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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Einigung mit der historischen Schule symbolisch nachgebildet. Ans der Vogelper-
spective unnahbarer Offenbarung sah der blasirte Witz die Natur und die Ge¬
schichte an.

Eine sonderbare Umgestaltung ging damals mit der Hegelschen Schule vor.
Den Staatsmännern, welche Hegel in die Metropole der Intelligenz beriefen,
wurden dazu weniger durch die Einsicht in den Mechanismus seiner Dialektik be¬
wogen, als durch die Freude über den Satz: Alles Wirkliche ist vernünf¬
tig. Die Dreieinigkeit vernünftig und der preußische Staat vernünftig! Die
Polizei vernünftig! Einen solchen Philosophen hatte man noch nicht gesehn.


Warum verbirgt er sich! wenn solche Köpfe feiern,
Welch ein Verlust für meinen Staat!

Hegel's Einfluß in Berlin wurde zuerst durch die Unbehilflichkeit seines Aus¬
drucks erschwert; unbequemes Denken liebt der Berliner nicht. Aber dafür gab
es Catechismen der neuen Lehre, die ohne die Mühe der dialektischen Vermitte¬
lung die Resultate derselben leicht dem Gedächtniß einprägten. "Sein und Nicht¬
sein ist identisch," "die Identität des Seins und des Nichtseins ist das Dasein"
ii. s. w.; man verstand es zwar nicht, aber es klang so schauerlich romantisch,
und alles Unverständliche hat für geniale Gemüther eine geheime Anziehung.
Wenn dem Berliner gesagt wurde, alles was die einzelnen Wissenschaften lehren,
kann durch die Philosophie -r priori entdeckt werden; wenn er in 3-- 4 Bänden
eine Encyclopädie aller wissenswürdigen Dinge und noch dazu viel gründlicher
verarbeitet, als in den gemeinen wissenschaftlichen Büchern, in sich aufnehmen
konnte, so war dies dem Berliner, der gleich Dionysius einen andern Weg der
wissenschaftlichen Bildung für sich verlangt, als für den Pöbel, ein Reiz, der selbst
Ungewöhnliche Anstrengungen des Gedächtnisses und der Phantasie ertragen ließ.

Ich kannte einen jungen Juristen, der in Berlin die Hegelsche Philosophie
studirt hatte; in seiner Doctordissertation, zu deren Beurtheilung er beiläufig
im Vorwort sämmtliche juristische Facultäten für incompetent erklärte, gab er
in der Einleitung in etwa 7 Seiten eine ->, ^rinri construirte Geschichte des Men¬
schengeschlechts; er kam damit bis zu der laufenden Jahreszahl, und bemerkte
am Schluß, er wolle die weitere Geschichte hier vorläufig übergehen, da das
für den Augenblick zu weil führen würde.

Ich kann in Beziehung auf die Hegelsche Schule nur wiederholen, was ich
von den Romantikern sagte; bei den Süddeutschen, namentlich den Schwabe"
überwog das stoffliche Interesse, während die Berliner froh waren, durch eine
"cuc über alle Fragen hinaus und spielend der Geister Herr zu sein.

Die junge Literatur erfreute sich namentlich in dem Ineinanderfließen ver¬
schiedenartiger B^du, das die Schule mit der Romantik theilte. Wenn Professor


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Einigung mit der historischen Schule symbolisch nachgebildet. Ans der Vogelper-
spective unnahbarer Offenbarung sah der blasirte Witz die Natur und die Ge¬
schichte an.

Eine sonderbare Umgestaltung ging damals mit der Hegelschen Schule vor.
Den Staatsmännern, welche Hegel in die Metropole der Intelligenz beriefen,
wurden dazu weniger durch die Einsicht in den Mechanismus seiner Dialektik be¬
wogen, als durch die Freude über den Satz: Alles Wirkliche ist vernünf¬
tig. Die Dreieinigkeit vernünftig und der preußische Staat vernünftig! Die
Polizei vernünftig! Einen solchen Philosophen hatte man noch nicht gesehn.


Warum verbirgt er sich! wenn solche Köpfe feiern,
Welch ein Verlust für meinen Staat!

Hegel's Einfluß in Berlin wurde zuerst durch die Unbehilflichkeit seines Aus¬
drucks erschwert; unbequemes Denken liebt der Berliner nicht. Aber dafür gab
es Catechismen der neuen Lehre, die ohne die Mühe der dialektischen Vermitte¬
lung die Resultate derselben leicht dem Gedächtniß einprägten. „Sein und Nicht¬
sein ist identisch," „die Identität des Seins und des Nichtseins ist das Dasein"
ii. s. w.; man verstand es zwar nicht, aber es klang so schauerlich romantisch,
und alles Unverständliche hat für geniale Gemüther eine geheime Anziehung.
Wenn dem Berliner gesagt wurde, alles was die einzelnen Wissenschaften lehren,
kann durch die Philosophie -r priori entdeckt werden; wenn er in 3— 4 Bänden
eine Encyclopädie aller wissenswürdigen Dinge und noch dazu viel gründlicher
verarbeitet, als in den gemeinen wissenschaftlichen Büchern, in sich aufnehmen
konnte, so war dies dem Berliner, der gleich Dionysius einen andern Weg der
wissenschaftlichen Bildung für sich verlangt, als für den Pöbel, ein Reiz, der selbst
Ungewöhnliche Anstrengungen des Gedächtnisses und der Phantasie ertragen ließ.

Ich kannte einen jungen Juristen, der in Berlin die Hegelsche Philosophie
studirt hatte; in seiner Doctordissertation, zu deren Beurtheilung er beiläufig
im Vorwort sämmtliche juristische Facultäten für incompetent erklärte, gab er
in der Einleitung in etwa 7 Seiten eine ->, ^rinri construirte Geschichte des Men¬
schengeschlechts; er kam damit bis zu der laufenden Jahreszahl, und bemerkte
am Schluß, er wolle die weitere Geschichte hier vorläufig übergehen, da das
für den Augenblick zu weil führen würde.

Ich kann in Beziehung auf die Hegelsche Schule nur wiederholen, was ich
von den Romantikern sagte; bei den Süddeutschen, namentlich den Schwabe«
überwog das stoffliche Interesse, während die Berliner froh waren, durch eine
"cuc über alle Fragen hinaus und spielend der Geister Herr zu sein.

Die junge Literatur erfreute sich namentlich in dem Ineinanderfließen ver¬
schiedenartiger B^du, das die Schule mit der Romantik theilte. Wenn Professor


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[0029] Einigung mit der historischen Schule symbolisch nachgebildet. Ans der Vogelper- spective unnahbarer Offenbarung sah der blasirte Witz die Natur und die Ge¬ schichte an. Eine sonderbare Umgestaltung ging damals mit der Hegelschen Schule vor. Den Staatsmännern, welche Hegel in die Metropole der Intelligenz beriefen, wurden dazu weniger durch die Einsicht in den Mechanismus seiner Dialektik be¬ wogen, als durch die Freude über den Satz: Alles Wirkliche ist vernünf¬ tig. Die Dreieinigkeit vernünftig und der preußische Staat vernünftig! Die Polizei vernünftig! Einen solchen Philosophen hatte man noch nicht gesehn. Warum verbirgt er sich! wenn solche Köpfe feiern, Welch ein Verlust für meinen Staat! Hegel's Einfluß in Berlin wurde zuerst durch die Unbehilflichkeit seines Aus¬ drucks erschwert; unbequemes Denken liebt der Berliner nicht. Aber dafür gab es Catechismen der neuen Lehre, die ohne die Mühe der dialektischen Vermitte¬ lung die Resultate derselben leicht dem Gedächtniß einprägten. „Sein und Nicht¬ sein ist identisch," „die Identität des Seins und des Nichtseins ist das Dasein" ii. s. w.; man verstand es zwar nicht, aber es klang so schauerlich romantisch, und alles Unverständliche hat für geniale Gemüther eine geheime Anziehung. Wenn dem Berliner gesagt wurde, alles was die einzelnen Wissenschaften lehren, kann durch die Philosophie -r priori entdeckt werden; wenn er in 3— 4 Bänden eine Encyclopädie aller wissenswürdigen Dinge und noch dazu viel gründlicher verarbeitet, als in den gemeinen wissenschaftlichen Büchern, in sich aufnehmen konnte, so war dies dem Berliner, der gleich Dionysius einen andern Weg der wissenschaftlichen Bildung für sich verlangt, als für den Pöbel, ein Reiz, der selbst Ungewöhnliche Anstrengungen des Gedächtnisses und der Phantasie ertragen ließ. Ich kannte einen jungen Juristen, der in Berlin die Hegelsche Philosophie studirt hatte; in seiner Doctordissertation, zu deren Beurtheilung er beiläufig im Vorwort sämmtliche juristische Facultäten für incompetent erklärte, gab er in der Einleitung in etwa 7 Seiten eine ->, ^rinri construirte Geschichte des Men¬ schengeschlechts; er kam damit bis zu der laufenden Jahreszahl, und bemerkte am Schluß, er wolle die weitere Geschichte hier vorläufig übergehen, da das für den Augenblick zu weil führen würde. Ich kann in Beziehung auf die Hegelsche Schule nur wiederholen, was ich von den Romantikern sagte; bei den Süddeutschen, namentlich den Schwabe« überwog das stoffliche Interesse, während die Berliner froh waren, durch eine "cuc über alle Fragen hinaus und spielend der Geister Herr zu sein. Die junge Literatur erfreute sich namentlich in dem Ineinanderfließen ver¬ schiedenartiger B^du, das die Schule mit der Romantik theilte. Wenn Professor <S«NjI.°t-n. in. -tsi». .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/29>, abgerufen am 22.07.2024.