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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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muß frei gemacht werden, so fragt es sich nachher: Wie? Die adeligen Grund¬
besitzer können doch eines legitimen Eigenthums -- und "das Eigenthum ist hei¬
lig!" schrieben die Wiener Arbeiter an die Wände -- nicht ohne Entschädigung
entäußert werden. -- Und kann der finanzkranke Staat diese Entschädigung im
Augenblick übernehmen? ....... Endlich hat die Finanzcvmmission vorgeschlagen, eine
unverzinsliche Zwangsanleihe von 200 Millionen in Gestalt von Assignaten zu
erheben; als Hypothek sollen sämmtliche Güter und Stiftungen der Geistlichkeit
verpfändet werden.

Doch lassen wir die Sorgen, die Fragen und die Hypotheken. Der Kaiser
kommt und ich will es nicht machen wie meine Fran Wirthin, das Herz im Leibe
wird mir bei seinem Anblick nicht zu Butter werde". Das Dampfboot lautet ihn
beim Dörfchen Nußdorf. Von da über Heiligcustadt und Döbling nach der Linie
führt ein reizender Weg zwischen Weinbergen, Gärten und Lanbhügeln, in der
Ferne blitzt der Strom, rechts blauen die steirischen Berge, ganz nahe zieht sich
die Kette bis an die Donan, Kahlenberg und Leopoldsberg schatten gemüthlich
aus Dörfchen und Landhäuser nieder, links über der Donan verschwimmt die blaue
Linie der Preßburger Höhen mit den Wolken, vor mir ragt Se. Stephan aus
dem Häusermeer wie ein schlanker Dorn aus einem Steinhaufen. So nimmt es
sich von der Spitze jedes Weinhügcls aus. Oft habe ich diesen Weg gemacht im
thauigen Frühlingsmorgen, rastend auf jeder Höhe, um die frische Bergluft zu
schlürfen und aus dem Rauschen der Bäume und Aehrcnwogeu mir eine schönere
Zukunft für dieses herrliche Land wie von Geisterstimmen prophezeihen zu lassen;
den Börne hatte ich in der Tasche und mitleidig sah ich den behäbigen "Blonden"
von der Seite an, der an mir vorbei nach seinem Bureau in die Stadt schlen¬
derte, das halblange Pfeifenrohr grad vor sich hinhaltend und so maiidarinenhaft
gemüthlich fortdampfend, als könnt es nie anders werden; -- oder des Abends,
wenn der "Heurige" (Most) verzapft wurde und die glücklichen Phäaken, harmlos
lärmend, über Stege und Wege taumelten und saugen: "Wann d' Stern' scheinen
bei der Nacht." Sonntags war diese Gegend voll profaner Wallfahrtsorte und
Stationen. Karpfen in Nußdorf, Krapfen im Krapfenwaldl, Schnitzel in Döbling.
Das war die Zeit vor dem Sündenfall.

Heut hat die Wallfahrt einen anderen Zweck. Halb Wien ist ausgewandert,
seinen Ferdinand zu bewillkommnen, dessen Heimkehr wie ein Sieg des Volkes,
wie ein segenschwangeres politisches Ereigniß gefeiert wird; unabsehbar sind die
Reihen prachtvoller Nationalgardeuniformcn und die Souue blitzt festlich auf ihren
Waffen. Der Kaiser ist sich treuer geblieben als Wien, er hat sich nicht im min¬
desten verändert, sein rothes Gesicht lächelt rechts und links voll Freundlichkeit
und Güte, auch seiue Frau mit dem feinen italienischen Gesicht grüßt recht populär
die unzähligen weißgekleideten Mädchen. Musik, Kränze, Ehrenpforten! Das
hohe Paar muß ganz betäubt werden von dem Rausch dieser Nationalliebc, welche


muß frei gemacht werden, so fragt es sich nachher: Wie? Die adeligen Grund¬
besitzer können doch eines legitimen Eigenthums — und „das Eigenthum ist hei¬
lig!" schrieben die Wiener Arbeiter an die Wände — nicht ohne Entschädigung
entäußert werden. — Und kann der finanzkranke Staat diese Entschädigung im
Augenblick übernehmen? ....... Endlich hat die Finanzcvmmission vorgeschlagen, eine
unverzinsliche Zwangsanleihe von 200 Millionen in Gestalt von Assignaten zu
erheben; als Hypothek sollen sämmtliche Güter und Stiftungen der Geistlichkeit
verpfändet werden.

Doch lassen wir die Sorgen, die Fragen und die Hypotheken. Der Kaiser
kommt und ich will es nicht machen wie meine Fran Wirthin, das Herz im Leibe
wird mir bei seinem Anblick nicht zu Butter werde». Das Dampfboot lautet ihn
beim Dörfchen Nußdorf. Von da über Heiligcustadt und Döbling nach der Linie
führt ein reizender Weg zwischen Weinbergen, Gärten und Lanbhügeln, in der
Ferne blitzt der Strom, rechts blauen die steirischen Berge, ganz nahe zieht sich
die Kette bis an die Donan, Kahlenberg und Leopoldsberg schatten gemüthlich
aus Dörfchen und Landhäuser nieder, links über der Donan verschwimmt die blaue
Linie der Preßburger Höhen mit den Wolken, vor mir ragt Se. Stephan aus
dem Häusermeer wie ein schlanker Dorn aus einem Steinhaufen. So nimmt es
sich von der Spitze jedes Weinhügcls aus. Oft habe ich diesen Weg gemacht im
thauigen Frühlingsmorgen, rastend auf jeder Höhe, um die frische Bergluft zu
schlürfen und aus dem Rauschen der Bäume und Aehrcnwogeu mir eine schönere
Zukunft für dieses herrliche Land wie von Geisterstimmen prophezeihen zu lassen;
den Börne hatte ich in der Tasche und mitleidig sah ich den behäbigen „Blonden"
von der Seite an, der an mir vorbei nach seinem Bureau in die Stadt schlen¬
derte, das halblange Pfeifenrohr grad vor sich hinhaltend und so maiidarinenhaft
gemüthlich fortdampfend, als könnt es nie anders werden; — oder des Abends,
wenn der „Heurige" (Most) verzapft wurde und die glücklichen Phäaken, harmlos
lärmend, über Stege und Wege taumelten und saugen: „Wann d' Stern' scheinen
bei der Nacht." Sonntags war diese Gegend voll profaner Wallfahrtsorte und
Stationen. Karpfen in Nußdorf, Krapfen im Krapfenwaldl, Schnitzel in Döbling.
Das war die Zeit vor dem Sündenfall.

Heut hat die Wallfahrt einen anderen Zweck. Halb Wien ist ausgewandert,
seinen Ferdinand zu bewillkommnen, dessen Heimkehr wie ein Sieg des Volkes,
wie ein segenschwangeres politisches Ereigniß gefeiert wird; unabsehbar sind die
Reihen prachtvoller Nationalgardeuniformcn und die Souue blitzt festlich auf ihren
Waffen. Der Kaiser ist sich treuer geblieben als Wien, er hat sich nicht im min¬
desten verändert, sein rothes Gesicht lächelt rechts und links voll Freundlichkeit
und Güte, auch seiue Frau mit dem feinen italienischen Gesicht grüßt recht populär
die unzähligen weißgekleideten Mädchen. Musik, Kränze, Ehrenpforten! Das
hohe Paar muß ganz betäubt werden von dem Rausch dieser Nationalliebc, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/297>, abgerufen am 26.06.2024.