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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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soviel: es ist ein wesentliches Moment der politischen Entwickelung, eine Schule,
wenn man es so nennen will. Die Idee der Volkssouveränität ist in ihm gerade
von soviel Gewicht als die von der Unverantwortlichst des Königs; beides be¬
währt sich in einem Staat strenger Gesetzlichkeit, wo die Macht des Gesetzes durch
eine lange Geschichte fester gegründet ist als die Leidenschaft der Masse und der
Egoismus der Sonderinteressen; beides ist eine leere Fiction in einem gesetzlosen
Zustande, wo die Leidenschaft über die Formen dominirt.

Das Wesentliche in dieser Theorie der Volkssouveränität ist ihre negative
Berechtigung. Man hat sich von dem Aberglauben des absoluten Staats so weit
losgerissen, daß man dem König die Souveränität nicht mehr lassen will. Den
Begriff der Souveränität selbst hat man aber nicht überwunden, man denkt sich
über dem Organismus des Staats oder jenseits desselben noch immer ein unsicht¬
bares Wesen, den Souverän, und es hilft Nichts, daß man diesen Souverän
"Volk" tauft. Er ist so eigenschaftslos wie der gute Gott des Rationalismus,
darum aber nicht minder fremd und jenseitig. Alle neuen Formeln, die man dafür
findet -- Majorität, Emente u. s. w. -- heben die Jenseitigkeit nicht auf; wie
der Gott nur in seinen Priestern, so erscheint das "souveräne Volk" nur in seinen
Demagogen.

Die Schwierigkeiten, diesen Souverän in ^"rribu" iiMelium als eine mora¬
lische Person zur Erscheinung zu bringen, hat schon zu dem sonderbaren Resultat
geführt, durch die Theorie der Volkssouveränität den Despotismus zu rechtfertigen.
Hobbes vindicirte dem Volk das Recht der freien Selbstbestimmung, meinte aber,
das Volk habe in einer jenseits der Geschichte liegenden Zeit eingesehen, daß die
Ausübung dieses'Rechts nur zu einem ewigen Krieg Aller gegen Alle führen könne,
und darum habe das Volk, kraft seiner Machtvollkommenheit, die Ausübung sei¬
ner Souveränität dem Könige übertragen und diese Würde erblich gemacht, damit
ewig Friede ans Erden sei! Eine solche Verewigung des Despotismus konnte nur
bei der Voraussetzung einer absoluten Selbstbestimmung -- also auch Selbstver¬
pfändung -- des Volks gedacht werden, wie erst bei der im Protestantismus
festgestellten Autonomie des Willens der Glaube an die Fähigkeit des Willens be¬
greiflich wird, sich auf ewig dem Bösen zu veräußern. Man hat von liberaler
Seite Hobbes heftig befehdet, aber viel anders ist es nickt, wenn man den con-
sequentesten Despoten der neuen Geschichte, Napoleon, z"in Repräsentanten der
Volkssouveränität gemacht hat, weil er der Form nach aus der Wahl des Volks
hervorgegangen war -- des Volks der Bayonette.

Der tüchtige, kräftige Mann, der klüger ist und stärker als seine Mitbürger,
-- ein Cäsar, Cromwell, Napoleon, -- ist noch der gesundeste Ausdruck dieses
souveränen Willens. Wird auch die Freiheit unterdrückt, so geht wenigstens die
Vernunft nicht verloren. Die Fiction eines vorhergegangenen Vertrages, der für
das Gemeinwesen diesen Ausdruck gefunden, geht dann nebenher. Das Volk fühlt,


soviel: es ist ein wesentliches Moment der politischen Entwickelung, eine Schule,
wenn man es so nennen will. Die Idee der Volkssouveränität ist in ihm gerade
von soviel Gewicht als die von der Unverantwortlichst des Königs; beides be¬
währt sich in einem Staat strenger Gesetzlichkeit, wo die Macht des Gesetzes durch
eine lange Geschichte fester gegründet ist als die Leidenschaft der Masse und der
Egoismus der Sonderinteressen; beides ist eine leere Fiction in einem gesetzlosen
Zustande, wo die Leidenschaft über die Formen dominirt.

Das Wesentliche in dieser Theorie der Volkssouveränität ist ihre negative
Berechtigung. Man hat sich von dem Aberglauben des absoluten Staats so weit
losgerissen, daß man dem König die Souveränität nicht mehr lassen will. Den
Begriff der Souveränität selbst hat man aber nicht überwunden, man denkt sich
über dem Organismus des Staats oder jenseits desselben noch immer ein unsicht¬
bares Wesen, den Souverän, und es hilft Nichts, daß man diesen Souverän
„Volk" tauft. Er ist so eigenschaftslos wie der gute Gott des Rationalismus,
darum aber nicht minder fremd und jenseitig. Alle neuen Formeln, die man dafür
findet — Majorität, Emente u. s. w. — heben die Jenseitigkeit nicht auf; wie
der Gott nur in seinen Priestern, so erscheint das „souveräne Volk" nur in seinen
Demagogen.

Die Schwierigkeiten, diesen Souverän in ^»rribu« iiMelium als eine mora¬
lische Person zur Erscheinung zu bringen, hat schon zu dem sonderbaren Resultat
geführt, durch die Theorie der Volkssouveränität den Despotismus zu rechtfertigen.
Hobbes vindicirte dem Volk das Recht der freien Selbstbestimmung, meinte aber,
das Volk habe in einer jenseits der Geschichte liegenden Zeit eingesehen, daß die
Ausübung dieses'Rechts nur zu einem ewigen Krieg Aller gegen Alle führen könne,
und darum habe das Volk, kraft seiner Machtvollkommenheit, die Ausübung sei¬
ner Souveränität dem Könige übertragen und diese Würde erblich gemacht, damit
ewig Friede ans Erden sei! Eine solche Verewigung des Despotismus konnte nur
bei der Voraussetzung einer absoluten Selbstbestimmung — also auch Selbstver¬
pfändung — des Volks gedacht werden, wie erst bei der im Protestantismus
festgestellten Autonomie des Willens der Glaube an die Fähigkeit des Willens be¬
greiflich wird, sich auf ewig dem Bösen zu veräußern. Man hat von liberaler
Seite Hobbes heftig befehdet, aber viel anders ist es nickt, wenn man den con-
sequentesten Despoten der neuen Geschichte, Napoleon, z»in Repräsentanten der
Volkssouveränität gemacht hat, weil er der Form nach aus der Wahl des Volks
hervorgegangen war — des Volks der Bayonette.

Der tüchtige, kräftige Mann, der klüger ist und stärker als seine Mitbürger,
— ein Cäsar, Cromwell, Napoleon, — ist noch der gesundeste Ausdruck dieses
souveränen Willens. Wird auch die Freiheit unterdrückt, so geht wenigstens die
Vernunft nicht verloren. Die Fiction eines vorhergegangenen Vertrages, der für
das Gemeinwesen diesen Ausdruck gefunden, geht dann nebenher. Das Volk fühlt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/282>, abgerufen am 26.06.2024.