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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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larismus, die Familie; sie darf nicht fortbestehen. Das Capital darf der reinen
Arbeitskraft nicht in den Weg treten: Abschaffung des Geldes. Uebermäßiqe
Kenntnisse, übermäßige Bildung führen zur Aristokratie; weg also mit den reac-
tionären Wissenschaften! Man ist noch nicht aufmerksam genug gewesen auf die
Aristokratie der Augen und Haare; Brille und Perücke sind freilich eine demo¬
kratische Einrichtung, aber auch sie kommen nur dem Vermögenden zu. Es ist
viel abzuschaffen, ehe die Uniformität der fünften Monarchie eingeführt werden kann.

Ich weiß wohl, daß ein denkender Mensch, der sich mit der Entwickelung
des abstracten Prinzips der Gleichheit beschäftigt, nie zu reinen Absurditäten kom¬
men wird; aber jene Probleme werden ja anch als Köder gebraucht, die Masse
aufzuregen. Der Masse imponirt nur die einseitige Konsequenz, also die Absurdität.

Die Kuppel erhält das Gebäude durch den letzten Glaubensartikel:


III. Die Einheit und Unteilbarkeit des Menschengeschlechts.

Hier genügt es, die einzelnen Sätze aufzuzählen.

t) Es darf kein Krieg sein, daher müssen die Staaten aufhören, denn an sie
knüpft sich ein particuläres egoistisches Interesse, und die Leidenschaft, eine beson¬
dere Fahne geltend zu machen.

2) Die Staaten heften sich an die Idee der Nationalität; die Nationalität
an die Sprachnnterschiede, diese Unterschiede müssen aufhören, es muß eine Welt¬
sprache eingeführt werden.

3) Die Regierung der Welt wird durch einen Völkercongreß geleitet. Um
den Neuholländern und Patagoniern den schnellen Zugang zu erleichtern, werden
über die ganze Welt Eisenbahnen und Dampfschifflinien geführt.

4) In der ganzen Welt Ein Recht, Eine Freiheit, Eine Republik.

5) Vorläufig verbinden sich die Gutgesinnten -- Franzosen, Polen, Italiener,
Czechen und die deutschen Radikalen, die barbarische Welt zu erobern und sie dem
fteieu Weltstaat einzuverleiben.

Wer diese Glaubenssätze im Allgemeinen annimmt, mag im Einzelnen wohl¬
meinend opponiren. Die Grenzboten sehen sich nicht in dieser Lage; sie werden
fortfahren, so frech und unehrerbietig zu sein, als es sich mit ihrer "altmodischen
R z- 5. ococo - Eleganz" irgend vertragen will.




RadetzlY in Mailand.



Radetzky's Triumph über Mailand ist kein so großes Mirakel, wie der plötz¬
liche Umschlag in der öffentlichen Meinung Deutschlands in Bezug auf Italien,


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larismus, die Familie; sie darf nicht fortbestehen. Das Capital darf der reinen
Arbeitskraft nicht in den Weg treten: Abschaffung des Geldes. Uebermäßiqe
Kenntnisse, übermäßige Bildung führen zur Aristokratie; weg also mit den reac-
tionären Wissenschaften! Man ist noch nicht aufmerksam genug gewesen auf die
Aristokratie der Augen und Haare; Brille und Perücke sind freilich eine demo¬
kratische Einrichtung, aber auch sie kommen nur dem Vermögenden zu. Es ist
viel abzuschaffen, ehe die Uniformität der fünften Monarchie eingeführt werden kann.

Ich weiß wohl, daß ein denkender Mensch, der sich mit der Entwickelung
des abstracten Prinzips der Gleichheit beschäftigt, nie zu reinen Absurditäten kom¬
men wird; aber jene Probleme werden ja anch als Köder gebraucht, die Masse
aufzuregen. Der Masse imponirt nur die einseitige Konsequenz, also die Absurdität.

Die Kuppel erhält das Gebäude durch den letzten Glaubensartikel:


III. Die Einheit und Unteilbarkeit des Menschengeschlechts.

Hier genügt es, die einzelnen Sätze aufzuzählen.

t) Es darf kein Krieg sein, daher müssen die Staaten aufhören, denn an sie
knüpft sich ein particuläres egoistisches Interesse, und die Leidenschaft, eine beson¬
dere Fahne geltend zu machen.

2) Die Staaten heften sich an die Idee der Nationalität; die Nationalität
an die Sprachnnterschiede, diese Unterschiede müssen aufhören, es muß eine Welt¬
sprache eingeführt werden.

3) Die Regierung der Welt wird durch einen Völkercongreß geleitet. Um
den Neuholländern und Patagoniern den schnellen Zugang zu erleichtern, werden
über die ganze Welt Eisenbahnen und Dampfschifflinien geführt.

4) In der ganzen Welt Ein Recht, Eine Freiheit, Eine Republik.

5) Vorläufig verbinden sich die Gutgesinnten — Franzosen, Polen, Italiener,
Czechen und die deutschen Radikalen, die barbarische Welt zu erobern und sie dem
fteieu Weltstaat einzuverleiben.

Wer diese Glaubenssätze im Allgemeinen annimmt, mag im Einzelnen wohl¬
meinend opponiren. Die Grenzboten sehen sich nicht in dieser Lage; sie werden
fortfahren, so frech und unehrerbietig zu sein, als es sich mit ihrer „altmodischen
R z- 5. ococo - Eleganz" irgend vertragen will.




RadetzlY in Mailand.



Radetzky's Triumph über Mailand ist kein so großes Mirakel, wie der plötz¬
liche Umschlag in der öffentlichen Meinung Deutschlands in Bezug auf Italien,


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[0287] larismus, die Familie; sie darf nicht fortbestehen. Das Capital darf der reinen Arbeitskraft nicht in den Weg treten: Abschaffung des Geldes. Uebermäßiqe Kenntnisse, übermäßige Bildung führen zur Aristokratie; weg also mit den reac- tionären Wissenschaften! Man ist noch nicht aufmerksam genug gewesen auf die Aristokratie der Augen und Haare; Brille und Perücke sind freilich eine demo¬ kratische Einrichtung, aber auch sie kommen nur dem Vermögenden zu. Es ist viel abzuschaffen, ehe die Uniformität der fünften Monarchie eingeführt werden kann. Ich weiß wohl, daß ein denkender Mensch, der sich mit der Entwickelung des abstracten Prinzips der Gleichheit beschäftigt, nie zu reinen Absurditäten kom¬ men wird; aber jene Probleme werden ja anch als Köder gebraucht, die Masse aufzuregen. Der Masse imponirt nur die einseitige Konsequenz, also die Absurdität. Die Kuppel erhält das Gebäude durch den letzten Glaubensartikel: III. Die Einheit und Unteilbarkeit des Menschengeschlechts. Hier genügt es, die einzelnen Sätze aufzuzählen. t) Es darf kein Krieg sein, daher müssen die Staaten aufhören, denn an sie knüpft sich ein particuläres egoistisches Interesse, und die Leidenschaft, eine beson¬ dere Fahne geltend zu machen. 2) Die Staaten heften sich an die Idee der Nationalität; die Nationalität an die Sprachnnterschiede, diese Unterschiede müssen aufhören, es muß eine Welt¬ sprache eingeführt werden. 3) Die Regierung der Welt wird durch einen Völkercongreß geleitet. Um den Neuholländern und Patagoniern den schnellen Zugang zu erleichtern, werden über die ganze Welt Eisenbahnen und Dampfschifflinien geführt. 4) In der ganzen Welt Ein Recht, Eine Freiheit, Eine Republik. 5) Vorläufig verbinden sich die Gutgesinnten — Franzosen, Polen, Italiener, Czechen und die deutschen Radikalen, die barbarische Welt zu erobern und sie dem fteieu Weltstaat einzuverleiben. Wer diese Glaubenssätze im Allgemeinen annimmt, mag im Einzelnen wohl¬ meinend opponiren. Die Grenzboten sehen sich nicht in dieser Lage; sie werden fortfahren, so frech und unehrerbietig zu sein, als es sich mit ihrer „altmodischen R z- 5. ococo - Eleganz" irgend vertragen will. RadetzlY in Mailand. Radetzky's Triumph über Mailand ist kein so großes Mirakel, wie der plötz¬ liche Umschlag in der öffentlichen Meinung Deutschlands in Bezug auf Italien, 36*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/287>, abgerufen am 26.06.2024.