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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Gans, der elegante Vorfechter des jungen Geistes gegen die legitime Zopfdoc-
trin, von Fanny Elster sagte, sie tanze Göthe, so war das ein Ausdruck,
dessen sich die Freunde Schlegels, die Erfinder des kühlenden Feuers und der
klingenden Farben, nicht hätten schämen dürfen. Man denke, welchen Beifall solche
poetische Figuren in den Kreisen genialer Damen finden mußten, die in dieser
Verbindung des Idealismus mit der Anecdote das Wesen ihrer eignen Bildung
wiederfanden. In dem Verhältniß zu den kosmopolitischen Aesthetikern und na¬
mentlich zu den Belletristen der jungen Schule -- Gutzkow, Mund, Märker
u. s. w., hatte die Schule den Anschein, in geistreichen Apercus zu zerfließen.

Was angestellter Professor war, hielt wenigstens an der Form fest. Daß
Hegel die Identität des Seins und des Nichtseins bewiesen hatte, war schon et¬
was; sein Schüler, Herr Werber, der Dichter des Kolumbus, fand aber, daß
er darin noch nicht weit genug gegangen sei; er erkannte in dem Nichts einen
größern Inhalt als in dem Sein, und war über diese Entdeckung so entzückt,
daß er in seiner Logik in einen glühenden Dithyrambus über das Nichts aus¬
brach, und alle Reiche der Luft, des Wassers, des Feuers und der Erde,
das Firmament und die Sterne, alle Empfindungen der Seele und selbst die
höchsten Gedanken des göttlichen Wesens ausbot, um in Bildern dem alleinselig¬
machenden "Nichts" gerecht zu werden.

Wenn sich ein Fremder zufällig in irgend eine Vorlesung der Berliner He¬
gelianer verirrte, so erwartete ihn eine ähnliche Scene. Irgend eine logische Ab-
straction, ein bloßer Copula-Begriff wurde zum Gegenstand dichterischer Begeisterung
gemacht, und in einer Bildersprache behandelt, die der gemeine Menschenverstand
als tollgewordene Prosa bezeichnet. Ich geriet!) z. B. in ein Kollegium des Herrn
Michelet, in welcher dieser das "Wesen" beschrieb. Das Wesen ist in sei¬
ner ersten Manifestation bei Hegel "die Identität der Identität und der Nicht-Zden-
tität;" wem das für den ersten Augenblick zu dunkel sein sollte, beruhige sich vor¬
läufig. Man mußte von diesem Wesen eine schauerliche Vorstellung bekommen,
wenn man hörte, wie es in sich selber hineinbohrte und wühlte, aus einer Form
in die andere überging, in wahrhaft impertinenter Frivolität sich zur Erscheinung
herabsetzte, und dann wieder die Erscheinung in sich aufnahm, wie es sich selber
verschlang und wieder von sich gab - und wenn man diese gräulichen Attentate
des Wesens nicht nur durch den ganzen Bildervorrath der deutschen Sprache,
sondern auch durch die lebhaftesten Gesten sämmtlicher Körpertheile versinnli¬
chen sah.

Dieser Nihilismus fand seine vollständigste Erscheinung in der Charlottenburger
Kritik. Seit Strauß und Feuerbach hatte die Hegelsche Schule mit Bewußtsein ausge¬
sprochen was sie früher instinctmäßig betrieben hatte, die Auflösung aller Reali
tat in der Natur und der Geschichte in eine Erscheinung, oder ein Gedicht, oder


Gans, der elegante Vorfechter des jungen Geistes gegen die legitime Zopfdoc-
trin, von Fanny Elster sagte, sie tanze Göthe, so war das ein Ausdruck,
dessen sich die Freunde Schlegels, die Erfinder des kühlenden Feuers und der
klingenden Farben, nicht hätten schämen dürfen. Man denke, welchen Beifall solche
poetische Figuren in den Kreisen genialer Damen finden mußten, die in dieser
Verbindung des Idealismus mit der Anecdote das Wesen ihrer eignen Bildung
wiederfanden. In dem Verhältniß zu den kosmopolitischen Aesthetikern und na¬
mentlich zu den Belletristen der jungen Schule — Gutzkow, Mund, Märker
u. s. w., hatte die Schule den Anschein, in geistreichen Apercus zu zerfließen.

Was angestellter Professor war, hielt wenigstens an der Form fest. Daß
Hegel die Identität des Seins und des Nichtseins bewiesen hatte, war schon et¬
was; sein Schüler, Herr Werber, der Dichter des Kolumbus, fand aber, daß
er darin noch nicht weit genug gegangen sei; er erkannte in dem Nichts einen
größern Inhalt als in dem Sein, und war über diese Entdeckung so entzückt,
daß er in seiner Logik in einen glühenden Dithyrambus über das Nichts aus¬
brach, und alle Reiche der Luft, des Wassers, des Feuers und der Erde,
das Firmament und die Sterne, alle Empfindungen der Seele und selbst die
höchsten Gedanken des göttlichen Wesens ausbot, um in Bildern dem alleinselig¬
machenden „Nichts" gerecht zu werden.

Wenn sich ein Fremder zufällig in irgend eine Vorlesung der Berliner He¬
gelianer verirrte, so erwartete ihn eine ähnliche Scene. Irgend eine logische Ab-
straction, ein bloßer Copula-Begriff wurde zum Gegenstand dichterischer Begeisterung
gemacht, und in einer Bildersprache behandelt, die der gemeine Menschenverstand
als tollgewordene Prosa bezeichnet. Ich geriet!) z. B. in ein Kollegium des Herrn
Michelet, in welcher dieser das „Wesen" beschrieb. Das Wesen ist in sei¬
ner ersten Manifestation bei Hegel „die Identität der Identität und der Nicht-Zden-
tität;" wem das für den ersten Augenblick zu dunkel sein sollte, beruhige sich vor¬
läufig. Man mußte von diesem Wesen eine schauerliche Vorstellung bekommen,
wenn man hörte, wie es in sich selber hineinbohrte und wühlte, aus einer Form
in die andere überging, in wahrhaft impertinenter Frivolität sich zur Erscheinung
herabsetzte, und dann wieder die Erscheinung in sich aufnahm, wie es sich selber
verschlang und wieder von sich gab - und wenn man diese gräulichen Attentate
des Wesens nicht nur durch den ganzen Bildervorrath der deutschen Sprache,
sondern auch durch die lebhaftesten Gesten sämmtlicher Körpertheile versinnli¬
chen sah.

Dieser Nihilismus fand seine vollständigste Erscheinung in der Charlottenburger
Kritik. Seit Strauß und Feuerbach hatte die Hegelsche Schule mit Bewußtsein ausge¬
sprochen was sie früher instinctmäßig betrieben hatte, die Auflösung aller Reali
tat in der Natur und der Geschichte in eine Erscheinung, oder ein Gedicht, oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/30>, abgerufen am 26.06.2024.