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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Siegern, bleibt nichts anders übrig, als unsere Macht durch einen zweiten Sieg,
eine neue Schlacht gegen die Reaction der Gesetzlichkeit zu bethätigen."

Es ist ein Irrthum, der sich bei allen Verschwörern, allen Emeutiers vor¬
findet. Sie überschätzen ihren Sieg, sie überschätzen ihre Macht; weil sie sich auf
Barrikaden verstehen, glauben sie auch den Staat regieren zu können. Aber der
Barrikadenkämpfer wird immer nur für Augenblicke der Anarchie das Ruder des
Staats in die Hände bekommen, denn die wahre Macht liegt nicht in den Fäu¬
sten, sondern in der Einsicht. Wenn die neue Regierung den Staat wahrhaft
erneuen will, so darf sie nicht darauf Anspruch machen, Rache zu nehmen an frü¬
herer Gesinnung; die Republik, die alle Staatsmänner des uocien i-eZüne aus¬
schließt, würde bald bauquerout macheu.

"I^a soi-ce c'oft In loi!" d. h. die Souveränität des Volkes liegt in seinen
Fäusten. Aber gerade der bessere Theil des Volkes wird es überdrüssig werden,
sich fortwährend auf die Fäuste zu berufen; zudem wird die bewaffnete Bourgeoisie
dem "Volk" bald eben so lästig fallen, als die Polizei des aufgeklärten Despo¬
tismus. Den Männern der Revolution bleibt also gegen die "verthierten Söld¬
linge" des imlümi rvAimk Nichts übrig, als die Proletarier der Hauptstadt zu
ihren Prätoricmeru zu machen. Es gibt dann zwei Eventualitäten. Entweder
organisirt sich der Pöbel zu einem wirklichen Corps von Prätoriancrn und dann
wird er auf die Länge nicht den "tugendhaften" Männern gehorchen, die nur zum
Wohl des Volkes Guillotinen aufrichten, sondern einem Cäsar oder Catilina, die
ihm Genüsse schaffen oder die ihm scharf den Stachel zu kosten geben, oder, was
das natürlichere ist, der neue Staat organisirt seine Kräfte gegen das Ausland
- dazu sich herzugeben siud jene Prätvrianer in der Regel zu bequem -- und
der glückliche Feldherr kehrt zurück, um den Helden der Barrikaden ihren Wahl¬
spruch : I" torno v'est l-l Imi! in die Zähne zu schleudern und im Namen und zum
Frommen des souveränen Volkes, das sich nach Ruhe sehnt, eine militärische Dic-
tatur einzuführen. In Paris ist es in einem Vierteljahr dahin gekommen.

Abgesehen von der Verkehrtheit, ein vollständiges Abbrechen mit der Ver¬
gangenheit für wünschenswert!) zu halten -- weil aus dem Nichts, aus dem
Chaos, nie eine neue Schöpfung hervorgeht - ist es auch ein Irrthum, an die
Möglichkeit eines solchen Abbrechens zu glauben. Nicht einmal die Ansiedler
in den Urwäldern von Amerika fanden eine wlmlit r-ism vor, auf der sie einen
neuen Staat hätten aufrichten könne"; dort begegnete ihnen die locale Nothwendig¬
keit und mit sich führten sie die sittliche Bestimmtheit ihres bisherigen geschichtlichen
Lebens. Ebenso ist es mit der Revolution. Ich möchte sie einem Gewitter ver¬
gleichen: es zündet Bänme und Hänser an, verwüstet die Saaten, reinigt die
Lust -- qber wie es, vorüber ist, tritt die alle Natur wieder hervor. Ein schär¬
ferer Contrast läßt sich nicht denken, als zwischen den Sitten der terroristischen
Periode und der Frivolität der Voltair'schen Zeit; und kaum war das Haupt des


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Siegern, bleibt nichts anders übrig, als unsere Macht durch einen zweiten Sieg,
eine neue Schlacht gegen die Reaction der Gesetzlichkeit zu bethätigen."

Es ist ein Irrthum, der sich bei allen Verschwörern, allen Emeutiers vor¬
findet. Sie überschätzen ihren Sieg, sie überschätzen ihre Macht; weil sie sich auf
Barrikaden verstehen, glauben sie auch den Staat regieren zu können. Aber der
Barrikadenkämpfer wird immer nur für Augenblicke der Anarchie das Ruder des
Staats in die Hände bekommen, denn die wahre Macht liegt nicht in den Fäu¬
sten, sondern in der Einsicht. Wenn die neue Regierung den Staat wahrhaft
erneuen will, so darf sie nicht darauf Anspruch machen, Rache zu nehmen an frü¬
herer Gesinnung; die Republik, die alle Staatsmänner des uocien i-eZüne aus¬
schließt, würde bald bauquerout macheu.

„I^a soi-ce c'oft In loi!" d. h. die Souveränität des Volkes liegt in seinen
Fäusten. Aber gerade der bessere Theil des Volkes wird es überdrüssig werden,
sich fortwährend auf die Fäuste zu berufen; zudem wird die bewaffnete Bourgeoisie
dem „Volk" bald eben so lästig fallen, als die Polizei des aufgeklärten Despo¬
tismus. Den Männern der Revolution bleibt also gegen die „verthierten Söld¬
linge" des imlümi rvAimk Nichts übrig, als die Proletarier der Hauptstadt zu
ihren Prätoricmeru zu machen. Es gibt dann zwei Eventualitäten. Entweder
organisirt sich der Pöbel zu einem wirklichen Corps von Prätoriancrn und dann
wird er auf die Länge nicht den „tugendhaften" Männern gehorchen, die nur zum
Wohl des Volkes Guillotinen aufrichten, sondern einem Cäsar oder Catilina, die
ihm Genüsse schaffen oder die ihm scharf den Stachel zu kosten geben, oder, was
das natürlichere ist, der neue Staat organisirt seine Kräfte gegen das Ausland
- dazu sich herzugeben siud jene Prätvrianer in der Regel zu bequem — und
der glückliche Feldherr kehrt zurück, um den Helden der Barrikaden ihren Wahl¬
spruch : I» torno v'est l-l Imi! in die Zähne zu schleudern und im Namen und zum
Frommen des souveränen Volkes, das sich nach Ruhe sehnt, eine militärische Dic-
tatur einzuführen. In Paris ist es in einem Vierteljahr dahin gekommen.

Abgesehen von der Verkehrtheit, ein vollständiges Abbrechen mit der Ver¬
gangenheit für wünschenswert!) zu halten — weil aus dem Nichts, aus dem
Chaos, nie eine neue Schöpfung hervorgeht - ist es auch ein Irrthum, an die
Möglichkeit eines solchen Abbrechens zu glauben. Nicht einmal die Ansiedler
in den Urwäldern von Amerika fanden eine wlmlit r-ism vor, auf der sie einen
neuen Staat hätten aufrichten könne«; dort begegnete ihnen die locale Nothwendig¬
keit und mit sich führten sie die sittliche Bestimmtheit ihres bisherigen geschichtlichen
Lebens. Ebenso ist es mit der Revolution. Ich möchte sie einem Gewitter ver¬
gleichen: es zündet Bänme und Hänser an, verwüstet die Saaten, reinigt die
Lust — qber wie es, vorüber ist, tritt die alle Natur wieder hervor. Ein schär¬
ferer Contrast läßt sich nicht denken, als zwischen den Sitten der terroristischen
Periode und der Frivolität der Voltair'schen Zeit; und kaum war das Haupt des


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[0277] Siegern, bleibt nichts anders übrig, als unsere Macht durch einen zweiten Sieg, eine neue Schlacht gegen die Reaction der Gesetzlichkeit zu bethätigen." Es ist ein Irrthum, der sich bei allen Verschwörern, allen Emeutiers vor¬ findet. Sie überschätzen ihren Sieg, sie überschätzen ihre Macht; weil sie sich auf Barrikaden verstehen, glauben sie auch den Staat regieren zu können. Aber der Barrikadenkämpfer wird immer nur für Augenblicke der Anarchie das Ruder des Staats in die Hände bekommen, denn die wahre Macht liegt nicht in den Fäu¬ sten, sondern in der Einsicht. Wenn die neue Regierung den Staat wahrhaft erneuen will, so darf sie nicht darauf Anspruch machen, Rache zu nehmen an frü¬ herer Gesinnung; die Republik, die alle Staatsmänner des uocien i-eZüne aus¬ schließt, würde bald bauquerout macheu. „I^a soi-ce c'oft In loi!" d. h. die Souveränität des Volkes liegt in seinen Fäusten. Aber gerade der bessere Theil des Volkes wird es überdrüssig werden, sich fortwährend auf die Fäuste zu berufen; zudem wird die bewaffnete Bourgeoisie dem „Volk" bald eben so lästig fallen, als die Polizei des aufgeklärten Despo¬ tismus. Den Männern der Revolution bleibt also gegen die „verthierten Söld¬ linge" des imlümi rvAimk Nichts übrig, als die Proletarier der Hauptstadt zu ihren Prätoricmeru zu machen. Es gibt dann zwei Eventualitäten. Entweder organisirt sich der Pöbel zu einem wirklichen Corps von Prätoriancrn und dann wird er auf die Länge nicht den „tugendhaften" Männern gehorchen, die nur zum Wohl des Volkes Guillotinen aufrichten, sondern einem Cäsar oder Catilina, die ihm Genüsse schaffen oder die ihm scharf den Stachel zu kosten geben, oder, was das natürlichere ist, der neue Staat organisirt seine Kräfte gegen das Ausland - dazu sich herzugeben siud jene Prätvrianer in der Regel zu bequem — und der glückliche Feldherr kehrt zurück, um den Helden der Barrikaden ihren Wahl¬ spruch : I» torno v'est l-l Imi! in die Zähne zu schleudern und im Namen und zum Frommen des souveränen Volkes, das sich nach Ruhe sehnt, eine militärische Dic- tatur einzuführen. In Paris ist es in einem Vierteljahr dahin gekommen. Abgesehen von der Verkehrtheit, ein vollständiges Abbrechen mit der Ver¬ gangenheit für wünschenswert!) zu halten — weil aus dem Nichts, aus dem Chaos, nie eine neue Schöpfung hervorgeht - ist es auch ein Irrthum, an die Möglichkeit eines solchen Abbrechens zu glauben. Nicht einmal die Ansiedler in den Urwäldern von Amerika fanden eine wlmlit r-ism vor, auf der sie einen neuen Staat hätten aufrichten könne«; dort begegnete ihnen die locale Nothwendig¬ keit und mit sich führten sie die sittliche Bestimmtheit ihres bisherigen geschichtlichen Lebens. Ebenso ist es mit der Revolution. Ich möchte sie einem Gewitter ver¬ gleichen: es zündet Bänme und Hänser an, verwüstet die Saaten, reinigt die Lust — qber wie es, vorüber ist, tritt die alle Natur wieder hervor. Ein schär¬ ferer Contrast läßt sich nicht denken, als zwischen den Sitten der terroristischen Periode und der Frivolität der Voltair'schen Zeit; und kaum war das Haupt des Grenzboten. III. I»i8. Z5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/277>, abgerufen am 26.06.2024.