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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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absoluten Königs; der sich von ihm mit Füßen treten läßt, der ihm vorlügt und
sich aus dieser Lüge eine Ehre macht, -- man sehe die neuesten berliner Dema¬
gogen an --; der zu Zeiten den Hanswurst spielt und dessen Leitung darin besteht,
daß er instinktartig die schlechtesten Leidenschaften der Masse wittert und dem Pöbel
' imponirt, indem er seine Gemeinheiten vorausnimmt. Wie ein solcher Demagog
stürzt, hat schon ein aristokratischer Dichter des Alterthums, Aristophanes, in sei¬
nem Wursthändler geschildert, dem Nebenbuhler Kleons: nur durch einen noch
gemeineren Wicht wird dieser Biedermann beseitigt und das Schreckensregiment der
Volks-Harlekine löst sich in seinen eigenen Humor auf.

Ich komme aus den zweiten Artikel meines Katechismus:


II. Die Gleichheit aller Menschen.

Die beiden Abstractionen der Freiheit und Gleichheit haben seit Ewigkeit in
einem mehr oder minder lebhaft gefühlten Widerspruch gestanden. Aber erst heut
zu Tage, wo man aus jeder Vorstellung ein Prinzip macht, ist man sich darüber
zum vollen Bewußtsein gekommen. Mau hat erkannt, die Freiheit sei eine aristo¬
kratisch gesinnte Göttin, die nur dem Mächtigen hold sei. Früher, wo eine Welt
von Schranken die Bewegung des Geistes nach allen Seiten hin einengte, wo
das Gesetz nur dem Starke" diente, kämpfte Alles gegen die unnatürlichen Fesseln,
und glaubte, wenn man ihm erst Lust verschafft, werde der Baum der Menschheit
von selber lustig emporschießen. Man brach die Kasten, man hob den Unterschied
der Stände auf; der Boden, früher nur alten Geschlechtern zinsbar, ward mit
seinen Erzeugnissen der freien Concurrenz anheimgegeben. Selbst die Schranken
zwischen den einzelnen Ländern sielen allmälig und in den: fröhlichen Wetteifer
schien jede Kraft zu ihrem Recht zu kommen. Unter Gleichheit verstand man noch
das gleiche Recht, seiue Kraft zu gebrauchen, die Gleichheit vor dem Gesetz, wel¬
ches das Uebermaß beschränkte.

Bald aber kam man dahinter, daß mit diesem formellen Recht sür das Glück
des Einzelnen nicht viel geschehen sei. Dem Schwachen, dem Dummen, dem Feigen
kam die Freiheit nicht zu gut. Jeder Mensch aber solle glücklich sein, und da
nur eine gewisse Summe von Glück auf Erden vorhanden sei, so müsse das Gesetz
eintreten, das Maß des Glückes bestimmen und jedem Einzelnen sein bescheiden
Theil zupägen. Die Gleichheit geht nur hervor aus dem Terrorismus einer
theokratischen Dictatur.

Woher schreibt sich diese Idee des Kommunismus, die sich wie ein Ge-
spenst schattengleich über das bunte Leben der regsam strebenden Gesellschaft breitet,
die alle Kraft des Einzelnen absorbiren will, um sie lehnswcise jedem Einzelnen
wieder zu ertheilen! Der Schneider Weitling hat es halb im Spaße ausge-
sprechen, es ist aber vollkommen wahr: ans dem Christenthum. Das Chri¬
stenthum stellte zuerst die Lehre ans: alle Menschen sind gleich, alle gleich unwürdig


absoluten Königs; der sich von ihm mit Füßen treten läßt, der ihm vorlügt und
sich aus dieser Lüge eine Ehre macht, — man sehe die neuesten berliner Dema¬
gogen an —; der zu Zeiten den Hanswurst spielt und dessen Leitung darin besteht,
daß er instinktartig die schlechtesten Leidenschaften der Masse wittert und dem Pöbel
' imponirt, indem er seine Gemeinheiten vorausnimmt. Wie ein solcher Demagog
stürzt, hat schon ein aristokratischer Dichter des Alterthums, Aristophanes, in sei¬
nem Wursthändler geschildert, dem Nebenbuhler Kleons: nur durch einen noch
gemeineren Wicht wird dieser Biedermann beseitigt und das Schreckensregiment der
Volks-Harlekine löst sich in seinen eigenen Humor auf.

Ich komme aus den zweiten Artikel meines Katechismus:


II. Die Gleichheit aller Menschen.

Die beiden Abstractionen der Freiheit und Gleichheit haben seit Ewigkeit in
einem mehr oder minder lebhaft gefühlten Widerspruch gestanden. Aber erst heut
zu Tage, wo man aus jeder Vorstellung ein Prinzip macht, ist man sich darüber
zum vollen Bewußtsein gekommen. Mau hat erkannt, die Freiheit sei eine aristo¬
kratisch gesinnte Göttin, die nur dem Mächtigen hold sei. Früher, wo eine Welt
von Schranken die Bewegung des Geistes nach allen Seiten hin einengte, wo
das Gesetz nur dem Starke» diente, kämpfte Alles gegen die unnatürlichen Fesseln,
und glaubte, wenn man ihm erst Lust verschafft, werde der Baum der Menschheit
von selber lustig emporschießen. Man brach die Kasten, man hob den Unterschied
der Stände auf; der Boden, früher nur alten Geschlechtern zinsbar, ward mit
seinen Erzeugnissen der freien Concurrenz anheimgegeben. Selbst die Schranken
zwischen den einzelnen Ländern sielen allmälig und in den: fröhlichen Wetteifer
schien jede Kraft zu ihrem Recht zu kommen. Unter Gleichheit verstand man noch
das gleiche Recht, seiue Kraft zu gebrauchen, die Gleichheit vor dem Gesetz, wel¬
ches das Uebermaß beschränkte.

Bald aber kam man dahinter, daß mit diesem formellen Recht sür das Glück
des Einzelnen nicht viel geschehen sei. Dem Schwachen, dem Dummen, dem Feigen
kam die Freiheit nicht zu gut. Jeder Mensch aber solle glücklich sein, und da
nur eine gewisse Summe von Glück auf Erden vorhanden sei, so müsse das Gesetz
eintreten, das Maß des Glückes bestimmen und jedem Einzelnen sein bescheiden
Theil zupägen. Die Gleichheit geht nur hervor aus dem Terrorismus einer
theokratischen Dictatur.

Woher schreibt sich diese Idee des Kommunismus, die sich wie ein Ge-
spenst schattengleich über das bunte Leben der regsam strebenden Gesellschaft breitet,
die alle Kraft des Einzelnen absorbiren will, um sie lehnswcise jedem Einzelnen
wieder zu ertheilen! Der Schneider Weitling hat es halb im Spaße ausge-
sprechen, es ist aber vollkommen wahr: ans dem Christenthum. Das Chri¬
stenthum stellte zuerst die Lehre ans: alle Menschen sind gleich, alle gleich unwürdig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/284>, abgerufen am 26.06.2024.