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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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ßer wurde eine Art von Braminenstaat, das Licht ergoß sich schrittweise von dem
Mittelpunkt zunächst in die courfähigeu Kreise, und dann sofort; der äußerste Um¬
kreis fing nur wenig spärliche Strahlen auf. Unter der vorigen Regierung war die
romantisch-mittelalterliche Schule, die königlicher war als der König, in der Oppo¬
sition; das Berliner politische Wochenblatt mit seinen reactionairen Tendenzen war
eigentlich gegen Preußen, und der geistreiche Jesuit der es gründete, HerrJarcke,
that wohl, bald zu Metternich auszuwandern. Bald nach der Thronbesteigung
des neuen Königs erklärte das Journal, es habe seinen Zweck erreicht, und höre
darum auf. Das Catheder wurde zum Präsidentcnstuhl.

Nun wurde der ganze Staat geistreich. Das Ballet -- bisher die einzige
Erholung der militärischen Bureaukratie -- wurde eingeschränkt, denn die bloße
Sinnlichkeit konnte in dem romantischen Staat nicht mehr gelten; der Bund der
Tänzerinnen und der Legitimität hörte ans. Dagegen umgab sich der Hof mit
den Koryphäe" der Literaten, mit Altdeutschen, Naturphilosophen, waldursprüng¬
lichen Liederdichtern; die Literatur wurde Luxus der absoluten Monarchie.

Es sah in Berlin aus wie in der Zeit der Ptolemäer zu Alexandrien: eine
Menagerie fremder, seltsamer Vögel in dem heiligen Haine der Akademie. Wenn
Tieck mit Herrn v. Humboldt Arm in Arm der Majestät aufwartete, muß er sich
lebhaft an seine eigene Dichtung von Leander und Hanswurst erinnert haben.
Die Garde und das ganze Militair wurde mittelalterlich natioualistrt, die Pro¬
fessoren in Talare eingekleidet. Die lichtfreundliche Bewegung entstand eigentlich
aus dem Ceremoniell; die Kirche protestirte gegen das Ablesen von legitimen
Formeln.

Und was wurden für Reden gehalten, was für Witze gemacht! -- Die Re¬
den zeichneten sich durch ein anempfnndenes Feuer, durch jene Spiritusgluth aus,
die mehr blendet als zündet; dicht neben einem nunwtivirten Gefnhlsaufschwung,
überraschte ein Witz, gleich darauf eine Schnlreminisceuz. Den Gelfeimräthen
wurde es etwas unheimlich in dieser Fülle an Geist, sie gingen in die Kirche, sie
blätterten in alten Heften, aber die neue Tracht wollte ihnen nicht scheinen. Man trö¬
stete sich mit der gesinnungsvollen Opposition, welche der König liebe, und gerade
in den höchsten Kreisen der Bureaukratie liebte man es, weit über die Republik
und den Communismus hinaus zu sein.

S chelliug, der Prophet aus München nach Berlin berufen, verkündete das
Aufgehen einer neuen Zeit. Er trug alljährlich eine Philosophie der Offenbarung
vor, in sehr seltsamen und unbegreiflichen Ausdrücken, und unterstützte sie durch
zahlreiche Anekdoten. Der poetische Geist, der diese unvermittelter Einfälle und
Bemerkungen früher in einem Kaleidvscop nicht eben in ein System, aber doch in eine
zierliche Gruppirung vereinigt hatte, war alt geworden; das scholastische Formel¬
wesen und das Apercu wurden ziemlich gedankenlos ineinandergeschüttclt. Aber
äußerlich wurde die Naturphilosophie legitimirt; in einer Heirath wurde ihre


ßer wurde eine Art von Braminenstaat, das Licht ergoß sich schrittweise von dem
Mittelpunkt zunächst in die courfähigeu Kreise, und dann sofort; der äußerste Um¬
kreis fing nur wenig spärliche Strahlen auf. Unter der vorigen Regierung war die
romantisch-mittelalterliche Schule, die königlicher war als der König, in der Oppo¬
sition; das Berliner politische Wochenblatt mit seinen reactionairen Tendenzen war
eigentlich gegen Preußen, und der geistreiche Jesuit der es gründete, HerrJarcke,
that wohl, bald zu Metternich auszuwandern. Bald nach der Thronbesteigung
des neuen Königs erklärte das Journal, es habe seinen Zweck erreicht, und höre
darum auf. Das Catheder wurde zum Präsidentcnstuhl.

Nun wurde der ganze Staat geistreich. Das Ballet — bisher die einzige
Erholung der militärischen Bureaukratie — wurde eingeschränkt, denn die bloße
Sinnlichkeit konnte in dem romantischen Staat nicht mehr gelten; der Bund der
Tänzerinnen und der Legitimität hörte ans. Dagegen umgab sich der Hof mit
den Koryphäe» der Literaten, mit Altdeutschen, Naturphilosophen, waldursprüng¬
lichen Liederdichtern; die Literatur wurde Luxus der absoluten Monarchie.

Es sah in Berlin aus wie in der Zeit der Ptolemäer zu Alexandrien: eine
Menagerie fremder, seltsamer Vögel in dem heiligen Haine der Akademie. Wenn
Tieck mit Herrn v. Humboldt Arm in Arm der Majestät aufwartete, muß er sich
lebhaft an seine eigene Dichtung von Leander und Hanswurst erinnert haben.
Die Garde und das ganze Militair wurde mittelalterlich natioualistrt, die Pro¬
fessoren in Talare eingekleidet. Die lichtfreundliche Bewegung entstand eigentlich
aus dem Ceremoniell; die Kirche protestirte gegen das Ablesen von legitimen
Formeln.

Und was wurden für Reden gehalten, was für Witze gemacht! — Die Re¬
den zeichneten sich durch ein anempfnndenes Feuer, durch jene Spiritusgluth aus,
die mehr blendet als zündet; dicht neben einem nunwtivirten Gefnhlsaufschwung,
überraschte ein Witz, gleich darauf eine Schnlreminisceuz. Den Gelfeimräthen
wurde es etwas unheimlich in dieser Fülle an Geist, sie gingen in die Kirche, sie
blätterten in alten Heften, aber die neue Tracht wollte ihnen nicht scheinen. Man trö¬
stete sich mit der gesinnungsvollen Opposition, welche der König liebe, und gerade
in den höchsten Kreisen der Bureaukratie liebte man es, weit über die Republik
und den Communismus hinaus zu sein.

S chelliug, der Prophet aus München nach Berlin berufen, verkündete das
Aufgehen einer neuen Zeit. Er trug alljährlich eine Philosophie der Offenbarung
vor, in sehr seltsamen und unbegreiflichen Ausdrücken, und unterstützte sie durch
zahlreiche Anekdoten. Der poetische Geist, der diese unvermittelter Einfälle und
Bemerkungen früher in einem Kaleidvscop nicht eben in ein System, aber doch in eine
zierliche Gruppirung vereinigt hatte, war alt geworden; das scholastische Formel¬
wesen und das Apercu wurden ziemlich gedankenlos ineinandergeschüttclt. Aber
äußerlich wurde die Naturphilosophie legitimirt; in einer Heirath wurde ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/28>, abgerufen am 26.06.2024.