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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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denn mit fast allgemeiner Genugthuung wird heute ein Ereigniß aufgenommen,
welches vor drei Monaten den meisten Liberalen ein schlimmes Kopfweh verursacht
hätte. Oestreich hatte nämlich durch die Friedensbedingungen, die es den Mai¬
ländern stellte, den Standpunkt der lombardischen Frage schon vor längerer Zeit
glücklich verrückt und aus einem Feldzug, der anfangs wie ein gehässiger Unter-
jochungskrieg aussah, einen Prozeß um sein gutes Recht gemacht. Von jenem
Augenblick an neigten sich die Sympathien aller billig Denkenden auf die Seite
Oestreichs. Seid frei, aber bezahlt euere Schulden! dachte man, und daß Oest¬
reich auf bedeutende Geldentschädigungen von Seiten der Lombarden Anspruch hat,
konnte Niemand läugnen. Oder steht im Codex der neuen Zeit geschrieben, daß
mau mit der Negierung einer freien Nation um keinen Preis Krieg führen
dürfe? England oder Amerika wird seine mon ot vur ganz unsentimental vor den
Häfen Frankreichs, Griechenlands, Spaniens oder Deutschlands spielen lassen, so¬
bald die materiellen Interessen seiner Bürger auswärts gekränkt werden, auch
Frankreich ist in solchen Fällen mit seinen "heiligen Bayonctten" schnell bei der
Hand und nur Kinderseelen werden Frankreich, England oder Amerika darob in
die Acht thun wollen.

Die Lombarden aber sind Kinder, recht unverständige Schreihälse von Kindern
gewesen und selber Schuld an der Kriegsruthe, welche sie jetzt so empfindlich ge¬
troffen hat. Berauscht von den ersten Erfolgen, die ein stammverwandtes Heer
für sie gewonnen, Wunder erwartend von dem bloßen Zauberwort: Italia, und
den Sympathien der "Barbaren" für die Sache der Freiheit, antworteten sie auf
die östreichischen Friedensbedingungen mit den übermüthigsten Forderungen. Sie
wollten Wälschtyrol bis auf den Brenner als Schmerzengeld für ihre bisherige
Unterdrückung, als Geschenk zum Geburtstag ihrer wiedererwachten Nationalität,
und im Namen des einigen Italiens weigerten sie sich, nur einen Kreuzer der
Staatsschuld, welch" Oestreich auch um ihretwillen sich aufgebürdet hatte, zu über¬
nehmen. Wir behalten, was wir haben, unsere neuen Eisenbahnen, Kanäle u. s. w.
Die östreichischen Actionäre aber, mit deren Silber bei uns gebaut wurde, mögen
im Namen der glorreichen italienischen Einheit bankrott werden. Das Kaiserthum
ist aus den Fugen, wir geben ihm hoffentlich den letzten Stoß und illuminiren
dann die Appeninen bis nach der Südspitze Ealabriens. Ganz Europa wird bei
diesem Freudenfeuer aufjauchzen und unser Name wird unsterblich sein in der
Geschichte! --

Karl Albert jedoch, das glänzende Schwert Italiens, ward bei diesem über¬
müthigen Entschluß der provisorischen Mailänder Regierung etwas trüb angelaufen,
wie von eiuer bösen Ahnung. Man weiß, daß er seinen Unwillen über dies trun¬
kene Uebernehmer der schwächlichen Nation, die sich von ihm erobern lassen wollte,
unverhohlen aussprach. Seine Lage war nach zwei Seiten hin eine unheimliche.
Als feiner Politiker und talentvoller Kriegsmann konnte er sich über das Geschick


denn mit fast allgemeiner Genugthuung wird heute ein Ereigniß aufgenommen,
welches vor drei Monaten den meisten Liberalen ein schlimmes Kopfweh verursacht
hätte. Oestreich hatte nämlich durch die Friedensbedingungen, die es den Mai¬
ländern stellte, den Standpunkt der lombardischen Frage schon vor längerer Zeit
glücklich verrückt und aus einem Feldzug, der anfangs wie ein gehässiger Unter-
jochungskrieg aussah, einen Prozeß um sein gutes Recht gemacht. Von jenem
Augenblick an neigten sich die Sympathien aller billig Denkenden auf die Seite
Oestreichs. Seid frei, aber bezahlt euere Schulden! dachte man, und daß Oest¬
reich auf bedeutende Geldentschädigungen von Seiten der Lombarden Anspruch hat,
konnte Niemand läugnen. Oder steht im Codex der neuen Zeit geschrieben, daß
mau mit der Negierung einer freien Nation um keinen Preis Krieg führen
dürfe? England oder Amerika wird seine mon ot vur ganz unsentimental vor den
Häfen Frankreichs, Griechenlands, Spaniens oder Deutschlands spielen lassen, so¬
bald die materiellen Interessen seiner Bürger auswärts gekränkt werden, auch
Frankreich ist in solchen Fällen mit seinen „heiligen Bayonctten" schnell bei der
Hand und nur Kinderseelen werden Frankreich, England oder Amerika darob in
die Acht thun wollen.

Die Lombarden aber sind Kinder, recht unverständige Schreihälse von Kindern
gewesen und selber Schuld an der Kriegsruthe, welche sie jetzt so empfindlich ge¬
troffen hat. Berauscht von den ersten Erfolgen, die ein stammverwandtes Heer
für sie gewonnen, Wunder erwartend von dem bloßen Zauberwort: Italia, und
den Sympathien der „Barbaren" für die Sache der Freiheit, antworteten sie auf
die östreichischen Friedensbedingungen mit den übermüthigsten Forderungen. Sie
wollten Wälschtyrol bis auf den Brenner als Schmerzengeld für ihre bisherige
Unterdrückung, als Geschenk zum Geburtstag ihrer wiedererwachten Nationalität,
und im Namen des einigen Italiens weigerten sie sich, nur einen Kreuzer der
Staatsschuld, welch" Oestreich auch um ihretwillen sich aufgebürdet hatte, zu über¬
nehmen. Wir behalten, was wir haben, unsere neuen Eisenbahnen, Kanäle u. s. w.
Die östreichischen Actionäre aber, mit deren Silber bei uns gebaut wurde, mögen
im Namen der glorreichen italienischen Einheit bankrott werden. Das Kaiserthum
ist aus den Fugen, wir geben ihm hoffentlich den letzten Stoß und illuminiren
dann die Appeninen bis nach der Südspitze Ealabriens. Ganz Europa wird bei
diesem Freudenfeuer aufjauchzen und unser Name wird unsterblich sein in der
Geschichte! —

Karl Albert jedoch, das glänzende Schwert Italiens, ward bei diesem über¬
müthigen Entschluß der provisorischen Mailänder Regierung etwas trüb angelaufen,
wie von eiuer bösen Ahnung. Man weiß, daß er seinen Unwillen über dies trun¬
kene Uebernehmer der schwächlichen Nation, die sich von ihm erobern lassen wollte,
unverhohlen aussprach. Seine Lage war nach zwei Seiten hin eine unheimliche.
Als feiner Politiker und talentvoller Kriegsmann konnte er sich über das Geschick


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/288>, abgerufen am 26.06.2024.