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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Maßregeln u. s. w. verlangten, wie gegen ein trojanisches Pferd. Wen" sich die
Nachricht verbreitete, Windischgrätz oder Montecuculi sei in Begleitung zweier
Büchsenspanner ans dem Bahnhof angekommen, so weiß ich nicht, ob die Bramar¬
basse nicht den Ruf nach Barrikaden erheben und das Ministerium! interpellircn
lassen würden.

Ja, wir haben die Glacehandschuhe ausgezogen. Daran mahnte mich mehr¬
mals ein heiserer Ruf, welchen sonst die Kehlen des gutmüthigen Wiener Volkes
schwerlich herausgebracht hätten. Jüngst gerieth ich in einem Durchhaus, in der
Nähe der Tuchlauben, in ein Gedränge wntherhitztcr Menschen. Was war's?
In einer Art Hnndekäfig ward ein arrctirter ehemaliger "Spitzel" auf die Wache
geschleppt, die erbärmliche Creatur saß kreideweiß und furchtsam zusammengekauert
in dem schimpflichen Kasten und erregte mehr Verachtung, mit Mitleid gemischt,
als Haß. Ist doch die Zeit der Spitzel vorbei und wer wird sich an dem mise¬
rablen ohnmächtigen Werkzeug einer gestürzten Macht rächen wollen! Aber "auf¬
hängen! aufhängen!" brüllte, kreischte und schrillte es aus hundert und aber hun¬
dert Kehlen und die Nationalgarde hatte Mühe, mit ihren blanken Säbeln das
Publikum abzuhalten. Selbst im Sicherheitsausschuß, von dessen Zuhörern mehr
Verstand zu erwarte" wäre, schrie man einmal: "aushängen! aufhängen!", als der
Mitarbeiter eines reactionären Blattes*), auf die Vorladung der VvlkSbchördc,
erschien, um sich wegen eines cvutrerevolutionären Artikels zu vertheidigen. Der
Angeklagte blieb mit unverschämter Ruhe aus der Tribune stehen und rief: Nun
ja, so macht doch Anstalten! Es versteht sich, daß er nicht den leisesten Kitzel
am Halse fühlte; das Geschrei war eben nnr komisch, denn der Sicherheitsaus-
schuß hat sich noch nicht so weit verstiegen, um ein Urtheil über Leben und Tod
fällen zu wollen. Nach einer andern Version -- ich war bei dem Vorfall nicht
selbst gegenwärtig -- wurde der Schuldige sogar frech genug, um zu rufen:
Wenn Christus von deu Juden gekreuzigt worden ist, warum sollte Unsereins
nicht von den Juden aufgehängt werden?

Wie es bis jetzt auf dem Wiener Reichstag zuging, erzählt der getreue Be¬
richt in der Wiener Zeitung. Endlose Verhandlungen über die Geschäftsordnung,
nachdrucksvollcs Schweige" der ostslavischen Deputirte", die indeß nicht so dumm
sind als sie aussehen -- und sie sehen nicht einmal alle vernagelt aus -- darauf
Finanz- und Robothdebatteu. Maugel an Gründlichkeit kann uns Norddeutschland
nicht vorwerfen. Denken Sie nur, daß ein Antrag Kudlich's auf Aufhebung der
Unterthansverhältnisse bereits vou sechzig Amendements glücklich übersponnen ist.
Die Sache hat freilich ihre Haken, denn wenn auch Alles in der Verurtheilung
der Roboth und für ihre Abschaffung einig ist, wenn auch Jeder ruft: der Bauer



") Der Herausgeber ist Ebersberg, ein Kindcrschriftsteller. Sein "Zuschauer" war seit
vielen Jahren ein Organ für die Gymnasiasten der Monarchie.

Maßregeln u. s. w. verlangten, wie gegen ein trojanisches Pferd. Wen» sich die
Nachricht verbreitete, Windischgrätz oder Montecuculi sei in Begleitung zweier
Büchsenspanner ans dem Bahnhof angekommen, so weiß ich nicht, ob die Bramar¬
basse nicht den Ruf nach Barrikaden erheben und das Ministerium! interpellircn
lassen würden.

Ja, wir haben die Glacehandschuhe ausgezogen. Daran mahnte mich mehr¬
mals ein heiserer Ruf, welchen sonst die Kehlen des gutmüthigen Wiener Volkes
schwerlich herausgebracht hätten. Jüngst gerieth ich in einem Durchhaus, in der
Nähe der Tuchlauben, in ein Gedränge wntherhitztcr Menschen. Was war's?
In einer Art Hnndekäfig ward ein arrctirter ehemaliger „Spitzel" auf die Wache
geschleppt, die erbärmliche Creatur saß kreideweiß und furchtsam zusammengekauert
in dem schimpflichen Kasten und erregte mehr Verachtung, mit Mitleid gemischt,
als Haß. Ist doch die Zeit der Spitzel vorbei und wer wird sich an dem mise¬
rablen ohnmächtigen Werkzeug einer gestürzten Macht rächen wollen! Aber „auf¬
hängen! aufhängen!" brüllte, kreischte und schrillte es aus hundert und aber hun¬
dert Kehlen und die Nationalgarde hatte Mühe, mit ihren blanken Säbeln das
Publikum abzuhalten. Selbst im Sicherheitsausschuß, von dessen Zuhörern mehr
Verstand zu erwarte» wäre, schrie man einmal: „aushängen! aufhängen!", als der
Mitarbeiter eines reactionären Blattes*), auf die Vorladung der VvlkSbchördc,
erschien, um sich wegen eines cvutrerevolutionären Artikels zu vertheidigen. Der
Angeklagte blieb mit unverschämter Ruhe aus der Tribune stehen und rief: Nun
ja, so macht doch Anstalten! Es versteht sich, daß er nicht den leisesten Kitzel
am Halse fühlte; das Geschrei war eben nnr komisch, denn der Sicherheitsaus-
schuß hat sich noch nicht so weit verstiegen, um ein Urtheil über Leben und Tod
fällen zu wollen. Nach einer andern Version — ich war bei dem Vorfall nicht
selbst gegenwärtig — wurde der Schuldige sogar frech genug, um zu rufen:
Wenn Christus von deu Juden gekreuzigt worden ist, warum sollte Unsereins
nicht von den Juden aufgehängt werden?

Wie es bis jetzt auf dem Wiener Reichstag zuging, erzählt der getreue Be¬
richt in der Wiener Zeitung. Endlose Verhandlungen über die Geschäftsordnung,
nachdrucksvollcs Schweige» der ostslavischen Deputirte», die indeß nicht so dumm
sind als sie aussehen — und sie sehen nicht einmal alle vernagelt aus — darauf
Finanz- und Robothdebatteu. Maugel an Gründlichkeit kann uns Norddeutschland
nicht vorwerfen. Denken Sie nur, daß ein Antrag Kudlich's auf Aufhebung der
Unterthansverhältnisse bereits vou sechzig Amendements glücklich übersponnen ist.
Die Sache hat freilich ihre Haken, denn wenn auch Alles in der Verurtheilung
der Roboth und für ihre Abschaffung einig ist, wenn auch Jeder ruft: der Bauer



») Der Herausgeber ist Ebersberg, ein Kindcrschriftsteller. Sein „Zuschauer" war seit
vielen Jahren ein Organ für die Gymnasiasten der Monarchie.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/296>, abgerufen am 26.06.2024.