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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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daß es regiert wird, und ist zufrieden. Ein Volk von leichterer Gesinnung wird
geneigter sein, einer zugleich glänzenden und liebenswürdigen Erscheinung, einem
Alcibiades, sich zu Füßen zu werfen.

Schlimmer ist es, wenn die Volkssouveränität im tugendhaften Demagogen
ihren Ausdruck findet. Es ist das wieder eine religiöse Herrschaft, die zur Into¬
leranz und, wenn sie mächtig genug ist, zur Grausamkeit führt. Die Religion der
Freiheit, wie sie neuerdings wieder gepredigt wird und deren Wesen darin besteht,
daß man sich mit Bewußtsein einen Glauben setzt, dessen Gegenstand man nicht
klar übersieht, einen Glauben an die Vollkommenheit der Menschheit, an das Wal¬
ten der souveränen Vernunft in einer noch aber fern vorgestellten Zukunft u. tgi. --
eine solche Religion leitet ebenso zum Fanatismus, als der unsinnliche Eiser für
die Leiden des Gekreuzigten. Die Tugend, eine Art Inspiration des heiligen Geistes,
wüthet gegen den Egoismus, d. h. gegen das Recht der individuellen Selbststän-
digkeit, wie die Orthodoxie gegen die Freiheit der autonomen Vernunft. Diese
Religion der Tugend hat ihren Jesuitismus und ihre Kasuistik wie das Christen¬
thum; wer sich im Hochmuth seiner subjectiven Gewißheit des Guten über die
Sittlichkeit erhebt und mit frecher Hand in den Lauf des Rechts eingreift, läßt
seinen despotischen Gelüsten freieren Spielraum als selbst der Hierophant eines
Baaldienstes. Wie populär diese Art der Sclbstgewißheit ist und demnach wie
gefährlich, kann man in dem ersten besten französischen Roman nachlesen. In den
Mysterien von Paris ist Rudolf ein solcher Jesuit des Guten, der, wie Max Stir-
ner richtig bemerkt, die Bösen zur Tugend verführt; sogar der unschuldige
A. Dumas hat in seinem Monte-Christo ähnliche Anwandlungen. Diese
"Verschwörer für die bessere Zeit", diese Männer der fünften Monarchie, wollen
die Menschen zur Freiheit und zum Glück führen, auch wenn sie darüber zum
Teufel gingen; das Reich Gottes soll kommen und wenn die Welt darüber unter¬
ginge. Entweder ist das ein knabenhaftes Spiel mit Bildern, für die noch keine
reelle Anschauung vorliegt, ein Spiel mit selbstgemachten Götzen, oder der Drang
eines ehrgeizigen Gemüths, sich geltend zu machen mit der Idee eines Absoluten,
die nur das eigene Bewußtsein verklärt, und die lebendigen Menschen zu Mario¬
netten dieses bedenklichen Theater-Unternehmens herabzusetzen. In der blutigen
Realität des Terrorismus kann man das Gefährliche dieses ideellen Spiels kennen
lernen und Stoff genug haben wir zN Mehr als einem Robespierre.

Wenn die Centralisation die richtige Höhe erreicht, wenn das Volk, im Ge¬
gensatz gegen Bourgeoisie und Adel so genannt, d. l). die rohe Masse in den
Hauptstädten, das Heft in die Hände nimmt, dann macht sich der eigentliche De-
magog geltend, der Mann des Volks, der ganz "gemeine Kerl." Denn im An¬
fang nur stellt das Volk Aristokraten an die Spitze, die ihm Achtung abnöthigen;
aus Perikles und Alcibiades aber folgt Kleon, der bei seinem Souverän das Eh¬
renamt verrichtet, ihm das schmutzige Hemd anzuziehen, wie die Hofleute des


daß es regiert wird, und ist zufrieden. Ein Volk von leichterer Gesinnung wird
geneigter sein, einer zugleich glänzenden und liebenswürdigen Erscheinung, einem
Alcibiades, sich zu Füßen zu werfen.

Schlimmer ist es, wenn die Volkssouveränität im tugendhaften Demagogen
ihren Ausdruck findet. Es ist das wieder eine religiöse Herrschaft, die zur Into¬
leranz und, wenn sie mächtig genug ist, zur Grausamkeit führt. Die Religion der
Freiheit, wie sie neuerdings wieder gepredigt wird und deren Wesen darin besteht,
daß man sich mit Bewußtsein einen Glauben setzt, dessen Gegenstand man nicht
klar übersieht, einen Glauben an die Vollkommenheit der Menschheit, an das Wal¬
ten der souveränen Vernunft in einer noch aber fern vorgestellten Zukunft u. tgi. —
eine solche Religion leitet ebenso zum Fanatismus, als der unsinnliche Eiser für
die Leiden des Gekreuzigten. Die Tugend, eine Art Inspiration des heiligen Geistes,
wüthet gegen den Egoismus, d. h. gegen das Recht der individuellen Selbststän-
digkeit, wie die Orthodoxie gegen die Freiheit der autonomen Vernunft. Diese
Religion der Tugend hat ihren Jesuitismus und ihre Kasuistik wie das Christen¬
thum; wer sich im Hochmuth seiner subjectiven Gewißheit des Guten über die
Sittlichkeit erhebt und mit frecher Hand in den Lauf des Rechts eingreift, läßt
seinen despotischen Gelüsten freieren Spielraum als selbst der Hierophant eines
Baaldienstes. Wie populär diese Art der Sclbstgewißheit ist und demnach wie
gefährlich, kann man in dem ersten besten französischen Roman nachlesen. In den
Mysterien von Paris ist Rudolf ein solcher Jesuit des Guten, der, wie Max Stir-
ner richtig bemerkt, die Bösen zur Tugend verführt; sogar der unschuldige
A. Dumas hat in seinem Monte-Christo ähnliche Anwandlungen. Diese
„Verschwörer für die bessere Zeit", diese Männer der fünften Monarchie, wollen
die Menschen zur Freiheit und zum Glück führen, auch wenn sie darüber zum
Teufel gingen; das Reich Gottes soll kommen und wenn die Welt darüber unter¬
ginge. Entweder ist das ein knabenhaftes Spiel mit Bildern, für die noch keine
reelle Anschauung vorliegt, ein Spiel mit selbstgemachten Götzen, oder der Drang
eines ehrgeizigen Gemüths, sich geltend zu machen mit der Idee eines Absoluten,
die nur das eigene Bewußtsein verklärt, und die lebendigen Menschen zu Mario¬
netten dieses bedenklichen Theater-Unternehmens herabzusetzen. In der blutigen
Realität des Terrorismus kann man das Gefährliche dieses ideellen Spiels kennen
lernen und Stoff genug haben wir zN Mehr als einem Robespierre.

Wenn die Centralisation die richtige Höhe erreicht, wenn das Volk, im Ge¬
gensatz gegen Bourgeoisie und Adel so genannt, d. l). die rohe Masse in den
Hauptstädten, das Heft in die Hände nimmt, dann macht sich der eigentliche De-
magog geltend, der Mann des Volks, der ganz „gemeine Kerl." Denn im An¬
fang nur stellt das Volk Aristokraten an die Spitze, die ihm Achtung abnöthigen;
aus Perikles und Alcibiades aber folgt Kleon, der bei seinem Souverän das Eh¬
renamt verrichtet, ihm das schmutzige Hemd anzuziehen, wie die Hofleute des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/283>, abgerufen am 26.06.2024.