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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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sich bemüht zu zeigen , daß auch die Demokratie auf der breitesten Grundlage mit
dem alten wiener Gemüth sich vertragen kann. Thury, die erste Lorstadt an der
Linie, hat die Guirlanden und Ehrenpforten um seiner selbst willen nöthig, es ist
die ärmlichste Region der Kaiserstadt; aber auch in vornehmeren Stadtheilen wer¬
den sie nützlich sein, um die beleidigenden Maueranschläge zu verdecken, welche die
politische Gassenjugend angeklebt hat.

Vivat hoch! schrie es um mich. --- Tausendfaches Echo. -- Ja, schauen Sö,
sagte ein Arbeiter hinter mir zu seinem Nachbar. S'geht mir Nix über'n Kaiser.
Wann ich ihn nur seh', is Alles wieder gut. Aber das Verflixte ist, daß er die
Komrill (Camarilla) wieder mitbringt; dö schwarzgelbe Zeisige, do könnten mer
g'stohlen werden. So'n Hund von Spitzt, wann ihn derwisch! Wie der Monte-
cuculi zum Exempel, den hat der Kuckuck ah noch nit g'holt, den Minister Haben's
brav intcrpolirt, aber der sagt, er weiß von Nix und da muß mer's Maul hal¬
ten. -- Besser, die Komrill ist hier, antwortete der Nachbar mit einem schlauen
Seitenblick, wie im Jnnsprucker Schlupfloch; hier kann mer ihnen doch auf d'
Finger klopfen, wann's sich schlecht aufführen. Wovor ist denn der Sicherheits¬
ausschuß? Daß er uns sicher stellt und den Kaiser vor die Spitzbuben ihre Ver¬
führungen dhut', -- die Studenten sein ja ah noch nit todt. -- Und wir ah nit!

Durch ein paar Seitengäßchen entkam ich aus dem Gedränge auf das Glacis.
Hier geriet!) ich unter einige Bekannte in Sturmhut und mit dem Säbel an der
Seite. Sie haben keinen Begriff, welche scharfe Witterung manche junge Herrn
für die Fährte aller Aristokraten und Volksfeinde besitzen. Jeder Strohhalm, den
der Wind umdreht, bedeutet Reaction. Der Eine behauptete allen Ernstes, wir
Deutschen seien Schuld an den Rückschritten und der Militärherrschaft in Frank¬
reich, denn weil wir nicht dem Beispiel der Franzosen brüderlich gefolgt und Re¬
publik gemacht haben, sei das edle Volk über'in Rhein allein gestanden, die retro-
graden Philister hätten dadurch Muth bekommen und durch verdächtige Maßregeln
den unglückseligen Juniaufstand hervorgerufen. -- Ach, wohin man sieht, überall
lauert die schwarze Reaction, rief ein Anderer. England ist leider mit den Js¬
ländern fertig geworden und kann jetzt auf dem Festlande gegen die Republik con-
spiriren, Preußen wird nächstens die Nationalversammlung Mores lehren, denn
das ist doch klar wie's Sonnenlicht, daß der schwarzweiße König es mit Rußland
hält. -- Posen ist Beweis dafür. -- Und was in London gesponnen wird, wo Metter-
nich, Guizot und Louis Philipp ungestört zusammensitzen, davon spricht die Wiener
Zeitung auch nicht. Es fehlt nur noch, daß Radetzky mit seiner Armee zurückkommt,
so spazieren wir alle auf den Spielberg. -- Warum nicht gar? der Kaiser ist
unsere Geisel! Jetzt soll er uns nicht mehr so leicht wieder entführt werden. --

Entgegengesetzte Ansichten hörte ich des Abends in einem Salon aussprechen.
Die Anwesenheit des Kaisers wird den Wühlern einen ihrer gefährlichsten Vor¬
wände nehmen, einen Theil des Adels zurückführen, den Bürgern Verdienst oder


sich bemüht zu zeigen , daß auch die Demokratie auf der breitesten Grundlage mit
dem alten wiener Gemüth sich vertragen kann. Thury, die erste Lorstadt an der
Linie, hat die Guirlanden und Ehrenpforten um seiner selbst willen nöthig, es ist
die ärmlichste Region der Kaiserstadt; aber auch in vornehmeren Stadtheilen wer¬
den sie nützlich sein, um die beleidigenden Maueranschläge zu verdecken, welche die
politische Gassenjugend angeklebt hat.

Vivat hoch! schrie es um mich. -— Tausendfaches Echo. — Ja, schauen Sö,
sagte ein Arbeiter hinter mir zu seinem Nachbar. S'geht mir Nix über'n Kaiser.
Wann ich ihn nur seh', is Alles wieder gut. Aber das Verflixte ist, daß er die
Komrill (Camarilla) wieder mitbringt; dö schwarzgelbe Zeisige, do könnten mer
g'stohlen werden. So'n Hund von Spitzt, wann ihn derwisch! Wie der Monte-
cuculi zum Exempel, den hat der Kuckuck ah noch nit g'holt, den Minister Haben's
brav intcrpolirt, aber der sagt, er weiß von Nix und da muß mer's Maul hal¬
ten. — Besser, die Komrill ist hier, antwortete der Nachbar mit einem schlauen
Seitenblick, wie im Jnnsprucker Schlupfloch; hier kann mer ihnen doch auf d'
Finger klopfen, wann's sich schlecht aufführen. Wovor ist denn der Sicherheits¬
ausschuß? Daß er uns sicher stellt und den Kaiser vor die Spitzbuben ihre Ver¬
führungen dhut', — die Studenten sein ja ah noch nit todt. — Und wir ah nit!

Durch ein paar Seitengäßchen entkam ich aus dem Gedränge auf das Glacis.
Hier geriet!) ich unter einige Bekannte in Sturmhut und mit dem Säbel an der
Seite. Sie haben keinen Begriff, welche scharfe Witterung manche junge Herrn
für die Fährte aller Aristokraten und Volksfeinde besitzen. Jeder Strohhalm, den
der Wind umdreht, bedeutet Reaction. Der Eine behauptete allen Ernstes, wir
Deutschen seien Schuld an den Rückschritten und der Militärherrschaft in Frank¬
reich, denn weil wir nicht dem Beispiel der Franzosen brüderlich gefolgt und Re¬
publik gemacht haben, sei das edle Volk über'in Rhein allein gestanden, die retro-
graden Philister hätten dadurch Muth bekommen und durch verdächtige Maßregeln
den unglückseligen Juniaufstand hervorgerufen. — Ach, wohin man sieht, überall
lauert die schwarze Reaction, rief ein Anderer. England ist leider mit den Js¬
ländern fertig geworden und kann jetzt auf dem Festlande gegen die Republik con-
spiriren, Preußen wird nächstens die Nationalversammlung Mores lehren, denn
das ist doch klar wie's Sonnenlicht, daß der schwarzweiße König es mit Rußland
hält. — Posen ist Beweis dafür. — Und was in London gesponnen wird, wo Metter-
nich, Guizot und Louis Philipp ungestört zusammensitzen, davon spricht die Wiener
Zeitung auch nicht. Es fehlt nur noch, daß Radetzky mit seiner Armee zurückkommt,
so spazieren wir alle auf den Spielberg. — Warum nicht gar? der Kaiser ist
unsere Geisel! Jetzt soll er uns nicht mehr so leicht wieder entführt werden. —

Entgegengesetzte Ansichten hörte ich des Abends in einem Salon aussprechen.
Die Anwesenheit des Kaisers wird den Wühlern einen ihrer gefährlichsten Vor¬
wände nehmen, einen Theil des Adels zurückführen, den Bürgern Verdienst oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/298>, abgerufen am 26.06.2024.