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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Güter der Erde unersättlich verschlänge. Der Lazarone und der Bediente haben
eher einen chevaleresken Anstrich, können sich eher mit dem Adel stellen, als der
wohlhäbige Bourgeois, der im Bewußtsein seiner materiellen Kraft von der ideellen,
romantischen nicht viel hält.

Einer von den aufrichtigsten französischen Socialisten definirt den Staat als
eine Anstalt zur Tyrannei Eines Standes. Königthum, Adel und Bourgeoisie
haben jede ihren Tag gehabt, es sei nun Zeit, daß die Proletarier daran kämen.
Freilich vergaß er dabei, daß die herrschenden Proletarier in nicht gar langer Zeit
aus ihrem Stand heraustreten und so doch wieder einen andern Stand zu Ehren
bringen würden. Praktisch hat man bis jetzt nur in Frankreich versucht, einen
Proletarier als solchen an die Spitze zu bringen, den Ouvrier Albert: er hat sich
aber gleich darauf Glacehandschuhe und Equipage ""geschafft.

Man würde sich täuschen, wenn man nur dem specifischen Communismus die
Tendenz zuschreiben wollte, die Menschheit in jedem Individuum zur Geltung zu
bringen. Es ist die herrschende Idee der Zeit. Die einzigen Mittel, sie zu rea-
lisiren, sei Volkserziehung, ein rationelles Associationswesen und Communalfreiheit.
Aber diese Wege führen mir langsam zum Ziel und befriedigen nicht die Ungeduld,
die augenblicklich Alles so eingerichtet sehen will, wie es sein soll. So bleibt die¬
sen Gleichheitsmännern zunächst nur der Neid gegen jedes Vermögen, weil dieses
Vermögen nicht allgemein ist. So in den Ideen der politischen wie der socialen
Gleichheit.

Das Gesetz soll die Willkür zügeln, dem Zuviel ein Maß auflegen, aber das
Gesetz selber, als Erbtheil der Vergangenheit, gilt als reactionär. So soll denn
das Gesetz, welches die Bestimmung hat, die Gleichheit hervorzubringen, hervor¬
gehen aus einem Zustand, der eigentlich die Gleichheit schon voraussetzen müßte.
Vorläufig kein Gesetz, sondern eine Freiheit wie in den Saturnalien, ein allge¬
meines Narrenfest, eine permanente Maskerade mit Aufhebung aller Arbeit! Der
Erscheinung nach ist dieser Communismus mit den sophistischen Ideen des Egois¬
mus, wie sie Max Stirner aufstellt, ziemlich identisch, wenn er ihnen auch prin¬
cipiell widerspricht.

Und nun ein radikales Niederreißen aller Schranken! Der Einzelne als
solcher soll gelten, darum fort mit allen Verbindungen, die nur den Egoismus
kräftigen! Zuerst ein Ostracismus gegen das übermäßige Talent, den übermäßigen
Ehrgeiz! Aufhebung der Korporationen, denn sie sind exclusiv! Aufhebung der
Provinzen, denn sie lassen Eigenthümlichkeiten zu, die nicht dem reinen Begriff
der Menschheit angehören! Aufhebung der Communalfreiheit, denn sie setzt den
Fluchen der universellen Völkerwanderung Dämme in den Weg! Endlich Aufhebung
der Staaten, denn sie sind die Spitze des Particularismus. Das Allgemeine er¬
hebt sich nur auf den Trümmern des Besondern.

Dann geht es zu den socialen Reformen. Hier ist die Wurzel des Partien-


Güter der Erde unersättlich verschlänge. Der Lazarone und der Bediente haben
eher einen chevaleresken Anstrich, können sich eher mit dem Adel stellen, als der
wohlhäbige Bourgeois, der im Bewußtsein seiner materiellen Kraft von der ideellen,
romantischen nicht viel hält.

Einer von den aufrichtigsten französischen Socialisten definirt den Staat als
eine Anstalt zur Tyrannei Eines Standes. Königthum, Adel und Bourgeoisie
haben jede ihren Tag gehabt, es sei nun Zeit, daß die Proletarier daran kämen.
Freilich vergaß er dabei, daß die herrschenden Proletarier in nicht gar langer Zeit
aus ihrem Stand heraustreten und so doch wieder einen andern Stand zu Ehren
bringen würden. Praktisch hat man bis jetzt nur in Frankreich versucht, einen
Proletarier als solchen an die Spitze zu bringen, den Ouvrier Albert: er hat sich
aber gleich darauf Glacehandschuhe und Equipage »»geschafft.

Man würde sich täuschen, wenn man nur dem specifischen Communismus die
Tendenz zuschreiben wollte, die Menschheit in jedem Individuum zur Geltung zu
bringen. Es ist die herrschende Idee der Zeit. Die einzigen Mittel, sie zu rea-
lisiren, sei Volkserziehung, ein rationelles Associationswesen und Communalfreiheit.
Aber diese Wege führen mir langsam zum Ziel und befriedigen nicht die Ungeduld,
die augenblicklich Alles so eingerichtet sehen will, wie es sein soll. So bleibt die¬
sen Gleichheitsmännern zunächst nur der Neid gegen jedes Vermögen, weil dieses
Vermögen nicht allgemein ist. So in den Ideen der politischen wie der socialen
Gleichheit.

Das Gesetz soll die Willkür zügeln, dem Zuviel ein Maß auflegen, aber das
Gesetz selber, als Erbtheil der Vergangenheit, gilt als reactionär. So soll denn
das Gesetz, welches die Bestimmung hat, die Gleichheit hervorzubringen, hervor¬
gehen aus einem Zustand, der eigentlich die Gleichheit schon voraussetzen müßte.
Vorläufig kein Gesetz, sondern eine Freiheit wie in den Saturnalien, ein allge¬
meines Narrenfest, eine permanente Maskerade mit Aufhebung aller Arbeit! Der
Erscheinung nach ist dieser Communismus mit den sophistischen Ideen des Egois¬
mus, wie sie Max Stirner aufstellt, ziemlich identisch, wenn er ihnen auch prin¬
cipiell widerspricht.

Und nun ein radikales Niederreißen aller Schranken! Der Einzelne als
solcher soll gelten, darum fort mit allen Verbindungen, die nur den Egoismus
kräftigen! Zuerst ein Ostracismus gegen das übermäßige Talent, den übermäßigen
Ehrgeiz! Aufhebung der Korporationen, denn sie sind exclusiv! Aufhebung der
Provinzen, denn sie lassen Eigenthümlichkeiten zu, die nicht dem reinen Begriff
der Menschheit angehören! Aufhebung der Communalfreiheit, denn sie setzt den
Fluchen der universellen Völkerwanderung Dämme in den Weg! Endlich Aufhebung
der Staaten, denn sie sind die Spitze des Particularismus. Das Allgemeine er¬
hebt sich nur auf den Trümmern des Besondern.

Dann geht es zu den socialen Reformen. Hier ist die Wurzel des Partien-


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[0286] Güter der Erde unersättlich verschlänge. Der Lazarone und der Bediente haben eher einen chevaleresken Anstrich, können sich eher mit dem Adel stellen, als der wohlhäbige Bourgeois, der im Bewußtsein seiner materiellen Kraft von der ideellen, romantischen nicht viel hält. Einer von den aufrichtigsten französischen Socialisten definirt den Staat als eine Anstalt zur Tyrannei Eines Standes. Königthum, Adel und Bourgeoisie haben jede ihren Tag gehabt, es sei nun Zeit, daß die Proletarier daran kämen. Freilich vergaß er dabei, daß die herrschenden Proletarier in nicht gar langer Zeit aus ihrem Stand heraustreten und so doch wieder einen andern Stand zu Ehren bringen würden. Praktisch hat man bis jetzt nur in Frankreich versucht, einen Proletarier als solchen an die Spitze zu bringen, den Ouvrier Albert: er hat sich aber gleich darauf Glacehandschuhe und Equipage »»geschafft. Man würde sich täuschen, wenn man nur dem specifischen Communismus die Tendenz zuschreiben wollte, die Menschheit in jedem Individuum zur Geltung zu bringen. Es ist die herrschende Idee der Zeit. Die einzigen Mittel, sie zu rea- lisiren, sei Volkserziehung, ein rationelles Associationswesen und Communalfreiheit. Aber diese Wege führen mir langsam zum Ziel und befriedigen nicht die Ungeduld, die augenblicklich Alles so eingerichtet sehen will, wie es sein soll. So bleibt die¬ sen Gleichheitsmännern zunächst nur der Neid gegen jedes Vermögen, weil dieses Vermögen nicht allgemein ist. So in den Ideen der politischen wie der socialen Gleichheit. Das Gesetz soll die Willkür zügeln, dem Zuviel ein Maß auflegen, aber das Gesetz selber, als Erbtheil der Vergangenheit, gilt als reactionär. So soll denn das Gesetz, welches die Bestimmung hat, die Gleichheit hervorzubringen, hervor¬ gehen aus einem Zustand, der eigentlich die Gleichheit schon voraussetzen müßte. Vorläufig kein Gesetz, sondern eine Freiheit wie in den Saturnalien, ein allge¬ meines Narrenfest, eine permanente Maskerade mit Aufhebung aller Arbeit! Der Erscheinung nach ist dieser Communismus mit den sophistischen Ideen des Egois¬ mus, wie sie Max Stirner aufstellt, ziemlich identisch, wenn er ihnen auch prin¬ cipiell widerspricht. Und nun ein radikales Niederreißen aller Schranken! Der Einzelne als solcher soll gelten, darum fort mit allen Verbindungen, die nur den Egoismus kräftigen! Zuerst ein Ostracismus gegen das übermäßige Talent, den übermäßigen Ehrgeiz! Aufhebung der Korporationen, denn sie sind exclusiv! Aufhebung der Provinzen, denn sie lassen Eigenthümlichkeiten zu, die nicht dem reinen Begriff der Menschheit angehören! Aufhebung der Communalfreiheit, denn sie setzt den Fluchen der universellen Völkerwanderung Dämme in den Weg! Endlich Aufhebung der Staaten, denn sie sind die Spitze des Particularismus. Das Allgemeine er¬ hebt sich nur auf den Trümmern des Besondern. Dann geht es zu den socialen Reformen. Hier ist die Wurzel des Partien-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/286>, abgerufen am 26.06.2024.