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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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gegenüberzustellen, schnell aufgegeben ist: nur im Reich können sich die Staaten
realisiren, nur in den Staaten das Reich. Zur Versöhnung der deutschen und
preußischen Interessen wird Herr Camphausen, der eben so das Vertrauen der
preußischen Abgeordneten zu Frankfurt als seiner Regierung besitzt, wesentlich bei'
tragen können; er würde freilich eine noch klarere Stellung haben, wenn den Abge¬
ordneten der Staaten ein Sitz im Reichstag angewiesen würde, um hier die berech¬
tigten Sonderinteressen den allgemeinen gegenüber vertreten zu können: beide könn¬
ten dadurch nur gewinnen.

Die beiden Reichstage - zu Wien und Berlin -- bieten noch dasselbe trau¬
rige Bild, das man schon bei ihrer Zusammensetzung vorausempfinden konnte.
Stände ihnen nicht, gleichsam als 2. Kammer, die Paulskirche gegenüber, so wür¬
den sie in größtmöglicher Schnelligkeit die Staaten zur Anarchie führen, denn
ihre Haltung ist von der Art, daß ein polnischer Reichstag dagegen einen versöh¬
nenden Eindruck machen würde, wie eine Regimentsmusik nach einer Spontini'schen
Oper. In Wien werdeu die schwierigsten Fragen dem Prinzipe nach sehr rasch
erledigt, was die Ausführung betrifft: "davon später!" Es herrscht in dieser Ver¬
sammlung ein gewisser kindlicher Geist, dagegen in Berlin eine unausstehliche
suffisance, die vor ewigem Kritisiren und Besserwissen zu gar keinem Resultat
kommt

Nach Außen hin ist die Einheit des Reichs dnrch die Vervollständigung des
Ministeriums nun vertreten. Das Haupt derselben, der Fürst von Leiningen, ist
als energischer Verfechter der Neichseinheit bekannt; wo er zu weit gehen sollte,
findet er im Cabinet selbst eine entschiedene, wenn auch dem Prinzip nach mit
ihr durchaus einige Opposition. Die großen und bewundernswerthen Siege der
östreichischen Armee in Italien haben die Hoffnung eiues ehrenvollen Friedens
beschleunigt, und bei der guten Wendung, welche die äußere Politik in Frankreich
genommen hat, läßt sich eine friedliche Lösung dieser eben so widerwärtigen als
unvermeidlichen Fragen -- der Mailänder und der Schleswig- Holsteinischen --
mit einiger Zuversicht erwarten. Zur Feststellung der Gesichtspunkte, welche Deutsch¬
land in dieser Frage zu nehmen hat, trägt die ausgezeichnete Rede des General
Radowitz zu Frankfurt das Meiste bei. Der mißlichste Punkt für den italieni¬
schen Frieden bleibt die Garantie, welche Oestreich für seine Entschädigung mit
Recht verlangen wird, die aufzufinden aber dem neuen italienischen Staat einige
Schwierigkeit machen dürste.

Der Radikalismus, d. h. die Partei, welche den neugegründeten Rechtszu¬
stand nicht anerkennt, ist fürs Erste ziemlich auf allen Punkten eben so geschlagen,
wje ditz. Reaction, die mit ihr in vielen Punkten Hand in Hand geht. Die Chefs



Die eigentliche Aufgabe der Consiiwftnle, das Berfassungsgesetz, bleibt einer besondern
Besprechung vorbehalten.

gegenüberzustellen, schnell aufgegeben ist: nur im Reich können sich die Staaten
realisiren, nur in den Staaten das Reich. Zur Versöhnung der deutschen und
preußischen Interessen wird Herr Camphausen, der eben so das Vertrauen der
preußischen Abgeordneten zu Frankfurt als seiner Regierung besitzt, wesentlich bei'
tragen können; er würde freilich eine noch klarere Stellung haben, wenn den Abge¬
ordneten der Staaten ein Sitz im Reichstag angewiesen würde, um hier die berech¬
tigten Sonderinteressen den allgemeinen gegenüber vertreten zu können: beide könn¬
ten dadurch nur gewinnen.

Die beiden Reichstage - zu Wien und Berlin — bieten noch dasselbe trau¬
rige Bild, das man schon bei ihrer Zusammensetzung vorausempfinden konnte.
Stände ihnen nicht, gleichsam als 2. Kammer, die Paulskirche gegenüber, so wür¬
den sie in größtmöglicher Schnelligkeit die Staaten zur Anarchie führen, denn
ihre Haltung ist von der Art, daß ein polnischer Reichstag dagegen einen versöh¬
nenden Eindruck machen würde, wie eine Regimentsmusik nach einer Spontini'schen
Oper. In Wien werdeu die schwierigsten Fragen dem Prinzipe nach sehr rasch
erledigt, was die Ausführung betrifft: „davon später!" Es herrscht in dieser Ver¬
sammlung ein gewisser kindlicher Geist, dagegen in Berlin eine unausstehliche
suffisance, die vor ewigem Kritisiren und Besserwissen zu gar keinem Resultat
kommt

Nach Außen hin ist die Einheit des Reichs dnrch die Vervollständigung des
Ministeriums nun vertreten. Das Haupt derselben, der Fürst von Leiningen, ist
als energischer Verfechter der Neichseinheit bekannt; wo er zu weit gehen sollte,
findet er im Cabinet selbst eine entschiedene, wenn auch dem Prinzip nach mit
ihr durchaus einige Opposition. Die großen und bewundernswerthen Siege der
östreichischen Armee in Italien haben die Hoffnung eiues ehrenvollen Friedens
beschleunigt, und bei der guten Wendung, welche die äußere Politik in Frankreich
genommen hat, läßt sich eine friedliche Lösung dieser eben so widerwärtigen als
unvermeidlichen Fragen — der Mailänder und der Schleswig- Holsteinischen —
mit einiger Zuversicht erwarten. Zur Feststellung der Gesichtspunkte, welche Deutsch¬
land in dieser Frage zu nehmen hat, trägt die ausgezeichnete Rede des General
Radowitz zu Frankfurt das Meiste bei. Der mißlichste Punkt für den italieni¬
schen Frieden bleibt die Garantie, welche Oestreich für seine Entschädigung mit
Recht verlangen wird, die aufzufinden aber dem neuen italienischen Staat einige
Schwierigkeit machen dürste.

Der Radikalismus, d. h. die Partei, welche den neugegründeten Rechtszu¬
stand nicht anerkennt, ist fürs Erste ziemlich auf allen Punkten eben so geschlagen,
wje ditz. Reaction, die mit ihr in vielen Punkten Hand in Hand geht. Die Chefs



Die eigentliche Aufgabe der Consiiwftnle, das Berfassungsgesetz, bleibt einer besondern
Besprechung vorbehalten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/323>, abgerufen am 26.06.2024.