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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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drohen, obgleich es nichts war als ein Gericht des Königs; Friedrich fand einen
geheimen Kitzel darin, dnrch seinen eigenen, in den Kollegien organisirten Verstand
in seiner Willkür corrigirt zu werden.

Anders wurde es gegen das Ende des Friedrichschen Zeitalters, als der ab¬
solute Staat es mit dem "Wohl des Volkes" ernst nahm, es sich zur Herzenssache
machte und ohne die Freiheit der Ironie, mit der Friedrich sein Verhältniß auf¬
gefaßt hatte, ganz ernstlich die Vollkommenheit des Menschengeschlechts, wie sie in
seiner besseren Einsicht war, zum Ziel seiner souveränen Macht setzte. Der Jlln-
minatismus, die Idee eines besseren Seins, auf Erden einzurichten, setzte sich in den
Köpfen der Fürsten fest und der absolute Staat wurde revolutionär gegen das
Bestehende. Wir finden zugleich Kaiser Joseph und das liberale Ministerium
Ludwig's XVl. im systematischen Kampfe gegen die Irrationalität der bestehenden
Verhältnisse. Gegen beide erhebt sich der Eigensinn des "Volks". In Frankreich
wissen die privilegirten Klassen des Mittelalters, denen eigentlich der Angriff galt,
dem aufgeklärten Despotismus, der ihnen über den Kopf wuchs, nichts Besseres
entgegenzusetzen, als daß sie jenen Eigensinn des Volkes organistren, ohne zu
ahnen, daß sie damit den gefährlichsten Feind ihrer eigenen Sache heraufbeschwo¬
ren. Die Parlamente, das Organ des Mittelalters, appelliren an die letzte In¬
stanz, das Volk, sie glauben in ihm noch den gehorsamen Unterthan zu sehen;
wie der Geist aber einmal umgeht, vermögen sie ihn nicht wieder zu bannen: die
Reichsstände, der Form nach der Ausdruck des Fcudalstaats, werden zur Consti¬
tuante, d. h. sie brechen radical mit der Geschichte; die Einsicht des "Volks"
findet ihren Ausdruck in den Repräsentanten und dieser Körper wird nun der
Träger der Souveränität. Der Kampf des aufgeklärten Despotismus gegen den
Rechtsstaat hat beide unterwühlt, und die Macht fällt in die Hände einer republi¬
kanischen Gesellschaft, die zwar Vollmachten von ihren Committenten, dem Volk,
mitbringt, sich aber an diese nur so viel bindet, als die Umstände es nöthig
machen.

In ihrer weiteren Dialektik führte diese neue Souveränität, die ursprünglich
nur die Fiction der ersten Wahl seiner Repräsentanten ließ, zur Aufregung der
Massen, zur Aufhebung alles gesetzlichen Zustands, zur Pöbelherrschaft, zum null"
täuschen Despotismus, ^ endlich zu einem scheinbaren Vertrag der verschiedenen
kämpfenden Mächte, der aber seit der Zeit schon dreimal eine neue Revolution,
d. h. ein gewaltsames Brechen mit der Vergangenheit nothwendig gemacht hat.

Die Theorie ist aber bei der Constituante von l78ö stehen geblieben. Das
Volk ist der Souverän und übt seine Souveränität durch Beamte (Repräsentanten)
aus, deren Verantwortlichkeit formell nur in der Nothwendigkeit der Wiederwahl
liegt, materiell aber in der Furcht vor den Fäusten der letzten Instanz.

In dieser Theorie liegen zwei Voraussetzungen: das Recht der Revolution
und das Recht der Majoritäten. Das Volk tritt als Souverän auf theils in


drohen, obgleich es nichts war als ein Gericht des Königs; Friedrich fand einen
geheimen Kitzel darin, dnrch seinen eigenen, in den Kollegien organisirten Verstand
in seiner Willkür corrigirt zu werden.

Anders wurde es gegen das Ende des Friedrichschen Zeitalters, als der ab¬
solute Staat es mit dem „Wohl des Volkes" ernst nahm, es sich zur Herzenssache
machte und ohne die Freiheit der Ironie, mit der Friedrich sein Verhältniß auf¬
gefaßt hatte, ganz ernstlich die Vollkommenheit des Menschengeschlechts, wie sie in
seiner besseren Einsicht war, zum Ziel seiner souveränen Macht setzte. Der Jlln-
minatismus, die Idee eines besseren Seins, auf Erden einzurichten, setzte sich in den
Köpfen der Fürsten fest und der absolute Staat wurde revolutionär gegen das
Bestehende. Wir finden zugleich Kaiser Joseph und das liberale Ministerium
Ludwig's XVl. im systematischen Kampfe gegen die Irrationalität der bestehenden
Verhältnisse. Gegen beide erhebt sich der Eigensinn des „Volks". In Frankreich
wissen die privilegirten Klassen des Mittelalters, denen eigentlich der Angriff galt,
dem aufgeklärten Despotismus, der ihnen über den Kopf wuchs, nichts Besseres
entgegenzusetzen, als daß sie jenen Eigensinn des Volkes organistren, ohne zu
ahnen, daß sie damit den gefährlichsten Feind ihrer eigenen Sache heraufbeschwo¬
ren. Die Parlamente, das Organ des Mittelalters, appelliren an die letzte In¬
stanz, das Volk, sie glauben in ihm noch den gehorsamen Unterthan zu sehen;
wie der Geist aber einmal umgeht, vermögen sie ihn nicht wieder zu bannen: die
Reichsstände, der Form nach der Ausdruck des Fcudalstaats, werden zur Consti¬
tuante, d. h. sie brechen radical mit der Geschichte; die Einsicht des „Volks"
findet ihren Ausdruck in den Repräsentanten und dieser Körper wird nun der
Träger der Souveränität. Der Kampf des aufgeklärten Despotismus gegen den
Rechtsstaat hat beide unterwühlt, und die Macht fällt in die Hände einer republi¬
kanischen Gesellschaft, die zwar Vollmachten von ihren Committenten, dem Volk,
mitbringt, sich aber an diese nur so viel bindet, als die Umstände es nöthig
machen.

In ihrer weiteren Dialektik führte diese neue Souveränität, die ursprünglich
nur die Fiction der ersten Wahl seiner Repräsentanten ließ, zur Aufregung der
Massen, zur Aufhebung alles gesetzlichen Zustands, zur Pöbelherrschaft, zum null"
täuschen Despotismus, ^ endlich zu einem scheinbaren Vertrag der verschiedenen
kämpfenden Mächte, der aber seit der Zeit schon dreimal eine neue Revolution,
d. h. ein gewaltsames Brechen mit der Vergangenheit nothwendig gemacht hat.

Die Theorie ist aber bei der Constituante von l78ö stehen geblieben. Das
Volk ist der Souverän und übt seine Souveränität durch Beamte (Repräsentanten)
aus, deren Verantwortlichkeit formell nur in der Nothwendigkeit der Wiederwahl
liegt, materiell aber in der Furcht vor den Fäusten der letzten Instanz.

In dieser Theorie liegen zwei Voraussetzungen: das Recht der Revolution
und das Recht der Majoritäten. Das Volk tritt als Souverän auf theils in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/275>, abgerufen am 26.06.2024.