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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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und erbärmlich, alle nach dem Bilde Gottes geschaffen, alle gleich sehr von ihrer
Bestimmung abgehalten, alle durch den Opfertod Gottes erlöst.

Da ans Erden die Ungleichheit zu handgreiflich hervortrat, so bedingte ein
solcher Glaube eine zweite Abstraction: das Leben hienieden ist ein Schein, ein
Traum, eine Lüge; erst im Jenseits wird die Wahrheit des Lebens offenbar.

Aber auch der Schein hat eine gewisse Realität; wenn den Glücklichen und
den Unglücklichen im Himmel gleiche Freuden erwarteten, so wäre es mit der
Gerechtigkeit doch nichts; denn wenn anch das Leben hienieden ein bloßer Traum
ist, die Träume quälen euch das Gemüth, und sür solche Qualen hat der Mensch
das Recht, im Himmel seinen Lohn zu nehmen.

Darum wurde gelehrt: selig die Armen, selig die Kindlein, denn ihnen ist
das Himmelreich! Und: eher wird ein Schiffstau durch ein Nadelöhr gehen, als
der Reiche in den Himmel. Wer mit seinem Herzen an die Freuden dieser Erde
gebannt ist, der kann die himmlischen Freuden nicht kosten. Wer daher auf den
Himmel Anspruch machen will, der werfe die irdischen Güter, Reichthum, Wissen¬
schaft, Fleischeslust, Ehre n. s. w. "on sich; er faste und kasteie sich, er werde
einfältig wie die Kindlein, um als reine, abstracte Seele die Gleichheit herzu
stellen, die nur bei der vollständige" Eigenschaftslosigkeit zu denken ist.

Heut zu Tage will mau vou dem Himmel nicht viel wissen und darum hat
man das Jenseits der vollkommenen Welt ans die Erde verlegt; freilich auf eine
Erde, wo jeder klimatische und locale Unterschied schwindet, wo die physischen und
geistigen Kräfte des Menschen, ihre Neigungen, Bedürfnisse und Leidenschaften
vollkommen gleich geworden sind. Die Spartaner, die eine ähnliche Gleichheit
wollten, setzten sieche und uukräftige Kinder aus; vor diesem brutalen Verfahren
bewahrt uns die christliche Humanität. Da man aber keinen bestimmten Weg zu
jenem Reich Gottes auffinden kann, so bleibt nichts Anderes übrig, als die beste¬
henden Verhältnisse -- das Reich des Unrechts und der Ungleichheit -- fortwäh¬
rend zu verwirren, um aus diesem künstlichen Fieberkamps die rechte Natur des
Menschen sich entwickeln zu lassen.

Die abstracte Idee der Gleichheit stammt aus dem Christenthum, das reale
Streben nach Gleichheit dagegen aus dem zeitlich bedingten Widerspruch zwischen
der wirklichen Kraft und den Rechtsformen. Sobald die Bourgeoisie, der dritte
Stand, wie er in der Revolution genannt wurde, Macht, Bildung und Reich¬
thum genng gesammelt hatte, um mit den höhern Ständen wetteifern zu können,
vpponirte sie gegen die nur uoch historischen Vorrechte des Adels; und als den
Proletariern die physische Macht ihrer Masse zum Bewußtsein gebracht war, erho¬
ben sie sich gegen die Bourgeoisie, gegen die Aristokratie des Talents, der Bildung
und des Reichthums. Ju dieser Opposition haben sich zum Theil die alten Adlige"
mit dem Volke brüderlich vereinigt und schon vor der letzten Revolution wurde die
Bourgeoisie von beiden Seiten als eine Art Ungeheuer dargestellt, das alle wahre"


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und erbärmlich, alle nach dem Bilde Gottes geschaffen, alle gleich sehr von ihrer
Bestimmung abgehalten, alle durch den Opfertod Gottes erlöst.

Da ans Erden die Ungleichheit zu handgreiflich hervortrat, so bedingte ein
solcher Glaube eine zweite Abstraction: das Leben hienieden ist ein Schein, ein
Traum, eine Lüge; erst im Jenseits wird die Wahrheit des Lebens offenbar.

Aber auch der Schein hat eine gewisse Realität; wenn den Glücklichen und
den Unglücklichen im Himmel gleiche Freuden erwarteten, so wäre es mit der
Gerechtigkeit doch nichts; denn wenn anch das Leben hienieden ein bloßer Traum
ist, die Träume quälen euch das Gemüth, und sür solche Qualen hat der Mensch
das Recht, im Himmel seinen Lohn zu nehmen.

Darum wurde gelehrt: selig die Armen, selig die Kindlein, denn ihnen ist
das Himmelreich! Und: eher wird ein Schiffstau durch ein Nadelöhr gehen, als
der Reiche in den Himmel. Wer mit seinem Herzen an die Freuden dieser Erde
gebannt ist, der kann die himmlischen Freuden nicht kosten. Wer daher auf den
Himmel Anspruch machen will, der werfe die irdischen Güter, Reichthum, Wissen¬
schaft, Fleischeslust, Ehre n. s. w. «on sich; er faste und kasteie sich, er werde
einfältig wie die Kindlein, um als reine, abstracte Seele die Gleichheit herzu
stellen, die nur bei der vollständige» Eigenschaftslosigkeit zu denken ist.

Heut zu Tage will mau vou dem Himmel nicht viel wissen und darum hat
man das Jenseits der vollkommenen Welt ans die Erde verlegt; freilich auf eine
Erde, wo jeder klimatische und locale Unterschied schwindet, wo die physischen und
geistigen Kräfte des Menschen, ihre Neigungen, Bedürfnisse und Leidenschaften
vollkommen gleich geworden sind. Die Spartaner, die eine ähnliche Gleichheit
wollten, setzten sieche und uukräftige Kinder aus; vor diesem brutalen Verfahren
bewahrt uns die christliche Humanität. Da man aber keinen bestimmten Weg zu
jenem Reich Gottes auffinden kann, so bleibt nichts Anderes übrig, als die beste¬
henden Verhältnisse — das Reich des Unrechts und der Ungleichheit -- fortwäh¬
rend zu verwirren, um aus diesem künstlichen Fieberkamps die rechte Natur des
Menschen sich entwickeln zu lassen.

Die abstracte Idee der Gleichheit stammt aus dem Christenthum, das reale
Streben nach Gleichheit dagegen aus dem zeitlich bedingten Widerspruch zwischen
der wirklichen Kraft und den Rechtsformen. Sobald die Bourgeoisie, der dritte
Stand, wie er in der Revolution genannt wurde, Macht, Bildung und Reich¬
thum genng gesammelt hatte, um mit den höhern Ständen wetteifern zu können,
vpponirte sie gegen die nur uoch historischen Vorrechte des Adels; und als den
Proletariern die physische Macht ihrer Masse zum Bewußtsein gebracht war, erho¬
ben sie sich gegen die Bourgeoisie, gegen die Aristokratie des Talents, der Bildung
und des Reichthums. Ju dieser Opposition haben sich zum Theil die alten Adlige»
mit dem Volke brüderlich vereinigt und schon vor der letzten Revolution wurde die
Bourgeoisie von beiden Seiten als eine Art Ungeheuer dargestellt, das alle wahre»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/285>, abgerufen am 26.06.2024.