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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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rette noch nie gehoben. Kaum war der Jubel über des Königs Ankunft in Düs¬
seldorf verklungen, als die bittere Realität in dem Kampf des Militärs gegen die
Bürger sich wieder Bahn brach. Kein Gegensatz ist in der Politik so schneidend, daß
ihn eine vernünftige Erörterung nicht schlichten konnte; keine Kluft so schmal, daß
eine fliegende Hitze hinüberführte.

Dagegen gibt es Scenen des scheinbaren Kampfes, welche die Einigung
mehr fördern, als aller Jubel eines nur scheinbaren Einverständnisses. Eine solche
nenne ich den tragikomischen Auftritt bei der Rede des Abgeordneten Brentano
in der Frankfurter Versammlung. Es war nicht der einzelne Fall, der einen sol¬
chen Sturm des Unwillens bei den preußischen Abgeordneten erregte, es war das
Gefühl der Nothwendigkeit, einmal auf eine energische Weise das so vielfach ge¬
lästerte Preußen zu vertreten. Man mag mit dem Ausdruck dieses Gefühls ein¬
verstanden sein oder nicht, er hat jedenfalls nach allen Seiten hin den besten Er¬
folg. Die conservative Partei einerseits hat gesehen, daß in Preußen ihre festeste
Basis ist, daß trotz der scheinbaren Anarchie, die jetzt den Staat Friedrich des
Großen aus den Fugen hebt, die Idee dieses Staats in den Herzen des Volks
und seiner Vertreter doch noch fest genug gewurzelt ist, um auch einem ernsthaften
Sturm Widerstand zu leisten. Die radikale Partei hat zwar nicht verfehlt, ein
grausames Geschrei gegen jene Demonstration und den daraus hervorgehenden
Ordnungsruf des Präsidenten zu erheben, aber sie hat zugleich -- wenigstens von
ihren gesundem Elementen ist es vorauszusetzen -- gefühlt, daß sie, um ihre
Zwecke, die Einheit Deutschlands und die demokratische Staatsverfassung, durchzufüh¬
ren, Gefühle und Ideen zu schonen habe, die doch auch eine Realität sind. End¬
lich muß die preußische Regierung erkennen, daß ihr sicherster Halt nicht in Ber¬
lin, sondern in Frankfurt ist, daß sie ihre wahre Kraft nur im Reiche finden kann.
Es ist möglich, daß sie in Frankfurt eine Stütze findet gegen ultrademokratische
Uebergriffe ihrer eigenen Stände. In einer Frage, -- über die Abschaffung des
Adels -- liegt das jetzt schon nahe. Der Entwurf der preußischen Versammlung,
durch welchen eine mächtige und einflußreiche Klasse ohne allen Grund und allen
Zweck beleidigt und dem neuen Staatswesen abhold gemacht wurde, findet in dem
vorhergehenden Beschluß der Nationalversammlung bereits seine Erledigung. Hat
die preußische Regierung Muth und Selbstvertrauen, so wird sie sich ohne Vor¬
behalt dem Reich anschließen. Sie wird -- da sie in der Regulirung der innern
Verhältnisse bei eiuer Versammlung, die in jeder Stunde von einem neuen Ein¬
fall überstürzt wird, ohnehin mehr' als hinreichend Beschäftigung findet, -- die
öffentliche, namentlich die internationale Frage der Cesitralgewalt und den Nativ-
nalvertretern überlassen , wo ihre Interessen besser wahrgenommen werden als in
der eigenen Hauptstadt. Wer Großes erreichen will; darf nicht eitel und empfind¬
lich sein. Es ist ein Glück, daß jenes ganz verfehlte Project, die Abgeordneten
der einzelnen Regierungen in ein CorM zu vereinigen und gleichsam dem Reich


rette noch nie gehoben. Kaum war der Jubel über des Königs Ankunft in Düs¬
seldorf verklungen, als die bittere Realität in dem Kampf des Militärs gegen die
Bürger sich wieder Bahn brach. Kein Gegensatz ist in der Politik so schneidend, daß
ihn eine vernünftige Erörterung nicht schlichten konnte; keine Kluft so schmal, daß
eine fliegende Hitze hinüberführte.

Dagegen gibt es Scenen des scheinbaren Kampfes, welche die Einigung
mehr fördern, als aller Jubel eines nur scheinbaren Einverständnisses. Eine solche
nenne ich den tragikomischen Auftritt bei der Rede des Abgeordneten Brentano
in der Frankfurter Versammlung. Es war nicht der einzelne Fall, der einen sol¬
chen Sturm des Unwillens bei den preußischen Abgeordneten erregte, es war das
Gefühl der Nothwendigkeit, einmal auf eine energische Weise das so vielfach ge¬
lästerte Preußen zu vertreten. Man mag mit dem Ausdruck dieses Gefühls ein¬
verstanden sein oder nicht, er hat jedenfalls nach allen Seiten hin den besten Er¬
folg. Die conservative Partei einerseits hat gesehen, daß in Preußen ihre festeste
Basis ist, daß trotz der scheinbaren Anarchie, die jetzt den Staat Friedrich des
Großen aus den Fugen hebt, die Idee dieses Staats in den Herzen des Volks
und seiner Vertreter doch noch fest genug gewurzelt ist, um auch einem ernsthaften
Sturm Widerstand zu leisten. Die radikale Partei hat zwar nicht verfehlt, ein
grausames Geschrei gegen jene Demonstration und den daraus hervorgehenden
Ordnungsruf des Präsidenten zu erheben, aber sie hat zugleich — wenigstens von
ihren gesundem Elementen ist es vorauszusetzen — gefühlt, daß sie, um ihre
Zwecke, die Einheit Deutschlands und die demokratische Staatsverfassung, durchzufüh¬
ren, Gefühle und Ideen zu schonen habe, die doch auch eine Realität sind. End¬
lich muß die preußische Regierung erkennen, daß ihr sicherster Halt nicht in Ber¬
lin, sondern in Frankfurt ist, daß sie ihre wahre Kraft nur im Reiche finden kann.
Es ist möglich, daß sie in Frankfurt eine Stütze findet gegen ultrademokratische
Uebergriffe ihrer eigenen Stände. In einer Frage, — über die Abschaffung des
Adels — liegt das jetzt schon nahe. Der Entwurf der preußischen Versammlung,
durch welchen eine mächtige und einflußreiche Klasse ohne allen Grund und allen
Zweck beleidigt und dem neuen Staatswesen abhold gemacht wurde, findet in dem
vorhergehenden Beschluß der Nationalversammlung bereits seine Erledigung. Hat
die preußische Regierung Muth und Selbstvertrauen, so wird sie sich ohne Vor¬
behalt dem Reich anschließen. Sie wird — da sie in der Regulirung der innern
Verhältnisse bei eiuer Versammlung, die in jeder Stunde von einem neuen Ein¬
fall überstürzt wird, ohnehin mehr' als hinreichend Beschäftigung findet, — die
öffentliche, namentlich die internationale Frage der Cesitralgewalt und den Nativ-
nalvertretern überlassen , wo ihre Interessen besser wahrgenommen werden als in
der eigenen Hauptstadt. Wer Großes erreichen will; darf nicht eitel und empfind¬
lich sein. Es ist ein Glück, daß jenes ganz verfehlte Project, die Abgeordneten
der einzelnen Regierungen in ein CorM zu vereinigen und gleichsam dem Reich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/322>, abgerufen am 26.06.2024.