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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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der Emeute, wo die Hände gewogen, theils in der legislativen Versammlung, wo
sie gezählt werden.

Denn die Souveränität des Volkes geht ganz von derselben Anschauung
aus, die das absolute Königthum und den aufgeklärten Despotismus hervorrief:
die Staatseinheit, die Centralisation und Uniformität gegen die Particularitäten
der Geschichte. Ein Recht, Eine Verwaltung, Ein Staat, hervorgegangen ans
dem freien Bewußtsein des Volks, nicht mehr die Abhängigkeit von den gegebenen
Rechtsformen. Beide Voraussetzungen verdienen eine genauere Erwägung.

Was heißt zunächst das Recht der Revolution? Ein Recht , um dessen
Anerkennung namentlich die gegenwärtige Berliner Versammlung, in Ermangelung
besserer Beschäftigung, sich eifrig zu thun machte.

Die Revolution entspringt aus dem Gefühl einer Macht, die sich nicht gesetz¬
liche Geltung verschaffen kann. Wenn die herrschende Gewalt sich abschließt, also
die Kräfte, die außer ihr stehen, zurückweist und eben in Folge dessen nur noch
dem Namen nach, nicht in der Sache, die Staatsgewalt ist, so wird, bei eintre
tenter Gelegenheit, eine Erschütterung unvermeidlich.

Das Recht des Aufstandes liegt in der Unmöglichkeit, seine Kraft gesetzlich
zur Geltung zu bringen. Eine Negierung, welche der Einsicht nud dem Willen
der übrigen Stände allen Rechtsboden entzieht -- die Freiheit der Parlamentärs
schen Discussion und der Discusston durch die Schrift .....- hat es sich selber zu¬
zuschreiben, wenn die rohe Gewalt ihr gegenüber tritt. So weit und nicht weiter
geht das Recht der Revolution. Ein ungeduldiges Streben, der Einfachheit wegen,
den kürzern ungesetzlichen Weg zu wählen, während der gesetzliche offen steht,
führt nie zur Freiheit, sondern erst zur Anarchie, dann zur Restauration. Der
10. August 1792, die Julitage vou und die Febrnaremeute dieses Jahres
sind Zeugen dafür.

Die preußische Regierung, im Glauben an ihre bessere Einsicht und an ihre
göttliche Mission, verschloß dem Volke den gesetzlichen Weg; daß deshalb die Ge¬
walt dem Rechte Nachdruck verschaffen mußte, war beklagenswert!), aber natürlich.
Nachdem nun durch Gewalt die Regierung gezwungen war, den Rechtsboden zum
Schlachtfeld herzugeben, theilte sich die Opposition. Die bisher sogenannten Libe¬
ralen nahmen den gesetzlichen Fortschritt ernst, die Radikalen geberdeten sich als
Eroberer, denen der Feind sich auf Gnade und Ungnade ergeben habe. Die
Barrikade war nun nicht mehr ihr letztes, sondern ihr erstes Argument und
das V"" piceis! des gallischen Siegers ihr Feldgeschrei.

Die Argumentation dieser specifischen Revolutionärs lautete so: "Die neue
Regierung ist durch unsern Sieg an den Barrikaden eingesetzt; nun regiert sie aber
mit den alten Beamten, unsern Feinden, mit den alten Offizieren, gleichfalls unsern
Feinden, weiter sort; sie gibt uns, den Siegern, kein Recht am Staate; sie be¬
geht also Verrath an der Revolution, der sie ihr Dasein verdankt, und uns, den


der Emeute, wo die Hände gewogen, theils in der legislativen Versammlung, wo
sie gezählt werden.

Denn die Souveränität des Volkes geht ganz von derselben Anschauung
aus, die das absolute Königthum und den aufgeklärten Despotismus hervorrief:
die Staatseinheit, die Centralisation und Uniformität gegen die Particularitäten
der Geschichte. Ein Recht, Eine Verwaltung, Ein Staat, hervorgegangen ans
dem freien Bewußtsein des Volks, nicht mehr die Abhängigkeit von den gegebenen
Rechtsformen. Beide Voraussetzungen verdienen eine genauere Erwägung.

Was heißt zunächst das Recht der Revolution? Ein Recht , um dessen
Anerkennung namentlich die gegenwärtige Berliner Versammlung, in Ermangelung
besserer Beschäftigung, sich eifrig zu thun machte.

Die Revolution entspringt aus dem Gefühl einer Macht, die sich nicht gesetz¬
liche Geltung verschaffen kann. Wenn die herrschende Gewalt sich abschließt, also
die Kräfte, die außer ihr stehen, zurückweist und eben in Folge dessen nur noch
dem Namen nach, nicht in der Sache, die Staatsgewalt ist, so wird, bei eintre
tenter Gelegenheit, eine Erschütterung unvermeidlich.

Das Recht des Aufstandes liegt in der Unmöglichkeit, seine Kraft gesetzlich
zur Geltung zu bringen. Eine Negierung, welche der Einsicht nud dem Willen
der übrigen Stände allen Rechtsboden entzieht — die Freiheit der Parlamentärs
schen Discussion und der Discusston durch die Schrift .....- hat es sich selber zu¬
zuschreiben, wenn die rohe Gewalt ihr gegenüber tritt. So weit und nicht weiter
geht das Recht der Revolution. Ein ungeduldiges Streben, der Einfachheit wegen,
den kürzern ungesetzlichen Weg zu wählen, während der gesetzliche offen steht,
führt nie zur Freiheit, sondern erst zur Anarchie, dann zur Restauration. Der
10. August 1792, die Julitage vou und die Febrnaremeute dieses Jahres
sind Zeugen dafür.

Die preußische Regierung, im Glauben an ihre bessere Einsicht und an ihre
göttliche Mission, verschloß dem Volke den gesetzlichen Weg; daß deshalb die Ge¬
walt dem Rechte Nachdruck verschaffen mußte, war beklagenswert!), aber natürlich.
Nachdem nun durch Gewalt die Regierung gezwungen war, den Rechtsboden zum
Schlachtfeld herzugeben, theilte sich die Opposition. Die bisher sogenannten Libe¬
ralen nahmen den gesetzlichen Fortschritt ernst, die Radikalen geberdeten sich als
Eroberer, denen der Feind sich auf Gnade und Ungnade ergeben habe. Die
Barrikade war nun nicht mehr ihr letztes, sondern ihr erstes Argument und
das V»« piceis! des gallischen Siegers ihr Feldgeschrei.

Die Argumentation dieser specifischen Revolutionärs lautete so: „Die neue
Regierung ist durch unsern Sieg an den Barrikaden eingesetzt; nun regiert sie aber
mit den alten Beamten, unsern Feinden, mit den alten Offizieren, gleichfalls unsern
Feinden, weiter sort; sie gibt uns, den Siegern, kein Recht am Staate; sie be¬
geht also Verrath an der Revolution, der sie ihr Dasein verdankt, und uns, den


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[0276] der Emeute, wo die Hände gewogen, theils in der legislativen Versammlung, wo sie gezählt werden. Denn die Souveränität des Volkes geht ganz von derselben Anschauung aus, die das absolute Königthum und den aufgeklärten Despotismus hervorrief: die Staatseinheit, die Centralisation und Uniformität gegen die Particularitäten der Geschichte. Ein Recht, Eine Verwaltung, Ein Staat, hervorgegangen ans dem freien Bewußtsein des Volks, nicht mehr die Abhängigkeit von den gegebenen Rechtsformen. Beide Voraussetzungen verdienen eine genauere Erwägung. Was heißt zunächst das Recht der Revolution? Ein Recht , um dessen Anerkennung namentlich die gegenwärtige Berliner Versammlung, in Ermangelung besserer Beschäftigung, sich eifrig zu thun machte. Die Revolution entspringt aus dem Gefühl einer Macht, die sich nicht gesetz¬ liche Geltung verschaffen kann. Wenn die herrschende Gewalt sich abschließt, also die Kräfte, die außer ihr stehen, zurückweist und eben in Folge dessen nur noch dem Namen nach, nicht in der Sache, die Staatsgewalt ist, so wird, bei eintre tenter Gelegenheit, eine Erschütterung unvermeidlich. Das Recht des Aufstandes liegt in der Unmöglichkeit, seine Kraft gesetzlich zur Geltung zu bringen. Eine Negierung, welche der Einsicht nud dem Willen der übrigen Stände allen Rechtsboden entzieht — die Freiheit der Parlamentärs schen Discussion und der Discusston durch die Schrift .....- hat es sich selber zu¬ zuschreiben, wenn die rohe Gewalt ihr gegenüber tritt. So weit und nicht weiter geht das Recht der Revolution. Ein ungeduldiges Streben, der Einfachheit wegen, den kürzern ungesetzlichen Weg zu wählen, während der gesetzliche offen steht, führt nie zur Freiheit, sondern erst zur Anarchie, dann zur Restauration. Der 10. August 1792, die Julitage vou und die Febrnaremeute dieses Jahres sind Zeugen dafür. Die preußische Regierung, im Glauben an ihre bessere Einsicht und an ihre göttliche Mission, verschloß dem Volke den gesetzlichen Weg; daß deshalb die Ge¬ walt dem Rechte Nachdruck verschaffen mußte, war beklagenswert!), aber natürlich. Nachdem nun durch Gewalt die Regierung gezwungen war, den Rechtsboden zum Schlachtfeld herzugeben, theilte sich die Opposition. Die bisher sogenannten Libe¬ ralen nahmen den gesetzlichen Fortschritt ernst, die Radikalen geberdeten sich als Eroberer, denen der Feind sich auf Gnade und Ungnade ergeben habe. Die Barrikade war nun nicht mehr ihr letztes, sondern ihr erstes Argument und das V»« piceis! des gallischen Siegers ihr Feldgeschrei. Die Argumentation dieser specifischen Revolutionärs lautete so: „Die neue Regierung ist durch unsern Sieg an den Barrikaden eingesetzt; nun regiert sie aber mit den alten Beamten, unsern Feinden, mit den alten Offizieren, gleichfalls unsern Feinden, weiter sort; sie gibt uns, den Siegern, kein Recht am Staate; sie be¬ geht also Verrath an der Revolution, der sie ihr Dasein verdankt, und uns, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/276>, abgerufen am 26.06.2024.