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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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ebur, den ausziehenden Menschenmassen nachzusehen, wischte sich mit der Schurze
die Augenwinkel und sagte: "Na, ich mag's halt gar nit mit ansehn, s'Herz im
Leib müßt mir zergehn wie Butter, wenn ich den guten Ferdnandl sehn that! I
Hab's immer g'sagt, sein Herz is pures Gold, s'is kein falsche Ader dran, aber
dö Schwarzröck, na wart! Do haben ihn was kujonirt! -- Aber wird er sich
freun, wieder in Wäan z'sein! s'is halt doch was anders wie Innspruck, gelt?"

Das weibliche Wien hat sich Gott sei Dank wenig verändert, weder in der
Toilette noch im Gemüth. Höchstens ist in manchen Gebräuchen eine kleine Ab¬
wechselung eingetreten. Sonst bekam der Courmacher zum Namenstag von seiner
Geliebten einen schmelzgestickteu runden Tabacksbeutel, ein seidenes Geldbörschcn
oder eine Brieftasche, jetzt kann er von der liebenswürdigen Patriotin mit einer
Damascenerklinge oder ein Paar niedlichen Terzerolen beschenkt werden, was jeden¬
falls werthvoller ist. Auch Fahnen und Schärpen sind seit einigen Monaten hier
in solcher Masse fabrizirt worden, als wären sie ein Hanpthandelsartikcl. Alles
Männliche dagegen hat sich in der Sturm- und Drangperiode unkenntlich gemacht.
Prag im Slawencongreß hat nicht pittoresker ausgesehen. Die Buben kommen
zwar noch immer nicht bewaffnet auf die Welt, aber durch die Straßen können
Sie Säbel rasseln sehen, an denen kaum emancipirte Schulkinder hängen; mir
fällt jedesmal bei diesem Anblick der arme Fuchs in den "fliegenden Blättern" ein.
Die Bärte wachsen wild, den runden Philisterhut hat der Stürmer oder die
Dienstmütze ersetzt, das "Herr von" ist abgeschafft und die Glacehandschuhe, mit
denen wir zur Bewunderung Europa's die Märzrevolution machten, haben wir
weggeworfen. Ich meine dies in mehr als buchstäblichem Sinn des Wortes. Der
kleinen Presse, gegen die sich nur schüchtern und vereinzelt ernste und satyrische
Stimmen zu erheben wagen (in der "Geißel", im "Schabbeögärtle" ze>), wären
in der That noch die Glacehandschuhe zu wünschen, mit denen sie voreinst an die
Kritik des k. k. Hofburgtheatcrs zu gehen pflegte; denn es ist kein Zeichen von
politischer Tüchtigkeit, wenn man Staatsmänner wie schlechte Komödianten und
nicht wenigstens wie dramatische Künstler behandelt. Die Unwissenheit wäre in die¬
sen untern Regionen verzeihlich, wenn die mildernden Umstände der Bescheiden¬
heit und des Wohlwollens dabei wären: schriftlich und mündlich können Sie die
Nothwendigkeit dcbattircn sehen, aus Dalmatien und Galizien demagogische (statt
demokratische) Königreiche zu machen. Leider verwechselt überall der unflügge oder
unehrliche Radikalismus demagogisches Treiben mit demokratischen Fortschritt. An
dem rechten Heldenmuth unserer revolutionären Jugend machen mich, trotz der Sä¬
bel, Bärte und mangelnden Glacehandschuhe, zuweilen die abgeschmackten Gerüchte
irre, die so leicht ein ganzes Stadtviertel in Bewegung setzen. So sprengte man
unlängst aus. daß unter der Stephanskirche in den Katakomben Soldaten versteckt
seien, um bei Nacht die Stadt zu überfallen und es gab Hunderte, es gab Tau¬
sende von Gläubigen, die sich dadurch in's Bockshorn jagen ließe", Untersuchung,


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ebur, den ausziehenden Menschenmassen nachzusehen, wischte sich mit der Schurze
die Augenwinkel und sagte: „Na, ich mag's halt gar nit mit ansehn, s'Herz im
Leib müßt mir zergehn wie Butter, wenn ich den guten Ferdnandl sehn that! I
Hab's immer g'sagt, sein Herz is pures Gold, s'is kein falsche Ader dran, aber
dö Schwarzröck, na wart! Do haben ihn was kujonirt! — Aber wird er sich
freun, wieder in Wäan z'sein! s'is halt doch was anders wie Innspruck, gelt?"

Das weibliche Wien hat sich Gott sei Dank wenig verändert, weder in der
Toilette noch im Gemüth. Höchstens ist in manchen Gebräuchen eine kleine Ab¬
wechselung eingetreten. Sonst bekam der Courmacher zum Namenstag von seiner
Geliebten einen schmelzgestickteu runden Tabacksbeutel, ein seidenes Geldbörschcn
oder eine Brieftasche, jetzt kann er von der liebenswürdigen Patriotin mit einer
Damascenerklinge oder ein Paar niedlichen Terzerolen beschenkt werden, was jeden¬
falls werthvoller ist. Auch Fahnen und Schärpen sind seit einigen Monaten hier
in solcher Masse fabrizirt worden, als wären sie ein Hanpthandelsartikcl. Alles
Männliche dagegen hat sich in der Sturm- und Drangperiode unkenntlich gemacht.
Prag im Slawencongreß hat nicht pittoresker ausgesehen. Die Buben kommen
zwar noch immer nicht bewaffnet auf die Welt, aber durch die Straßen können
Sie Säbel rasseln sehen, an denen kaum emancipirte Schulkinder hängen; mir
fällt jedesmal bei diesem Anblick der arme Fuchs in den „fliegenden Blättern" ein.
Die Bärte wachsen wild, den runden Philisterhut hat der Stürmer oder die
Dienstmütze ersetzt, das „Herr von" ist abgeschafft und die Glacehandschuhe, mit
denen wir zur Bewunderung Europa's die Märzrevolution machten, haben wir
weggeworfen. Ich meine dies in mehr als buchstäblichem Sinn des Wortes. Der
kleinen Presse, gegen die sich nur schüchtern und vereinzelt ernste und satyrische
Stimmen zu erheben wagen (in der „Geißel", im „Schabbeögärtle" ze>), wären
in der That noch die Glacehandschuhe zu wünschen, mit denen sie voreinst an die
Kritik des k. k. Hofburgtheatcrs zu gehen pflegte; denn es ist kein Zeichen von
politischer Tüchtigkeit, wenn man Staatsmänner wie schlechte Komödianten und
nicht wenigstens wie dramatische Künstler behandelt. Die Unwissenheit wäre in die¬
sen untern Regionen verzeihlich, wenn die mildernden Umstände der Bescheiden¬
heit und des Wohlwollens dabei wären: schriftlich und mündlich können Sie die
Nothwendigkeit dcbattircn sehen, aus Dalmatien und Galizien demagogische (statt
demokratische) Königreiche zu machen. Leider verwechselt überall der unflügge oder
unehrliche Radikalismus demagogisches Treiben mit demokratischen Fortschritt. An
dem rechten Heldenmuth unserer revolutionären Jugend machen mich, trotz der Sä¬
bel, Bärte und mangelnden Glacehandschuhe, zuweilen die abgeschmackten Gerüchte
irre, die so leicht ein ganzes Stadtviertel in Bewegung setzen. So sprengte man
unlängst aus. daß unter der Stephanskirche in den Katakomben Soldaten versteckt
seien, um bei Nacht die Stadt zu überfallen und es gab Hunderte, es gab Tau¬
sende von Gläubigen, die sich dadurch in's Bockshorn jagen ließe», Untersuchung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/295>, abgerufen am 26.06.2024.