um mit Waffengewalt das durch Waffengewalt Entrissene wieder zu erobern, bot es die Hand zu einem an¬ nehmbaren Frieden. Die Etsch oder die Provinzenscheide sollte die Grenze, die Lombardei frei sein, das Venetianische zwar Oestreich verbleiben, aber mit freier Verfassung, geachteter Nationalität und innerer Selbstständigkeit. Und noch früher, ehe der Aufruhr ausbrach oder während seines Ausbruches, bot Oestreich, frei¬ lich „zu spät," da Alles zum Schlagen vorbereitet war und sanguinische Hoffnung im Bunde mit Selbsttäuschung zum Aeußersten reizte, beiden Provinzen das Gleiche, nämlich: Personalunion, Konstitution, innerhalb derselben nationale Frei¬ heit und Selbstständigkeit. Klingt das wie Unterdrückung und Tyrannei? Und nun auf der anderen Seite; die Lombardei und Venedig wollen wir annehmen, wären frei, das heißt, nach der erfolgten Abstimmung zu schließen, Provinzen von Sardinien, was dann? Der König von Sardinien, auch Herr in Parma und Modena, und sein Sohn, in diesem Falle nicht nur erwählter, sondern auch wirk¬ licher König von Sicilien, würden über eine Armee von beinahe 200,000 Mann zu gebieten haben, eine Macht- und Territorialvergrößerung, welche Frankreich, wie es schon zu verstehen gegeben, ohne eigene Entschädigung nicht dulden könnte. Die angemessene Ausgleichung aber würde Savoyen und Umgegend bilden. Demnach dürste nichts weiter erreicht werden, als daß ein Stück von Italien, welches östreichisch war, frei würde, damit ein anderes Stück von Italien, wel¬ ches frei war, französisch würde und ein oberitalisch-sardinisches Reich sich ent¬ wickelte, welches faktisch unter französisches Protektorat zu stehen käme. In dem¬ selben Augenblicke würde dann zugleich England seine weit ausgelegten Netze über den italienischen Süden zusammenziehen und sicher sein, von Frankreich keine Einsprache zu erleiden, weil es ja diesem selbst wieder Obsritalien überließe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/326>, abgerufen am 26.06.2024.