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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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lung des Auslandes aus Versöhnlichkeit und Friedensliebe anzunehmen oder aus
Ohnmacht annehmen zu müssen. Bei den Verhandlungen, die jetzt aus der lom¬
bardischen Frage entspringen, wird Deutschland -- die deutsche Centralgewalt --
die erste Vermittlerrolle spielen; denn seine Interessen sind dabei wesentlicher be¬
theiligt als die französischen und englischen, und auf die Unparteilichkeit Deutsch¬
lands gegen das besiegte Mailand kann die Welt sicherer rechnen, als es auf die
Uneigennützigkeit Frankreichs gegen das von ihm befreite Mailand hätte bauen
dürfen.

Daß man in Paris die Kunde von Radetzky's Triumph mit Bestürzung auf¬
nehmen würde, war zu erwarten. An eine bewaffnete Intervention dachte aber
Niemand im Rath der Regierung und die kriegerischste Partei (Thiers) begnügt sich
damit, statt wie Guizot den Frieden "um jeden Preis" auszusprechen, die Mög¬
lichkeit des Kriegs als entfernte Drohung aufzuhängen. Zugleich gestehen die
Einsichtigen, daß es Wahnsinn wäre, mit Waffengewalt etwas herzustellen, was
sich selbst zu vertheidigen weder Macht noch Muth besitzt, was also stets eine Illu¬
sion bleiben müßte. Die Einheit Italiens mag zu den Postulaten des Jahrhun¬
derts gehören, aber die Forderung richtet sich zuerst an die Italiener selbst. Ein
Nationalaufschwung kann nicht von Fremden gemacht werden und alle Sympathien
Europas werden nicht bewirken, daß den Italienern die große neue Aera wie ein
Almosen vom Himmel füllt. Die Einheit Italiens, welche anch mit der Selbststän-
digkeit Mailands noch nicht hergestellt sein wird, bedeutet den Franzosen im Gründe
nur die Verdrängung des östreichischen Einflusses aus Oberitalien; in den antedi
luvianischeu Zeiten hieß sogar die Befreiung Italiens seine Französiruug. Da
jedoch die Italiener zu erkennen gaben, daß sie nicht französisch werden wollen,
diese Metamorphose überdies ihre Schwierigkeiten hätte, so wird sich Frankreich
hüten, noch einmal die Gefahr eines europäischen Krieges gegen sich heraufzube-
schwören. Deshalb beruhigte Mr. Bastide, der Minister des Auswärtigen, die
französische Nationalversammlung durch die Zusage, daß die Regierung sich mit
England in Einvernehmen setzen werde, damit die zwei mächtigsten Nationen
Europas vereint in Italien Frieden stiften. Die Republik, sagt der Moniteur,
wird zeigen, welchen Einfluß sie nach so kurzem Bestände auf die Erhaltung des
europäischen Friedens wieder auszuüben berufen sei.

So das officielle Frankreich. So spricht die Regierung Cavaignac und es ist
gut, daß sie fest zu stehen scheint, sonst müßten wir die Wuthapostrophen der re¬
volutionären Partei in Paris für mehr halten als sie sind: für mehr als das alte
Papageienlied einer schmählich iguvrantcn Factiou, die mit plumper Heuchelei
jede auswärtige Verwicklung nur als Mauerbrecher gegen die bestehende Regierung
benutzen will'. Radetzky's Sieg ist dieser Sekte gleichbedeutend mit dem Triumph
einer mehr als russischen Tyrannei; der Himmel hat sich verfinstert, die Sonne ist
ausgelöscht, die Menschheit ist dem Untergang nahe und die Kosackenpserde'recken


lung des Auslandes aus Versöhnlichkeit und Friedensliebe anzunehmen oder aus
Ohnmacht annehmen zu müssen. Bei den Verhandlungen, die jetzt aus der lom¬
bardischen Frage entspringen, wird Deutschland — die deutsche Centralgewalt —
die erste Vermittlerrolle spielen; denn seine Interessen sind dabei wesentlicher be¬
theiligt als die französischen und englischen, und auf die Unparteilichkeit Deutsch¬
lands gegen das besiegte Mailand kann die Welt sicherer rechnen, als es auf die
Uneigennützigkeit Frankreichs gegen das von ihm befreite Mailand hätte bauen
dürfen.

Daß man in Paris die Kunde von Radetzky's Triumph mit Bestürzung auf¬
nehmen würde, war zu erwarten. An eine bewaffnete Intervention dachte aber
Niemand im Rath der Regierung und die kriegerischste Partei (Thiers) begnügt sich
damit, statt wie Guizot den Frieden „um jeden Preis" auszusprechen, die Mög¬
lichkeit des Kriegs als entfernte Drohung aufzuhängen. Zugleich gestehen die
Einsichtigen, daß es Wahnsinn wäre, mit Waffengewalt etwas herzustellen, was
sich selbst zu vertheidigen weder Macht noch Muth besitzt, was also stets eine Illu¬
sion bleiben müßte. Die Einheit Italiens mag zu den Postulaten des Jahrhun¬
derts gehören, aber die Forderung richtet sich zuerst an die Italiener selbst. Ein
Nationalaufschwung kann nicht von Fremden gemacht werden und alle Sympathien
Europas werden nicht bewirken, daß den Italienern die große neue Aera wie ein
Almosen vom Himmel füllt. Die Einheit Italiens, welche anch mit der Selbststän-
digkeit Mailands noch nicht hergestellt sein wird, bedeutet den Franzosen im Gründe
nur die Verdrängung des östreichischen Einflusses aus Oberitalien; in den antedi
luvianischeu Zeiten hieß sogar die Befreiung Italiens seine Französiruug. Da
jedoch die Italiener zu erkennen gaben, daß sie nicht französisch werden wollen,
diese Metamorphose überdies ihre Schwierigkeiten hätte, so wird sich Frankreich
hüten, noch einmal die Gefahr eines europäischen Krieges gegen sich heraufzube-
schwören. Deshalb beruhigte Mr. Bastide, der Minister des Auswärtigen, die
französische Nationalversammlung durch die Zusage, daß die Regierung sich mit
England in Einvernehmen setzen werde, damit die zwei mächtigsten Nationen
Europas vereint in Italien Frieden stiften. Die Republik, sagt der Moniteur,
wird zeigen, welchen Einfluß sie nach so kurzem Bestände auf die Erhaltung des
europäischen Friedens wieder auszuüben berufen sei.

So das officielle Frankreich. So spricht die Regierung Cavaignac und es ist
gut, daß sie fest zu stehen scheint, sonst müßten wir die Wuthapostrophen der re¬
volutionären Partei in Paris für mehr halten als sie sind: für mehr als das alte
Papageienlied einer schmählich iguvrantcn Factiou, die mit plumper Heuchelei
jede auswärtige Verwicklung nur als Mauerbrecher gegen die bestehende Regierung
benutzen will'. Radetzky's Sieg ist dieser Sekte gleichbedeutend mit dem Triumph
einer mehr als russischen Tyrannei; der Himmel hat sich verfinstert, die Sonne ist
ausgelöscht, die Menschheit ist dem Untergang nahe und die Kosackenpserde'recken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/292>, abgerufen am 26.06.2024.