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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Und noch gibt es in der That andere Zwecke; noch weht die schwarzgelbe Fahne
vor den Thoren von Mailand, noch erhebt sich der Adler der Hohenzollern über
den polnischen Districten, die gerade die vorzugsweise deutsch gesinnten Genossen¬
schaften dem Reich einzuverleiben Anstand nahmen. Noch stehen die Cavaignac's
der neuen Republik, die Radetzky, die Windischgrätz, die Jellaczicz, an der Spitze
einer siegreichen Armee und die Robe hat noch nicht unbedingt das Schwert sich
Unterthan gemacht.

In Ermangelung heroischer Scenen ist man gemüthlich gewesen, sehr gemüth¬
lich. Der Kaiser ist nach Wien zurückgekehrt und die souveränen Residenzler sind
plötzlich wieder inne geworden, daß doch nix über ihren Ferdinand! geht, sie wer¬
fen ihre aufgestülpten Filze in die Lüfte, zu Ehren des Siegers von Custozza und
jubeln über die Unterwerfung des rebellischen Italiens. Und in Cöln haben sie
ein Fest zum Andenken an den Einheitsdom gefeiert, und der Reichsverweser ist
hingekommen und ist sehr gemüthlich gewesen und alles Volk war außer sich, daß
ein hochgeborner Fürst so herablassend sein konnte und einen schlichten Rock trug,
und Herr v. Gagern ist erschienen mit :;00 Reichsvereinigern, und sie haben schöne
Reden gehalten und den Cölnern die Hände gedrückt, und die Cölner sind wieder
außer sich gewesen, aber doch noch nicht so stark, als anch der König von Preu¬
ßen erschien und dem Reichsverweser die Hand schüttelte und ihn küßte und ihn
rechts gehen ließ, obgleich der Reichsverweser links gehen wollte, und als er ihm
ein Lebehoch ausbrachte und dem Erzherzog mit einem Toaste erwiederte und man
Deutschland hoch leben ließ und die Abgeordneten, und noch einmal Deutschland
und noch einmal den Reichsverweser und noch einmal den König und jedesmal
der Becher bis auf die Nagelprobe geleert wurde. Und dann wurden wieder schöne
Reden gehalten und der König hat sich alle Reichsveiciniger vorstellen lassen und
hat sie gelobt und vermahnt und gemeint, er sei doch ein Fürst, und das hat sie
verdrossen, denn es schmeckte nach Reaction, aber da ist wieder poculirt und ge¬
sungen und sind neue schöne Reden gehalten und Alles ist Ein Herz und Eine
Seele gewesen.

Solche Festspiele haben etwas Unheimliches in einer bedrängten Zeit. Ein¬
mal wird zu viel getrunken, man wacht den andern Morgen mit einem wüsten
Kopfe auf und da kommt einem, was man im Rausch gesprochen und gethan,
ganz besonders vor. Weil hat man nicht Alles geküßt! Nicht blos bei den Russen
bringt der Rum Liebesgefühle hervor, daß ein bärtiges Haupt das andere bei den
Ohren nimmt und in zärtlicher Selbstvergessenheit sein Batuschka, Väterchen, be¬
schmatzt! Und dann die Betäubung auf das laute Geschrei! Einer übertreibt den
andern und deshalb sich selbst, um auf dem Niveau der gesteigerten Stimmung
zu bleiben, vom Entzücken geht es zur Anbetung, zum gegenstandlosen Hüpfen
und Toasten, zuletzt bleibt ein eben so namenloses als überschwengliches Vivat!
Ernstliche, in der Natur der Sache liegende Zwistigkeiten hat ein b..i"er I^mon.


Und noch gibt es in der That andere Zwecke; noch weht die schwarzgelbe Fahne
vor den Thoren von Mailand, noch erhebt sich der Adler der Hohenzollern über
den polnischen Districten, die gerade die vorzugsweise deutsch gesinnten Genossen¬
schaften dem Reich einzuverleiben Anstand nahmen. Noch stehen die Cavaignac's
der neuen Republik, die Radetzky, die Windischgrätz, die Jellaczicz, an der Spitze
einer siegreichen Armee und die Robe hat noch nicht unbedingt das Schwert sich
Unterthan gemacht.

In Ermangelung heroischer Scenen ist man gemüthlich gewesen, sehr gemüth¬
lich. Der Kaiser ist nach Wien zurückgekehrt und die souveränen Residenzler sind
plötzlich wieder inne geworden, daß doch nix über ihren Ferdinand! geht, sie wer¬
fen ihre aufgestülpten Filze in die Lüfte, zu Ehren des Siegers von Custozza und
jubeln über die Unterwerfung des rebellischen Italiens. Und in Cöln haben sie
ein Fest zum Andenken an den Einheitsdom gefeiert, und der Reichsverweser ist
hingekommen und ist sehr gemüthlich gewesen und alles Volk war außer sich, daß
ein hochgeborner Fürst so herablassend sein konnte und einen schlichten Rock trug,
und Herr v. Gagern ist erschienen mit :;00 Reichsvereinigern, und sie haben schöne
Reden gehalten und den Cölnern die Hände gedrückt, und die Cölner sind wieder
außer sich gewesen, aber doch noch nicht so stark, als anch der König von Preu¬
ßen erschien und dem Reichsverweser die Hand schüttelte und ihn küßte und ihn
rechts gehen ließ, obgleich der Reichsverweser links gehen wollte, und als er ihm
ein Lebehoch ausbrachte und dem Erzherzog mit einem Toaste erwiederte und man
Deutschland hoch leben ließ und die Abgeordneten, und noch einmal Deutschland
und noch einmal den Reichsverweser und noch einmal den König und jedesmal
der Becher bis auf die Nagelprobe geleert wurde. Und dann wurden wieder schöne
Reden gehalten und der König hat sich alle Reichsveiciniger vorstellen lassen und
hat sie gelobt und vermahnt und gemeint, er sei doch ein Fürst, und das hat sie
verdrossen, denn es schmeckte nach Reaction, aber da ist wieder poculirt und ge¬
sungen und sind neue schöne Reden gehalten und Alles ist Ein Herz und Eine
Seele gewesen.

Solche Festspiele haben etwas Unheimliches in einer bedrängten Zeit. Ein¬
mal wird zu viel getrunken, man wacht den andern Morgen mit einem wüsten
Kopfe auf und da kommt einem, was man im Rausch gesprochen und gethan,
ganz besonders vor. Weil hat man nicht Alles geküßt! Nicht blos bei den Russen
bringt der Rum Liebesgefühle hervor, daß ein bärtiges Haupt das andere bei den
Ohren nimmt und in zärtlicher Selbstvergessenheit sein Batuschka, Väterchen, be¬
schmatzt! Und dann die Betäubung auf das laute Geschrei! Einer übertreibt den
andern und deshalb sich selbst, um auf dem Niveau der gesteigerten Stimmung
zu bleiben, vom Entzücken geht es zur Anbetung, zum gegenstandlosen Hüpfen
und Toasten, zuletzt bleibt ein eben so namenloses als überschwengliches Vivat!
Ernstliche, in der Natur der Sache liegende Zwistigkeiten hat ein b..i«er I^mon.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/321>, abgerufen am 26.06.2024.