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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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wenn man will, ein Spiel des Geistes. Da damals die kirchliche Reaction viel zu
schaffen machte, so warf man seine kritische Thätigkeit vorzüglich auf das religiöse
Bewußtsein. Die Götter und ihre Geschichte......^ mit ihnen Christus mit sammt der
Madonna und ihren Heiligen verwandelten sich in einen Mythus. Der Geist, der
diesen Mythus gebildet habe, die Menschheit, blieb noch eine etwas unklare Vor¬
stellung , bis gegen das Ende der deutschen Jahrbücher -- der Träger dieser dia-
lectischer Entwickelung -..... Bruno Bauer und seine übrigen Berliner Freunde die
Hegemonie an sich rissen, und der Sache eine bestimmtere Färbung gaben.

Bruno Bauer war Theolog, und hatte als Althegelianer ein kritisches
Donnerwetter gegen den Ketzer Strauß ergehen lassen. Nachher ergab sich, daß
er eigentlich nur noch weiter ging, daß sein Standpunkt ein "freierer" war. Die
Religion wurde aus einem Gedicht des Geistes zu einer Lüge des verrückten Gei¬
stes, deren Erkenntniß die Befreiung des wahren Geistes sei. Der Inhalt des
wahren Geistes, und zwar sein einziger Inhalt, war also die Erkenntniß
seiner überwundenen Verrücktheit: ohne diese überwunden, ohne sie also durchge¬
macht zu haben, konnte man nicht freier Geist sein (daher konnten z. B. die Ju¬
den, welche die vollkommenste Verrücktheit des Geistes, das Christenthum, nicht
durchgemacht hatten, nicht selig und nicht emancipirt werden); das einzige Me¬
dium des freien Geistes war die Kritik, d. h. der methodische Beweis, daß alle
Erscheinungen des Geistes eine Krankheit seien und der einzig wahre Mensch der
Kritiker, der dies erkennt, d. h. Bruno Bauer. Allah ist groß und Bauer sein
Prophet!

Der Prophet ist nichts ohne Gläubige. So fand Bauer seine Schule, zu¬
nächst sein Bruder, der Typus des Berliner Gamins, der die salbungsreichen
Elegien seines Bruders über die Nichtswürdigkeit des menschlichen Geistes in die
Eckenstehersprache übersetzte und sie dadurch popularisirte, und ein Chorus, der
bei jeder neuen Entdeckung seines Propheten, die wieder eine neue Niederträchtigkeit
der Religion, oder des Rechts, oder des Staats, oder der Wissenschaft heraus¬
stellte -- denn alles das wurde ein Gedicht, d. h. eine Lüge des Geistes, und
ein inhaltloser Stoff der Kritik -- in ein staunendes Ach! Ach! aussprach, sich
dreimal vor dem großen Muhamed neigte und tiefsinnig ein neues Seidel Bier
dazu trank -- denn die angemessene Fortentwickelung der absoluten Kritik ward
aus dem Schreibpult in die Bierstube verlegt.

Die Schule wies den Liberalen nach, daß sie halb und daher unwahr wären;
^ sollten noch den Staat, sie sprachen noch vom Recht, da eben der Staat und
^ Necht die absolute Erscheinung der menschlichen Verrücktheit seien. Das wahre
Recht ^ Willkür, die einzig richtige Staatsform die Anarchie. Bauer pro-
klanm-te die Gesinnungslosigkeit als das wesentliche Postulat der Freiheit, als
das einzige Kriterium der Kritik; er sang mit Robert dem Teufel: Pass! die
Welt ist eine Chimäre.


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wenn man will, ein Spiel des Geistes. Da damals die kirchliche Reaction viel zu
schaffen machte, so warf man seine kritische Thätigkeit vorzüglich auf das religiöse
Bewußtsein. Die Götter und ihre Geschichte......^ mit ihnen Christus mit sammt der
Madonna und ihren Heiligen verwandelten sich in einen Mythus. Der Geist, der
diesen Mythus gebildet habe, die Menschheit, blieb noch eine etwas unklare Vor¬
stellung , bis gegen das Ende der deutschen Jahrbücher — der Träger dieser dia-
lectischer Entwickelung -..... Bruno Bauer und seine übrigen Berliner Freunde die
Hegemonie an sich rissen, und der Sache eine bestimmtere Färbung gaben.

Bruno Bauer war Theolog, und hatte als Althegelianer ein kritisches
Donnerwetter gegen den Ketzer Strauß ergehen lassen. Nachher ergab sich, daß
er eigentlich nur noch weiter ging, daß sein Standpunkt ein „freierer" war. Die
Religion wurde aus einem Gedicht des Geistes zu einer Lüge des verrückten Gei¬
stes, deren Erkenntniß die Befreiung des wahren Geistes sei. Der Inhalt des
wahren Geistes, und zwar sein einziger Inhalt, war also die Erkenntniß
seiner überwundenen Verrücktheit: ohne diese überwunden, ohne sie also durchge¬
macht zu haben, konnte man nicht freier Geist sein (daher konnten z. B. die Ju¬
den, welche die vollkommenste Verrücktheit des Geistes, das Christenthum, nicht
durchgemacht hatten, nicht selig und nicht emancipirt werden); das einzige Me¬
dium des freien Geistes war die Kritik, d. h. der methodische Beweis, daß alle
Erscheinungen des Geistes eine Krankheit seien und der einzig wahre Mensch der
Kritiker, der dies erkennt, d. h. Bruno Bauer. Allah ist groß und Bauer sein
Prophet!

Der Prophet ist nichts ohne Gläubige. So fand Bauer seine Schule, zu¬
nächst sein Bruder, der Typus des Berliner Gamins, der die salbungsreichen
Elegien seines Bruders über die Nichtswürdigkeit des menschlichen Geistes in die
Eckenstehersprache übersetzte und sie dadurch popularisirte, und ein Chorus, der
bei jeder neuen Entdeckung seines Propheten, die wieder eine neue Niederträchtigkeit
der Religion, oder des Rechts, oder des Staats, oder der Wissenschaft heraus¬
stellte — denn alles das wurde ein Gedicht, d. h. eine Lüge des Geistes, und
ein inhaltloser Stoff der Kritik — in ein staunendes Ach! Ach! aussprach, sich
dreimal vor dem großen Muhamed neigte und tiefsinnig ein neues Seidel Bier
dazu trank — denn die angemessene Fortentwickelung der absoluten Kritik ward
aus dem Schreibpult in die Bierstube verlegt.

Die Schule wies den Liberalen nach, daß sie halb und daher unwahr wären;
^ sollten noch den Staat, sie sprachen noch vom Recht, da eben der Staat und
^ Necht die absolute Erscheinung der menschlichen Verrücktheit seien. Das wahre
Recht ^ Willkür, die einzig richtige Staatsform die Anarchie. Bauer pro-
klanm-te die Gesinnungslosigkeit als das wesentliche Postulat der Freiheit, als
das einzige Kriterium der Kritik; er sang mit Robert dem Teufel: Pass! die
Welt ist eine Chimäre.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/31>, abgerufen am 22.07.2024.