Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Italiens und anderer Nachbarstaaten, welche mit schlecht verhehltem Verdruß der
Kraftentwickelung Deutschlands zuschauen.

Wären wir nicht halbe Kinder in der Politik, von edlen Instincten allzuleicht
hingerissene Theoretiker, für staatsmännische Praxis noch viel zu wenig ins große
Leben eingeführt, in den Mysterien des hinter schönen Wortmäntelchen sich
versteckenden Völkerehrgeizes arge Neulinge, so würden wir, weniger abhängig
von den Einflüssen der Meinung des Auslandes, mit den eigenen Augen die
Dinge betrachten Und das nach dem Maßstabe des eigenen Urtheils als gerecht
und nützlich Erfundene ohne Bedenken und Schwanken ausführen. Dazu ist aber
leider noch wenig Hoffnung.

Schon von vornherein dürfte es auffallen, daß keinem von allen Völkern,
als nur eben dem deutscheu zugemuthet wird, rechts und links und in allen vier
Himmelsgegenden herauszugeben, frei zu macheu, Glieder von sich
loszuschneiden? Ist denn dieses Deutschland ein so erschrecklich großer Räuber
und Eroberer gewesen? Oder sind etwa Frankreich und England, die großen
weniger Apostel als Advokaten der Humanität und Nationalunabhängigkeit, nicht
in ganz gleicher Lage mit Deutschland? Gibt es kein Irland und Indien, kein
Gibraltar und Malta, gibt es nicht vor der deutschen Elbmündung ein Fels- und
Jnselstückchen Helgoland? Gibt es kein Elsaß, Lothringen, Korsika, Algier? Wie
würde man französischer und englischer Seits eS aufnehmen, wenn wir das un¬
verbrüchliche Recht dieser Länder und Ländchen auf politische Unabhängigkeit pro-
klamirten? würde man uns nicht verlachen und sehr ernst zur Ruhe verweisen
mit dem Bemerken, daß uns die innern Angelegenheiten dieser Staaten nichts
angingen? So wie in den Kammern unserer Volksvertreter das Unwesen unzei-
tiger Interpellationen um sich gegriffen hat, so zeigt, namentlich sobald es sich
um Beziehungen zu Deutschland handelt, das Unwesen ewiger bald diplomatischer,
bald bewaffneter Interventionen sich als eine chronische Krankheit des europäischen
Staatensystems. Posen, Schleswig, Oberitalien, Limburg, Luxemburg, das
Kleinste und das Größte setzt die Nachbarn gegen uns in Bewegung und stets
droht "Intervention." Von Rußland gar kommt eine sogenannte FriedenSnote,
die man füglich eine Kriegsnote nennen könnte, so verlegt sie Deutschland jeden
Schritt und Tritt, das bei jeder Bewegung die Fußangel des cssus Kokil, be¬
fürchten soll.

Mögen jene Nationen, die sich rühmen die Verfechter aller nationalen Frei¬
heit zu sein, mit ihrem guten Beispiele opferbereit uns vorangehen. Unter allen
Umständen aber muß Deutschland freiwillig handeln, weil es selbst nach reiflicher
Prüfung, die Maßregel, um die es sich gerade handelt, für gut und gerecht
erkannt hat , nicht aber darf es sich, wie die Haltung der Vermittler in der ita¬
lienischen Sache in Aussicht stellt -- ein reizbareres Volk würde diese Haltung


Br-i>jh"den. "I. is"" 4j

Italiens und anderer Nachbarstaaten, welche mit schlecht verhehltem Verdruß der
Kraftentwickelung Deutschlands zuschauen.

Wären wir nicht halbe Kinder in der Politik, von edlen Instincten allzuleicht
hingerissene Theoretiker, für staatsmännische Praxis noch viel zu wenig ins große
Leben eingeführt, in den Mysterien des hinter schönen Wortmäntelchen sich
versteckenden Völkerehrgeizes arge Neulinge, so würden wir, weniger abhängig
von den Einflüssen der Meinung des Auslandes, mit den eigenen Augen die
Dinge betrachten Und das nach dem Maßstabe des eigenen Urtheils als gerecht
und nützlich Erfundene ohne Bedenken und Schwanken ausführen. Dazu ist aber
leider noch wenig Hoffnung.

Schon von vornherein dürfte es auffallen, daß keinem von allen Völkern,
als nur eben dem deutscheu zugemuthet wird, rechts und links und in allen vier
Himmelsgegenden herauszugeben, frei zu macheu, Glieder von sich
loszuschneiden? Ist denn dieses Deutschland ein so erschrecklich großer Räuber
und Eroberer gewesen? Oder sind etwa Frankreich und England, die großen
weniger Apostel als Advokaten der Humanität und Nationalunabhängigkeit, nicht
in ganz gleicher Lage mit Deutschland? Gibt es kein Irland und Indien, kein
Gibraltar und Malta, gibt es nicht vor der deutschen Elbmündung ein Fels- und
Jnselstückchen Helgoland? Gibt es kein Elsaß, Lothringen, Korsika, Algier? Wie
würde man französischer und englischer Seits eS aufnehmen, wenn wir das un¬
verbrüchliche Recht dieser Länder und Ländchen auf politische Unabhängigkeit pro-
klamirten? würde man uns nicht verlachen und sehr ernst zur Ruhe verweisen
mit dem Bemerken, daß uns die innern Angelegenheiten dieser Staaten nichts
angingen? So wie in den Kammern unserer Volksvertreter das Unwesen unzei-
tiger Interpellationen um sich gegriffen hat, so zeigt, namentlich sobald es sich
um Beziehungen zu Deutschland handelt, das Unwesen ewiger bald diplomatischer,
bald bewaffneter Interventionen sich als eine chronische Krankheit des europäischen
Staatensystems. Posen, Schleswig, Oberitalien, Limburg, Luxemburg, das
Kleinste und das Größte setzt die Nachbarn gegen uns in Bewegung und stets
droht „Intervention." Von Rußland gar kommt eine sogenannte FriedenSnote,
die man füglich eine Kriegsnote nennen könnte, so verlegt sie Deutschland jeden
Schritt und Tritt, das bei jeder Bewegung die Fußangel des cssus Kokil, be¬
fürchten soll.

Mögen jene Nationen, die sich rühmen die Verfechter aller nationalen Frei¬
heit zu sein, mit ihrem guten Beispiele opferbereit uns vorangehen. Unter allen
Umständen aber muß Deutschland freiwillig handeln, weil es selbst nach reiflicher
Prüfung, die Maßregel, um die es sich gerade handelt, für gut und gerecht
erkannt hat , nicht aber darf es sich, wie die Haltung der Vermittler in der ita¬
lienischen Sache in Aussicht stellt — ein reizbareres Volk würde diese Haltung


Br-i>jh»den. »I. is«» 4j
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0325" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277755"/>
          <p xml:id="ID_1057" prev="#ID_1056"> Italiens und anderer Nachbarstaaten, welche mit schlecht verhehltem Verdruß der<lb/>
Kraftentwickelung Deutschlands zuschauen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1058"> Wären wir nicht halbe Kinder in der Politik, von edlen Instincten allzuleicht<lb/>
hingerissene Theoretiker, für staatsmännische Praxis noch viel zu wenig ins große<lb/>
Leben eingeführt, in den Mysterien des hinter schönen Wortmäntelchen sich<lb/>
versteckenden Völkerehrgeizes arge Neulinge, so würden wir, weniger abhängig<lb/>
von den Einflüssen der Meinung des Auslandes, mit den eigenen Augen die<lb/>
Dinge betrachten Und das nach dem Maßstabe des eigenen Urtheils als gerecht<lb/>
und nützlich Erfundene ohne Bedenken und Schwanken ausführen. Dazu ist aber<lb/>
leider noch wenig Hoffnung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1059"> Schon von vornherein dürfte es auffallen, daß keinem von allen Völkern,<lb/>
als nur eben dem deutscheu zugemuthet wird, rechts und links und in allen vier<lb/>
Himmelsgegenden herauszugeben, frei zu macheu, Glieder von sich<lb/>
loszuschneiden? Ist denn dieses Deutschland ein so erschrecklich großer Räuber<lb/>
und Eroberer gewesen? Oder sind etwa Frankreich und England, die großen<lb/>
weniger Apostel als Advokaten der Humanität und Nationalunabhängigkeit, nicht<lb/>
in ganz gleicher Lage mit Deutschland? Gibt es kein Irland und Indien, kein<lb/>
Gibraltar und Malta, gibt es nicht vor der deutschen Elbmündung ein Fels- und<lb/>
Jnselstückchen Helgoland? Gibt es kein Elsaß, Lothringen, Korsika, Algier? Wie<lb/>
würde man französischer und englischer Seits eS aufnehmen, wenn wir das un¬<lb/>
verbrüchliche Recht dieser Länder und Ländchen auf politische Unabhängigkeit pro-<lb/>
klamirten? würde man uns nicht verlachen und sehr ernst zur Ruhe verweisen<lb/>
mit dem Bemerken, daß uns die innern Angelegenheiten dieser Staaten nichts<lb/>
angingen? So wie in den Kammern unserer Volksvertreter das Unwesen unzei-<lb/>
tiger Interpellationen um sich gegriffen hat, so zeigt, namentlich sobald es sich<lb/>
um Beziehungen zu Deutschland handelt, das Unwesen ewiger bald diplomatischer,<lb/>
bald bewaffneter Interventionen sich als eine chronische Krankheit des europäischen<lb/>
Staatensystems. Posen, Schleswig, Oberitalien, Limburg, Luxemburg, das<lb/>
Kleinste und das Größte setzt die Nachbarn gegen uns in Bewegung und stets<lb/>
droht &#x201E;Intervention." Von Rußland gar kommt eine sogenannte FriedenSnote,<lb/>
die man füglich eine Kriegsnote nennen könnte, so verlegt sie Deutschland jeden<lb/>
Schritt und Tritt, das bei jeder Bewegung die Fußangel des cssus Kokil, be¬<lb/>
fürchten soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1060" next="#ID_1061"> Mögen jene Nationen, die sich rühmen die Verfechter aller nationalen Frei¬<lb/>
heit zu sein, mit ihrem guten Beispiele opferbereit uns vorangehen. Unter allen<lb/>
Umständen aber muß Deutschland freiwillig handeln, weil es selbst nach reiflicher<lb/>
Prüfung, die Maßregel, um die es sich gerade handelt, für gut und gerecht<lb/>
erkannt hat , nicht aber darf es sich, wie die Haltung der Vermittler in der ita¬<lb/>
lienischen Sache in Aussicht stellt &#x2014; ein reizbareres Volk würde diese Haltung</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Br-i&gt;jh»den. »I. is«» 4j</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0325] Italiens und anderer Nachbarstaaten, welche mit schlecht verhehltem Verdruß der Kraftentwickelung Deutschlands zuschauen. Wären wir nicht halbe Kinder in der Politik, von edlen Instincten allzuleicht hingerissene Theoretiker, für staatsmännische Praxis noch viel zu wenig ins große Leben eingeführt, in den Mysterien des hinter schönen Wortmäntelchen sich versteckenden Völkerehrgeizes arge Neulinge, so würden wir, weniger abhängig von den Einflüssen der Meinung des Auslandes, mit den eigenen Augen die Dinge betrachten Und das nach dem Maßstabe des eigenen Urtheils als gerecht und nützlich Erfundene ohne Bedenken und Schwanken ausführen. Dazu ist aber leider noch wenig Hoffnung. Schon von vornherein dürfte es auffallen, daß keinem von allen Völkern, als nur eben dem deutscheu zugemuthet wird, rechts und links und in allen vier Himmelsgegenden herauszugeben, frei zu macheu, Glieder von sich loszuschneiden? Ist denn dieses Deutschland ein so erschrecklich großer Räuber und Eroberer gewesen? Oder sind etwa Frankreich und England, die großen weniger Apostel als Advokaten der Humanität und Nationalunabhängigkeit, nicht in ganz gleicher Lage mit Deutschland? Gibt es kein Irland und Indien, kein Gibraltar und Malta, gibt es nicht vor der deutschen Elbmündung ein Fels- und Jnselstückchen Helgoland? Gibt es kein Elsaß, Lothringen, Korsika, Algier? Wie würde man französischer und englischer Seits eS aufnehmen, wenn wir das un¬ verbrüchliche Recht dieser Länder und Ländchen auf politische Unabhängigkeit pro- klamirten? würde man uns nicht verlachen und sehr ernst zur Ruhe verweisen mit dem Bemerken, daß uns die innern Angelegenheiten dieser Staaten nichts angingen? So wie in den Kammern unserer Volksvertreter das Unwesen unzei- tiger Interpellationen um sich gegriffen hat, so zeigt, namentlich sobald es sich um Beziehungen zu Deutschland handelt, das Unwesen ewiger bald diplomatischer, bald bewaffneter Interventionen sich als eine chronische Krankheit des europäischen Staatensystems. Posen, Schleswig, Oberitalien, Limburg, Luxemburg, das Kleinste und das Größte setzt die Nachbarn gegen uns in Bewegung und stets droht „Intervention." Von Rußland gar kommt eine sogenannte FriedenSnote, die man füglich eine Kriegsnote nennen könnte, so verlegt sie Deutschland jeden Schritt und Tritt, das bei jeder Bewegung die Fußangel des cssus Kokil, be¬ fürchten soll. Mögen jene Nationen, die sich rühmen die Verfechter aller nationalen Frei¬ heit zu sein, mit ihrem guten Beispiele opferbereit uns vorangehen. Unter allen Umständen aber muß Deutschland freiwillig handeln, weil es selbst nach reiflicher Prüfung, die Maßregel, um die es sich gerade handelt, für gut und gerecht erkannt hat , nicht aber darf es sich, wie die Haltung der Vermittler in der ita¬ lienischen Sache in Aussicht stellt — ein reizbareres Volk würde diese Haltung Br-i>jh»den. »I. is«» 4j

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/325
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/325>, abgerufen am 26.06.2024.